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Arbeit in Deutschland:Jobmarkt: Warum es Ukrainerinnen schwer haben
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Knapp zwei Jahre sind viele Geflüchtete aus der Ukraine jetzt in Deutschland. Etwa jeder Fünfte hat bereits einen Job gefunden - doch vor allem Frauen stoßen auf große Probleme.
"Wir brauchen alle Beschäftigten", steht auf einem bunten Plakat im Jobcenter Berlin-Lichtenberg. Dieser Satz ist die Kernforderung des sogenannten "Zukunftsbilds", das im Büro der Geschäftsführung hängt - direkt neben einem Foto jenes Mannes, der diese Forderung umsetzen soll: Es zeigt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei seinem Besuch im Lichtenberger Jobcenter im September 2022.
Nur wenige Monate vorher hatte er angesichts der Fluchtbewegung aus der Ukraine im Bundestag verkündet: "Die Menschen, die vor Putins Krieg aus der Ukraine fliehen, brauchen sofortige humanitäre Hilfe, aber viele von ihnen brauchen auch eine dauerhafte Bleibeperspektive. Dafür müssen wir und werden wir einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt schaffen."
Ein Bild von Hubertus Heil hängt im Jobcenter Lichtenberg. Es zeigt seinen dortigen Besuch im September 2022.
Quelle: ZDF/Katja Belousova
Sprachkenntnisse reichen oft nicht aus
Doch wie steht es heute, knapp zwei Jahre nach dieser Ankündigung, um die Arbeitsmarktsituation geflüchteter Ukrainer*innen?
"Ich bin seit knapp zwei Jahren hier in Deutschland - und habe gerade meinen Sprachkurs mit dem Niveau B1 beendet", erklärt die Ukrainerin Larissa im Gespräch mit ZDFheute. Das Jobcenter Lichtenberg hat ein spezielles Beratungsteam für Geflüchtete - und ist zuständig für Menschen wie Larissa.
In der Ukraine arbeitete sie vor dem Krieg als Buchhalterin, würde gerne auch in Deutschland diesem Beruf nachgehen. Doch ihre Sprachkenntnisse reichen nicht aus - erschwerend kommt hinzu, dass sie alleinerziehende Mutter eines Sohnes ist.
Geflüchtete Frauen "haben es grundsätzlich schwerer"
Ihr Berater Frank Naumann* nennt dies den "klassischen Fall". Die Motivation, längerfristig gute Arbeit zu finden, sei hoch bei Geflüchteten wie Larissa. Doch die Sprachkenntnisse würden selbst bei einem B1-Niveau häufig nicht ausreichen. Auch die Anerkennung von Zeugnissen und Diplomen sei schwierig und dauere lange, unter anderem weil viele ukrainische Abschlüsse nicht mit den deutschen vergleichbar seien.
"Frauen haben es grundsätzlich schwerer, sich in die Arbeitsmärkte der Aufnahmeländer zu integrieren", erklärt Yuliya Kosyakova, Migrations- und Arbeitsmarktexpertin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. "Frauen arbeiten häufiger in sozialen Jobs und brauchen dafür sehr gute Sprachkenntnisse. Denken Sie an den Gesundheits-, Pflege- oder den Bildungs- und Erziehungsbereich", sagt sie.
Zudem sind diese Abschlüsse komplizierter anzuerkennen als etwa in klassischen 'Männerberufen' wie der IT-Branche oder bei Ingenieuren.
Yuliya Kosyakova, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit
Kita-Mangel belastet Frauen
Hinzu kämen strukturelle Probleme, wie der Mangel an Kita- und Betreuungsplätzen, die vor allem Frauen belasten würden. 80 Prozent der erwachsenen Geflüchteten aus der Ukraine sind Frauen, etwa die Hälfte hat minderjährige Kinder, zumeist im Vorschul- oder Grundschulalter. Viele von ihnen sind alleinerziehend - wie Larissa.
- Betreuungssituation: So viele Kita-Plätze fehlen in Ihrer Region
Jaroslaw hatte bei der Jobsuche bislang mehr Erfolg. 2022 flüchtete der Familienvater aus seiner Heimat und lebt heute mit seiner Familie in einer Stadt im Westen Deutschlands. Der Ukrainer hat gleich zwei Jobs auf dem Bau, reist dafür durchs ganze Land.
"Es ist sehr anstrengend, aber ich kann damit meine Frau und meine drei Kinder gut über Wasser halten", erzählt er ZDFheute. Sein nächstes Ziel ist, seinen ukrainischen Bagger-Führerschein anerkennen zu lassen.
Bundesregierung will "Job-Turbo"
Etwa jeder fünfte Geflüchtete aus der Ukraine hat wie Jaroslaw mittlerweile einen Job in Deutschland gefunden. "Wenn nach knapp zwei Jahren etwa 20 Prozent der ukrainischen Geflüchteten einen Job gefunden haben, ist das gar nicht so wenig", sagt Lutz Reinhofer, Leiter in der Geschäftsführungsebene des Jobcenters Lichtenberg.
Diese Zahl will die Bundesregierung nun durch den sogenannten Job-Turbo weiter anheben - Reinhofer und sein Team sind vor Ort zuständig für die Umsetzung. Ziel ist es, mehr ukrainische Geflüchtete aus dem Bürgergeld raus in Jobs zu vermitteln. Das geschieht auch vor dem Hintergrund geplanter Haushaltskürzungen der Bundesregierung. 500 Millionen Euro sollen so gespart werden.
"Schnelle und nachhaltige Integration"
"Das Ziel des Job-Turbos - eine schnelle und nachhaltige Integration - halte ich für sinnvoll", erklärt Expertin Kosyakova.
Erste Arbeitsmarkterfahrungen, auch in Form eines Praktikums nach dem Integrationskurs, der ja erste Deutschkenntnisse mit einschließt, können auch helfen, erworbene Sprachkenntnisse zu nutzen und zu erweitern.
Yuliya Kosyakova, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit
Das sei aber nur dann sinnvoll, wenn die Menschen auch in eine Arbeit vermittelt würden, die ihren fachlichen Qualifikationen annähernd entspricht. "Wenn eine ausgebildete ukrainische Pflegehelferin nach dem Sprachkurs vom Jobcenter in einen Putzjob vermittelt würde, wäre das nicht sehr zielführend", sagt Kosyakova. Genau das befürchten manche Ukrainer*innen.
Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt?
Und Lutz Reinhofer gibt noch etwas anderes, grundsätzlicheres zu bedenken: "Ob der Job-Turbo zündet, hängt auch davon ab, wie sich der Arbeitsmarkt 2024 entwickeln wird. Und angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage bleiben da einige Herausforderungen."
Während Reinhofer das im Konferenzzimmer des Lichtenberger Jobcenters erzählt, ist hinter ihm Hubertus Heil zu sehen. Auf dem Bild des Besuchs im September 2022. Das Gesicht des Arbeitsministers wirkt ernst.
*Name von der Redaktion geändert
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