Thema
Analyse
Nicht ein Kriegsziel erreicht:So desaströs ist Israels Militäreinsatz
von Oliver Klein und Jan Schneider
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Die Bilanz des israelischen Krieges in Gaza ist ernüchternd: Die Hamas nicht besiegt, Geiseln immer noch in Gefangenschaft, Israel zunehmend isoliert. Warum geht der Krieg weiter?
Kinder vor den Trümmern eines Hauses in Rafah - was hat der Krieg außer Leid gebracht?
Quelle: Reuters
Drei Kriegsziele hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Anfang des Jahres für die Militäroffensive im Gazastreifen ausgerufen: Die Vernichtung der Hamas, dafür zu sorgen, "dass Gaza nie wieder eine Bedrohung für Israel darstellt" und die Befreiung der israelischen Geiseln. Bislang ist keines dieser Ziele erreicht.
- Befreiung der Geiseln: Bei dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober wurden 239 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Rund 70 Geiseln wurden im November von der Hamas freigelassen. Nach israelischen Informationen werden noch knapp 130 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Mindestens 37 der Geiseln sind tot, darunter auch die Deutsch-Israelin Shani Louk.
- Sicherheit für Israel: Noch immer ist die Hamas in der Lage, Raketen auf Israel abzufeuern. Um langfristig Angriffe aus Gaza zu verhindern, brauchte es eine Idee, wie es nach dem Krieg weitergehen soll mit den Palästinensern. "Netanjahu ist aber nicht in der Lage, eine vernünftige Exit-Strategie zu präsentieren", meint der Nahost-Experte Peter Lintl im Gespräch mit ZDFheute. Israelische Medien zitieren anonyme, aber hochrangige Quellen aus dem Militär, die sich beschweren, dass der Krieg keine Richtung hat.
- Zerschlagung der Hamas: Die Terrororganisation sei zwar militärisch geschwächt, aber nur rund ein Drittel der Kämpfer wurden getötet, berichtet das Onlineportal "Politico" unter Berufung auf US-Geheimdienste. Auch rund zwei Drittel der Hamas-Tunnel unter dem Gazastreifen seien demnach noch intakt. Man könne die Hamas gar nicht zerstören - selbst "wenn man Gaza platt macht", erklärt der israelische Historiker Moshe Zimmermann im Interview mit dem heute journal. Man müsse einen Kompromiss finden, um aus dem Krieg auszusteigen, so Zimmermann.
Die vollständige Zerstörung der Hamas sei "eine Illusion", sagt der israelische Historiker Moshe Zimmermann. Deswegen sei das Verlangen nach einem Ausweg "sehr berechtigt".05.04.2024 | 6:31 min
Zur ernüchternden Bilanz des bisherigen Krieges kommen Tausende Tote. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde des Gazastreifens spricht von 35.000 getöteten Palästinensern, Experten schätzen, dass davon etwa zwei Drittel Zivilisten sind. Dazu kommen Zigtausende Verletzte und eine großflächige Zerstörung von Wohnhäusern und Infrastruktur. Israel legte bisher kein Konzept vor, wie die Offensive zu einem Erfolg geführt werden soll - und wie es danach weitergehen könnte.
Selbst US-Regierung geht auf Distanz zu Israel
Israel scheint international zunehmend isoliert. Selbst die US-Regierung geht nach monatelanger Zurückhaltung immer mehr auf Distanz: Hochrangige Beamte bezeichnen öffentlich die israelische Strategie im Gazastreifen als selbstzerstörerisch. Die israelische Regierung habe durch die verheerenden Bombenangriffe die Zivilbevölkerung im Gazastreifen und dem Rest der Welt gegen sich aufgebracht und es dadurch der Hamas ermöglicht, Tausende neuer Kämpfer zu rekrutieren, heißt es. Ein "totaler Sieg" gegen die Hamas sei daher unwahrscheinlich, erklärte der stellvertretende US-Außenminister Kurt Campbell.
Der UN-Sicherheitsrat trifft sich zu einer Dringlichkeitssitzung. Anlass ist der israelische Luftangriff auf ein Flüchtlingslager bei Rafah. Laut Hamas wurden 45 Menschen getötet.28.05.2024 | 0:25 min
Ähnlich sieht es auch die Nahost-Expertin Dana Stroul, eine ehemalige hochrangige Beamtin im Pentagon. In einem aktuellen Aufsatz für das Journal "Foreign Affairs" schreibt sie, die USA hätten unter anderem im Irak und in Afghanistan die bittere Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, eine Gesellschaft nach einem Krieg zu stabilisieren und Aufstände zu verhindern. Israel weigere sich nicht nur, aus diesem Wissens- und Erfahrungsschatz zu lernen, so Stroul. "Es scheint auch, dass Israel auf dem besten Weg ist, die gleichen Fehler zu wiederholen."
Pläne für eine Nachkriegsordnung
Dabei gibt es durchaus Ansätze, wie man aus der Spirale der Gewalt im Nahen Osten herauskommen könnte, berichtet die Nahost-Expertin Kristin Helberg im heute journal update in der Nacht auf Dienstag. Diese stammen nur nicht aus Israel, sondern wurden von der US-Regierung in Abstimung mit Europäischen Staaten und vor allem mit den arabischen Nachbarstaaten entwickelt.
Der grobe Fahrplan der USA sehe einen sofortigen Waffenstillstand vor, verbunden mit der Freilassung der Geiseln, einen Rückzug der israelischen Armee und die Übergabe der Kontrolle an eine "multinationale Friedenstruppe, die dann natürlich die Entwaffnung der Hamas garantieren muss."
Mittelfristig solle die Kontrolle einer palästinensischen Führung übergeben werden, die dann in Gaza und im Westjordanland "regiert, reformiert, möglichst demokratisch auch legitimiert, mit einer Aussicht auf palästinensische Eigenstaatlichkeit", so Helberg. Netanjahu verweigert sich diesen Plänen bisher.
Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
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Netanjahu führt Krieg zum Machterhalt
Die Situation nach den Angriffen vom 7. Oktober war von Anfang an schwierig für Israel. Hätte Netanjahu nicht zurückschlagen lassen, wäre das ein Sieg für die Hamas gewesen. Der Angriff sollte die Abschreckungsfähigkeit Israels wiederherstellen, zum einen gegenüber der Hamas, zum anderen aber auch gegenüber anderen feindlichen Gruppen wie der Hisbollah im Libanon. Dabei war klar, dass es sehr schwer sein würde, diesen Krieg zu führen, da sich die Hamas gezielt hinter der Zivilbevölkerung verschanzt.
Mittlerweile werde der Krieg aber auch aus innenpolitischen Gründen weitergeführt, erklärt Nahost-Experte Lintl.
Israels Premier Netanjahu steht wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen unter Druck. Kritiker bemängeln auch, seine Regierung habe keinen Plan für eine Nachkriegsordnung in Gaza.22.05.2024 | 7:04 min
Netanjahu sei angewiesen auf seine rechtsextremen Koalitionspartner "und die wollen den Gazastreifen besetzen". Das will Netanjahu nicht, aber ohne seine Partner müsste er sein Amt abgeben.
Geiselabkommen unwahrscheinlich
Kürzlich wurde eine Aussage von Generalmajor Nitzan Alon geleakt, der im Militär für die Geiselverhandlungen zuständig ist. Er sei mittlerweile verzweifelt und glaube, dass mit der aktuellen Regierung kein Geiselabkommen möglich sei, berichtet die israelische Tageszeitung "Haaretz". Mehrere Mitglieder der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus hatten gedroht, aus der Regierung auszutreten, wenn ein Geiselabkommen den Krieg beendet.
Das israelische Militär ist unterdessen mit Panzern in die Stadt Rafah eingedrungen.
Israel wird vom Internationalen Gerichtshof verpflichtet, den Einsatz in Rafah sofort zu beenden. Der IGH beurteilt die humanitäre Lage als desaströs und sieht Handlungsbedarf.24.05.2024 | 1:52 min
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