Schwierige Jobsuche:Arbeitslos trotz offener Stellen
von Anja Kollruß und Nico Schmolke
Trotz schwächelnder Wirtschaft werden weiterhin allerorts neue Mitarbeiter gesucht. Und das, obwohl 2,8 Millionen Menschen in Deutschland als arbeitslos gelten. Wie kann das sein?
Deutsche Unternehmen klagen über fehlende Arbeitskräfte. Gleichzeitig gibt es 2,8 Millionen Arbeitslose. Wie kann das sein? Wollen diese Menschen nicht arbeiten, oder können sie es nicht?01.05.2024 | 53:36 min
Experten sprechen bereits von der "Mismatch-Arbeitslosigkeit": Viele Arbeitslose ohne Berufsausbildung kommen auf viele offene Stellen mit höheren Anforderungen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gibt es derzeit knapp zwei Millionen Jobs zu vergeben.
So viele sind arbeitslos
ZDFheute Infografik
Ein Klick für den Datenschutz
Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den
Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Vermittlungshemmnisse erschweren die Jobsuche
Über die vergangenen zwei Jahrzehnte hat
die Arbeitslosigkeit in Deutschland abgenommen. Massenarbeitslosigkeit gibt es nicht mehr, stattdessen hat sich ein Sockel an verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit gebildet. Viele der Menschen gelten mittlerweile als "marktfern".
Die Jobcenter erfassen fünf formelle Vermittlungshemmnisse:
- schwerbehindert
- über 55 Jahre alt
- ohne Berufsabschluss
- mindestens ein Jahr trotz Suche ohne Job
- Wiedereinstieg nach längerer familiärer Auszeit
Bei den Arbeitslosen im
Bürgergeld fallen fast neun von zehn Personen in mindestens eine dieser Kategorien. Und fast die Hälfte der Menschen sogar in mindestens zwei. Muss man sich also damit abfinden, dass viele dieser Menschen den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt kaum wieder schaffen können?
Resozialisierung durch Beschäftigung: Der Verein Chance e.V. bietet Wege aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Mit Arbeit im Rikscha-Projekt, Sozialkaufhaus oder als Haushaltshilfe.04.09.2023 | 2:02 min
Eine halbe Million Alleinerziehende sind Bürgergeldempfänger
Sie war gerade auf Arbeit angekommen, da rief die Kita an: Ihr Kind habe sich übergeben, bitte abholen. Cindy (Nachname der Redaktion bekannt) fuhr sofort hin. Wenige Wochen danach war erst ihr Sohn krank, dann sie selbst, die Fehlzeiten summierten sich. Und schon war Cindy den Job als Haushaltshilfe wieder los. Nun ist sie seit drei Jahren arbeitslos.
Etwa 500.000 Alleinerziehende in
Deutschland beziehen Bürgergeld. Frauen wie Cindy sind eine Antwort auf die Frage, warum wir trotz knapp zwei Millionen offener Stellen fast drei Millionen Arbeitslose haben. So fehlt es zum Beispiel an
verlässlicher Kinderbetreuung über genügend Stunden pro Tag, um arbeitslose Eltern in Jobs zu bekommen. Zumeist sind es die Frauen, die darunter leiden.
Cindy ist arbeitslos und empfängt Bürgergeld. Eigentlich würde sie gerne arbeiten, findet aber keinen passenden Job, da ihr Sohn therapiebedürftig ist und Betreuung braucht. 01.05.2024 | 1:24 min
Heil: Totalverweigerer eine "sehr, sehr kleine Gruppe"
Die öffentliche Debatte wird hingegen bestimmt von den Totalverweigerern, die eine Arbeit ablehnen. Wie viele Menschen das sind, ist bis heute strittig. Arbeitsminister
Hubertus Heil (
SPD) spricht im Interview mit dem ZDF von einer "sehr, sehr kleinen Gruppe. Lassen Sie es einige 10.000 sein." Stattdessen weist er darauf hin, "dass es erhebliche Vermittlungshemmnisse gibt, also Menschen beispielsweise, die gesundheitliche Einschränkungen haben, oder viele Frauen, bei denen es auch um
Kinderbetreuungsfragen geht".
Bei
Frauen mit Migrationshintergrund kommen zusätzliche Hürden hinzu, wie die fehlende Anerkennung der ausländischen Bildungsabschlüsse. Je nach Herkunft kann auch ein traditionelles Rollenbild die Frauen ausbremsen - etwa wenn sie sich sehr der Familie verpflichtet fühlen oder den Mann um Erlaubnis bitten müssen. Während 78 Prozent der in Deutschland geborenen Frauen arbeiten, sind es bei Frauen, die im arabischen Raum oder der
Türkei geboren sind, nur 42 Prozent.
Die Stimmung ist schlecht. Steigende Preise belasten die Geldbörsen, Geringverdiener kommen kaum über die Runden. Gleichzeitig wird das Bürgergeld immer mehr zum Streitpunkt.24.03.2024 | 30:08 min
Arbeitslos und psychisch krank
Die
Gesundheit scheint neben der Kinderbetreuung ein weiteres großes Hemmnis für die Aufnahme von Arbeit zu sein. Auf Anfrage des ZDF teilen mehrere Krankenversicherungen mit, dass etwa ein Drittel ihrer versicherten Arbeitslosen eine
psychiatrische Diagnose aufweist.
Depressionen oder auch soziale Ängste halten viele Arbeitslose vom normalen Erwerbsleben fern, dazu kommen undiagnostizierte Erkrankungen sowie körperliche und chronische Leiden. In vielen Jobcentern laufen mittlerweile Projekte an, die sich der Betreuung psychisch kranker Arbeitsloser widmen, bislang aber nur einen kleinen Prozentsatz aller Betroffenen erreichen.
Hohe Fallzahlen, Anfeindungen, unzuverlässige Kunden: Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den deutschen Jobcentern klagen über die hohe Arbeitsbelastung.30.04.2023 | 30:17 min
Vor allem gesucht: Helfer-Stellen
Auch die
fehlende Qualifikation ist ein Problem. Schaut man allein auf die der Arbeitsagentur bekannten Stellengesuche, kommen auf eine sogenannte Helfer-Stelle fast zehn arbeitslose Hilfskräfte, also Menschen ohne abgeschlossene
Ausbildung. Für sie gibt es also gar nicht so viel Arbeit.
Ganz anders bei den
Fachkräften: Vor
Corona kamen noch fünf Fachkräfte auf eine entsprechende Stelle. Mittlerweile liegt das Verhältnis eher bei zwei zu eins. Bedenkt man, dass viele Stellen für Menschen mit besserer Qualifikation den Arbeitsämtern gar nicht gemeldet werden, ist der
Fachkräftemangel noch viel höher.
Die Sorge vor Missbrauch von Sozialleistungen wie dem Bürgergeld ist allgegenwärtig. Doch wie groß ist das Problem - und der finanzielle Schaden? Versuch einer Annäherung.
von Katja Belousova