Es geht um Respekt, Anti-Diskriminierung und Gleichberechtigung bei den Weltmeisterinnen aus Spanien. Erst der übergriffige Kuss des Verbandspräsidenten bei der Siegerehrung brachte den Stein erst so richtig ins Rollen.
Quelle: Reuters/Bruna Casas
Es wird kein gewöhnliches Fußballspiel am Freitagabend in Göteborg. Und das liegt nicht daran, dass mit dem Weltranglistenersten Schweden und dem Zweiten, Weltmeister Spanien, die aktuell besten Frauenteams aufeinandertreffen. Oder dass das nun auch bei ihnen erstmals im Rahmen einer Uefa Nations League stattfindet.
Es liegt an den Zuständen im spanischen Fußballverband, die sich auch über einen Monat nach dem berüchtigten Kuss von Ex-Präsident Luis Rubiales auf den Mund von Jenni Hermoso bei der
WM-Siegerinnenehrung nicht beruhigt haben. Im Gegenteil: Diese Woche erfuhren die Turbulenzen auch ohne den nach langer Amtsbeharrung schließlich zurückgetretenen Rubiales einen neuen Höchstausschlag.
Die neue Trainerin irritiert ein ganzes Land
Am Montag nämlich nominierte die zur Nachfolgerin des entlassenen WM-Trainers Jorge Vilda beförderte Montse Tomé gegen alle Erwartungen einen Kader voller Spielerinnen, die noch drei Tage zuvor aus Protest gegen ausbleibende Reformen ihren Nationalelf-Boykott erneuert hatten. Die Irritation darüber war epochal.
Am Dienstag tauchten die Spielerinnen am Teamquartier auf - weil sie es mussten. Das spanische Sportrecht verpflichtet zur Folgeleistung einer Auswahlberufung. Die Bilder gedemütigter Spielerinnen auf dem Weg zur "Selección" schockierten das Land.
Zwei Spielerinnen reisen wieder ab
Bis zum Mittwochmorgen um fünf Uhr wurde daraufhin unter Regierungsvermittlung zwischen Spielerinnen und Verband verhandelt. Das Ergebnis: Bis auf Innenverteidigerin Mapi León und Patri Guijarro, die bereits seit dem Beginn der ersten Streikbewegung vor einem Jahr im Ausstand sind,
blieben die übrigen 21 Auserwählten. Dafür bekamen sie endlich weitgehende Reformen versprochen.
Sie hätten seit Wochen nicht mehr als vier Stunden pro Nacht geschlafen - mit allem, was das für Leistungssportler bedeutet - sagte Alexia Putellas nun am Donnerstagabend am Spielort in Göteborg. Aber das sei nötig gewesen. "Ich glaube wirklich, dass dieses Treffen ein Vorher und Nachher markiert", so die zweifache Weltfußballerin, und zwar "für unseren Sport, den Frauensport und auch die Gesellschaft".
Systematische Diskriminierung über Jahrzehnte
Jahrzehntelang hätten die Spielerinnen gegen "systematische Diskriminierung" im spanischen Verband gekämpft, so Putellas. Der Übergriff von Rubiales gegen Hermoso und die folgende Verbandstagung, als der Präsident gegen einen "falschen Feminismus" lederte, seien die "Tropfen gewesen, die das Fass zum Überlaufen brachten."
Nun sind die Spielerinnen zumindest vorsichtig optimistisch. "Wir sind geblieben, um den Prozess weiter zu betreuen", sagte Abwehrchefin Irene Paredes. Spaniens Regierung - die Rubiales vor dem WM-Skandal lange stützte - sei "zu spät" in die Angelegenheit eingestiegen, fügte sie hinzu, aber jetzt immerhin "mit Entschlossenheit".
Der Chefmanipulator muss gehen
Eine gemeinsame Kommission aus Spielerinnen, Verband und staatlicher Sportaufsicht CSD soll die Veränderungen begleiten und überwachen. Konkret wurde am Mittwochabend bereits Verbandsgeneralsekretär Andreu Camps entlassen. Eine Figur, die der Öffentlichkeit wenig bekannt war - den die Spielerinnen aber als Hauptverantwortlichen für Chauvinismus und Manipulationen kannten.
Den Streit zwischen Spaniens Fußball-Weltmeisterinnen und dem Verband erklärt Madrid zur Staatssache. Einige der streikenden Weltmeisterinnen beugen sich dem Druck und reisen an.
Miguel Ángel Galan, Chef der spanischen Trainervereinigung, schrieb dazu: "Adiós Machiavelli. Das Ende von Andreu Camps war wichtiger als der Rücktritt von Rubiales." Unter Teamquellen gilt zudem als ausgemacht, dass Tomé nach dem Spiel gegen die Schweiz am Dienstag den Trainerjob wieder abgeben muss. Auch sie gilt spätestens nach der Nominierungsfarce als Figur des alten Regimes.
Schwedinnen planen Solidaritätsaktion
Für das anstehende Match hat derweil Schwedens Kapitänin Kosovare Asllani eine spezielle Aktion angekündigt: "Wir werden den Spanierinnen unsere Unterstützung zeigen." Wenn es in Göteborg um ein Fußballspiel geht - und um noch viel mehr.
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