Nach Protesten in Georgien: Aktivist fast totgeprügelt

    Proteste in Georgien:Aktivist: "Ich dachte, sie bringen mich um"

    Sebastian Ehm
    von Sebastian Ehm
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    Halb tot geprügelt und angeklagt: Die Polizei in Georgien statuiert am Aktivisten David Katsarava ein Exempel. Steckt mehr dahinter? Denn er deckt auch russische Aktivitäten auf.

    Georgien, Tiflis: Polizeibeamte nehmen einen Demonstranten während einer Kundgebung in der Nähe des Parlaments fest, der gegen einen umstrittenen Gesetzentwurf zur „ausländischen Einflussnahme“ protestiert
    Georgien, Tiflis: Polizeibeamte nehmen einen Demonstranten während einer Kundgebung in der Nähe des Parlaments fest, der gegen einen umstrittenen Gesetzentwurf zur „ausländischen Einflussnahme“ protestiert (Symbolbild)
    Quelle: AFP

    Es ist über zwei Monate her, dass sie ihn krankenhausreif geprügelt haben. Die Verletzungen sind kaum noch sichtbar, doch wenn David Katsarava die Aufnahmen seiner Festnahme noch einmal anschaut, kommt alles wieder hoch. Er protestierte im Mai wie viele tausend andere Georgier gegen ein Gesetz zur ausländischen Einflussnahme.

    Ein Gesetz gegen die Einflussnahme ausländischer Mächte war der Auslöser für gewaltige Proteste. Der Gesetzestext erinnert stark an ein Gesetz aus Russland. Viele Georgier haben Angst, dass der europäische Pfad, den das Land seit Jahren eingeschlagen hat, bald zu Ende sein könnte. Wegen des Gesetzes wurden die EU-Beitrittsverhandlungen jedenfalls auf Eis gelegt.

    29.04.2024, Georgien, Tiflis: Regierungsfreundliche Demonstranten mit georgischen Nationalflaggen nehmen an einer Kundgebung zur Unterstützung des "russischen Gesetzes" in Tiflis, Georgien, teil.
    Als ausländische Agenten könnten bald Medien und Organisationen gelten, die mit mehr als 20% aus dem Ausland finanziert werden. Das Parlament in Tiflis diskutiert das Gesetz. 30.04.2024 | 2:55 min

    Georgien: Proteste wegen Nähe zu Russland

    In den Videos auf Social Media ist David gut zu erkennen. Er stellt sich den Sicherheitskräften in den Weg und versucht zu beschwichtigen. Doch die vermummten Gestalten gehen nicht darauf ein. Sie umzingeln ihn und zerren ihn weg.
    Was danach passiert, beschreibt David als die Hölle. In Polizeigewahrsam, so David, wird er verhört und immer wieder misshandelt. Er spricht von Folter.

    Ich dachte, sie bringen mich um. Ich habe sogar einen Befehl gehört, der lautete: ‚Bringt ihn um.‘ Danach haben sie angefangen mich zu würgen.

    David Katsarava, georgischer Aktivist

    Frau hinter ihrem Marktstand
    Viele in Moldau haben Angst, dass Russland auch sie angreift. Doch die Hälfte der Bevölkerung ist pro-russisch. In Georgien kommen immer mehr russische Geflüchtete an. 20.06.2023 | 19:27 min
    Das Foto von David Katsaravas Gesicht geht in Georgien viral. Er wird übel zugerichtet und muss wochenlang im Krankenhaus bleiben. Sein linkes Auge ist wohl für immer geschädigt. So wie David ergeht es in den Wochen der Proteste vielen Aktivisten, die der georgischen Regierung eine zu große Nähe zu Russland vorwerfen. Sie sollen bedroht und teilweise zusammengeschlagen werden.

    Die beiden Staaten haben eine sehr wechselhafte gemeinsame Geschichte. Georgien war jahrzehntelang Teil der Sowjetunion, Russisch war Amtssprache und einflussreiche Persönlichkeiten kamen aus dem kleinen Kaukasusland. Der berühmteste unter ihnen war der Diktator Josef Stalin.

    Seit 1991 ist Georgien unabhängig, doch Russland versucht seit dem Zerfall der Sowjetunion seinen Einfluss in dem kleinen Land zu behaupten. Immer wieder tut Moskau dies etwa, indem es Separatisten in den Landesteilen Abchasien und Südossetien unterstützt. Dort wurden bereits mehrere Kriege geführt, der letzte 2008. Im damaligen Kaukasuskrieg unterstützte der Kreml abchasische und südossetische Kämpfer. Die Panzer des Kreml rückten bis 40 Kilometer vor Tiflis vor.

    Der Krieg von 2008 führte zur Bildung der zwei international nicht anerkannten Republiken Abchasien und Südossetien auf georgischem Staatsgebiet. Seitdem ist die Stimmung zwischen den beiden Staaten angespannt. Doch seit kurzem nähert sich die georgische Regierung Russland wieder an. Gesteuert wird das maßgeblich von Bidsina Iwanischwili. Der Gründer der Regierungspartei Georgischer Traum hat in Russland ein Vermögen gemacht und gute Kontakte nach Moskau. Dagegen regt sich seit Jahren Widerstand.

    Südossetien von russischen Truppen besetzt

    Doch David lässt sich davon nicht einschüchtern. Er ist schon wieder unterwegs zur Grenze mit Südossetien. Seit 2008 besetzen russische Truppen das Land, das eigentlich zu Georgien gehört. An der Kontaktlinie ist es gefährlich. Zwar sind die aktiven Kämpfe vorbei, doch illegale Übertritte der Linie sollte man nicht riskieren.
    Die abchasische Sängerin Natia Todua steht neben Ruinen in Georgien und blickt in die Ferne.
    Im Georgienkrieg 2008 testet Wladimir Putin, wie weit er gehen kann. Gezielt heizt er dafür alte Konflikte der Region an. Die Folge: Georgien ist bis heute ein gespaltenes Land.08.09.2022 | 45:06 min

    Katsarava: "Die Regierung in Georgien ist prorussisch"

    David weiß, dass die prorussischen und russischen Truppen hier die Kontaktlinie immer weiter nach Georgien verschieben. Er nennt es schleichende Besetzung. Seit sieben Jahren beobachtet David die russischen Aktivitäten und veröffentlicht seine Ergebnisse.

    Meine Tätigkeit wird die Besatzung natürlich nicht völlig beenden, aber ich weiß, dass ich als Bürger meines Landes, als Patriot etwas tue, was Russland stört, was die Gesellschaft informiert über diese schleichende Landnahme.

    David Katsarava, georgischer Aktivist

    David lässt seine Beobachtungs-Drohne steigen und macht Aufnahmen von russischen Außenposten. Heute ist alles still. Er glaubt, dass seine Arbeit an der südossetischen Grenze und seine brutale Festnahme etwas miteinander zu tun haben. Die georgische Regierung sei prorussisch und die Russen, so David, würden irgendwann wieder versuchen ganz Georgien gewaltsam zu besetzen.
    In Georgien haben erneut Zehntausende gegen das umstrittene Gesetz zur „ausländischen Einflussnahme“ demonstriert. Unterstützt wurden sie von mehreren europäischen Außenministern.
    In Georgien haben erneut Zehntausende gegen das umstrittene Gesetz zur „ausländischen Einflussnahme“ demonstriert. Unterstützt wurden sie von mehreren europäischen Außenministern.16.05.2024 | 0:18 min

    Anklage wegen Teilnahme an Protesten

    Das alles sei schon in vollem Gange und vielleicht habe man ihn auch verprügelt und gefoltert, weil er sich hier gegen den Einfluss Russlands stemme. Wegen seiner Beteiligung an den Protesten ist er jetzt angeklagt. Ihm wird Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Es droht das Gefängnis.
    David Katsarava richtet seine Hoffnungen auf die Parlamentswahlen im Oktober. Dann können die Georgier entscheiden, wohin das Land in Zukunft steuert. Es wird eine Abstimmung zwischen West und Ost, zwischen Moskau und EU. David will sich mit allem, was er hat für einen Regierungswechsel einsetzen und hofft, dass zumindest der Prozess gegen ihn glimpflich ausgeht.
    Sebastian Ehm berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.

    Beitrittsverhandlungen auf Eis
    :EU zeigt Georgien die "dunkelgelbe Karte"

    Die EU stoppt die Beitrittsgespräche mit Georgien und macht klar, was sie vom Kurs der Regierung in Tiflis hält. Gleichzeitig hofft Brüssel auf die georgischen Wahlen im Oktober.
    von Felix Klauser
    Georgian students protest against 'foreign agent' law in Tbilisi
    Analyse

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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