Georgiens EU-Beitritt: Verhandlungen werden auf Eis gelegt

    Analyse

    Beitrittsverhandlungen auf Eis:EU zeigt Georgien die "dunkelgelbe Karte"

    von Felix Klauser
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    Die EU stoppt die Beitrittsgespräche mit Georgien und macht klar, was sie vom Kurs der Regierung in Tiflis hält. Gleichzeitig hofft Brüssel auf die georgischen Wahlen im Oktober.

    Georgische Studierende protestieren gegen das Gesetz zu "ausländischen Agenten" in Tiflis, sie halten georgische und EU-Flaggen.
    Nach einem Gipfeltreffen in Brüssel erklärten die Staats- und Regierungschefs, dass der aktuelle autoritäre Kurs der Regierung mit europäischen Werten nicht vereinbar sei.28.06.2024 | 0:19 min
    Der Jubel in Tiflis kannte am Mittwochabend keine Grenzen: 2:0 Sieg gegen Portugal, EM-Gruppenphase überstanden, Einzug Georgiens ins Achtelfinale. Und all das bei der ersten EM-Teilnahme für das Land überhaupt.
    Doch die kalte Dusche für jene Georgier, denen nicht nur die Europameisterschaft, sondern auch die Europäische Union am Herzen liegt, ließ nur etwas mehr als 24 Stunden auf sich warten. Am Donnerstagabend verkündeten die Staats- und Regierungschefs der EU den vorläufigen Stopp der Beitrittsverhandlungen mit Georgien.

    Georgien nähert sich Russland weiter an

    Es ist die unweigerliche Reaktion der EU auf den aktuellen, pro-russischen Kurs der Regierung in Tiflis - eine Reaktion, die vermutlich schon länger in den Schubladen Brüssels lag. Denn nach der Verabschiedung des umstrittenen "Agentengesetzes" im Mai, das zu wochenlangen pro-europäischen Massenprotesten führte, gab es immer wieder Warnungen in Richtung Tiflis. Allein: Eine Reaktion, gar eine Rücknahme des Gesetzes, hatten diese Warnungen nicht zur Folge.
    Stattdessen folgte am Donnerstag, im Schutze der EM-Euphorie, ein weiterer Schritt, mit dem sich das Parlament in Tiflis von europäischen Werten entfernen - und Richtung Russland gehen dürfte. Denn das Gesetzespaket gegen "LGBT-Propaganda", das in erster Lesung beraten wurde, erinnert stark an geltendes Recht in Moskau. So soll unter anderem die Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen in Schulen, Universitäten und Fernsehprogrammen verboten werden.

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    EU-Entscheidung "überfällig"

    Marcel Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus der Friedrich-Ebert-Stiftung, hält die Entscheidung der EU daher für überfällig. Brüssel habe frühzeitig angekündigt, dass die Verabschiedung des "Agentengesetzes" nicht folgenlos bleiben werde.

    Dennoch ist es eigentlich nur eine dunkelgelbe Karte für den Moment. Weil man den Beitrittsprozess zwar einfriert, aber noch nicht komplett beendet.

    Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung Tiflis

    Und - wie so häufig - ist die Entscheidung für die "dunkelgelbe Karte" eine Kompromisslösung aus Brüssel. "Es gibt einige Mitgliedsstaaten, die so weit gehen würden, Sanktionen zu verhängen oder die Visafreiheit zwischen Georgien und der EU zu beenden", meint Marcel Röthig. "Im Moment haben sich aber eher die Mitgliedsländer durchgesetzt, die noch auf Besserung in Georgien hoffen."
    So oder so ist der Stopp der Beitrittsverhandlungen für die EU auch das bittere Eingeständnis, dass die eigene Strategie in Bezug auf Georgien vor massiven Problemen steht. Dabei laufen die Beitrittsgespräche erst seit wenigen Monaten.
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    Mehrheit der Georgier für EU-Mitgliedschaft

    Georgien hatte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beantragt, den Status des Beitrittskandidaten erst im Dezember vergangenen Jahres erhalten. 79 Prozent der Georgier wünschen sich laut Umfragen eine Aufnahme in die EU.
    Der Stopp der Beitrittsverhandlungen ist daher auch ein Druckmittel vor den georgischen Parlamentswahlen im Oktober. Vor diesem Hintergrund hätte sich die pro-europäische Protestbewegung sogar eine schärfere Reaktion aus Brüssel gewünscht, sagt Marcel Röthig.

    Aber man weiß auch: Die Europäer haben noch alle Mittel und Wege, möglicherweise nachzulegen, sollten die Parlamentswahlen eben nicht frei und fair verlaufen.

    Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung Tiflis

    Ende Oktober wählt Georgien und stimmt dabei nicht nur über ein neues Parlament ab - sondern auch, welchen Weg das Land mittelfristig einschlägt.
    Felix Klauser berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
    Russlands Präsident Wladimir Putin ist vor einer georgischen Flagge und Demonstranten in Georgien abgebildet.
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