Nach "Friedensmission": Brüssel bestraft Orbans Ego-Trip

    Nach Besuchen bei Putin und Xi:Brüssels Downgrade für Orbans Ego-Trip

    Gunnar Krüger zugeschaltet aus Brüssel
    von Gunnar Krüger
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    Keine Kommissare, keine Minister - die EU setzt protokollarische Stiche gegen diplomatische Alleingänge. Ungarns Ratspräsidentschaft droht ein Prestige-Verlust. Schmerzt das Orban?

    Orban und Putin schütteln sich die Hände
    Wegen der unabgesprochenen Besuche von Viktor Orban in Moskau und Peking boykottiert die EU-Kommission den EU-Ratsvorsitz Ungarns. Es werde dort keinen Antrittsbesuch geben. 16.07.2024 | 1:46 min
    Csaba Lantos ist Anfang sechzig, trägt Vollbart und Hornbrille. Alles an Ungarns Energieminister strahlt Gelassenheit aus. Darum könnte sich sein Chef, Premier Viktor Orban, an diesem Dienstagmorgen wohl keinen besseren Gastgeber wünschen. "Der Sommer ist sehr heiß, eine gute Zeit, um Urlaub zu machen", sagt Lantos und lächelt die Frage einfach weg.
    Als wäre Urlaub der Grund, warum kein EU-Kommissar und kaum ein Minister aus den 26 übrigen Mitgliedstaaten auftaucht, beim informellen Treffen der Energieminister in Budapest. Ungarn hat in dieser zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft inne. Das heißt - nicht nur im Fall der Energieminister - Ungarn setzt die Agenda, sonnt sich im Glanz hochrangiger Gäste. Normalerweise.

    "Missbilligung" von "unkoordinierten Reisen" Orbans

    Doch Dienstagmittag bekräftigt ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel, an informellen Ministertreffen werde vorerst kein Kommissar teilnehmen. "Damit wollen wir unsere Missbilligung über die unkoordinierten Reisen des Premierministers in Drittländer zum Ausdruck bringen." Schon Montagabend hatte ein Sprecher den traditionellen Besuch der gesamten EU-Kommission im Land der Präsidentschaft abgesagt.
    Donald Trump (links) und Viktor Orban (rechts) in Trumps Anwesen in Mar-a-Lago, Florida.
    Ungarns Regierungschef Orban hat in Florida mit Donald Trump über Frieden in der Ukraine diskutiert. Als EU-Ratspräsident besuchte er bereits die Präsidenten Russlands und Chinas.12.07.2024 | 0:23 min
    Der Hintergrund: Viktor Orban war, nur fünf Tage nach Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft, auf "Friedensmission" gegangen - ohne Auftrag. Stationen: Kiew, Moskau, Peking und am Ende Mar-a-Lago. Die Gespräche des Ungarn mit Putin, Xi und zuletzt Trump brachten die EU zur Weißglut. Vorwurf: Er unterminiere EU-Außenpolitik mit eigenen Positionen, vor allem zur Ukraine.

    Eindruck, Orban spreche für die EU

    Orban zeigte sich in Clips auf Social Media: Schnelle Schnitte, harte Musik und am Ende immer gelbe Sterne auf blauem Grund im Logo der ungarischen Ratspräsidentschaft. Es musste der Eindruck entstehen, er spreche für die EU. Die erste Rüge dafür kam schon Mittwoch bei einer Sitzung der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten. "So wie ich es noch nie erlebt habe", sagt ein Teilnehmer.
    Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU kennt die Pflicht zur Loyalität, erst recht für den Mitgliedstaat, der die Ratspräsidentschaft führt. Der juristische Dienst des Rats sah in Orbans Fall zwar offenbar eine Pflichtverletzung, zugleich aber keine Möglichkeit, Ungarn die Ratspräsidentschaft nach deren Beginn noch abzuerkennen. Das hatten dem Vernehmen nach Balten und Skandinavier gefordert.
    ulf-roeller
    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagiert mit einer Boykott-Entscheidung auf die Alleingänge von Ungarns Regierungschef Viktor Orban. "Das Tischtuch zwischen der Kommission und Ungarn ist zerschnitten", so ZDF-Korrespondent Ulf Röller. 16.07.2024 | 1:57 min

    Lindner: Ratspräsidentschaft sollte Verhalten ändern

    Nun reicht der Ärger über Orban bis in die Bundesregierung. Christian Lindner ist an diesem Dienstag in Brüssel. Was er EU-Korrespondenten im Hintergrund sagt, bleibt dort. Normalerweise. Doch der Finanzminister macht - angesichts des "Ego-Trips" - eine Ausnahme. Lindner lässt sich zitieren: Orban sei "kein ehrlicher Makler", man erwarte, dass die Präsidentschaft ihr Verhalten ändere.
    Fast alle Mitgliedstaaten denken darüber nach, ob sie nur Staatssekretäre zu den informellen Treffen schicken. Kein Boykott also, nur ein "Downgrading". Bei informellen Räten werden keine Beschlüsse gefasst, es geht um gute Gespräche - und schöne Bilder. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell könnte zudem zu einem formellen Rat der Außen- und Verteidigungsminister nach Brüssel laden - zeitgleich mit dem informellen Rat, den Ungarn Ende August plant. Es wäre die nächste Stufe der Eskalation.
    Die Sicherheitsexpertin Cladia Major im ZDF-Morgenmagazin
    Die Reisen von Ungarn Regierungschef Orban nach Russland und China sind in der EU auf scharfe Kritik getroffen. Sicherheitsexpertin Claudia Major dazu im ZDF-Morgenmagazin.09.07.2024 | 0:43 min

    Kritischer Zeitpunkt: EU stellt sich nach Europawahl neu auf

    Orbans Alleingang und der (Teil-)Boykott von Ungarns Ratspräsidentschaft durch den Rest der EU kommen zu einem kritischen Zeitpunkt. Die EU stellt sich nach der Europawahl neu auf. Donnerstag stimmt das Europa-Parlament über eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen ab. Sie braucht wohl auch die Stimmen der Grünen - und die pochen auf die Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien. Eine harte Ansage aus Brüssel nach Budapest dürfte also auch helfen, die Mehrheit zu sichern.
    Csaba Lantos, Ungarns Energieminister, verweist trotzdem auf hochrangige "Keynote-Speaker". "Ich bin überhaupt nicht traurig." Dabei sollte auch der Chef des ungarischen Mineralölkonzerns MOL unter den Teilnehmern sein. Doch wegen dessen Nähe zu Russland, drängten die übrigen Mitgliedstaaten Ungarn erfolgreich dazu ihn auszuladen. Ein Ringen ums Protokoll - das der gelassene Minister Lantos wieder weglächelt.
    Unter Mitarbeit von Amelie Hamester und Ulf Röller.

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    Quelle: ZDF

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