Männer-Dominanz im Fußball:Nach Rubiales-Aus: "Das System wankt"
von Klemens Hempel
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Skandalpräsident Rubiales hatte die spanische Fußball-Weltmeisterin Hermoso gegen ihren Willen geküsst. Nach Wochen des Gezerres tritt er ab. Was sagt das über den Fußball aus?
Ein Wort des Bedauerns kam Luis Rubiales bis zum Ende nicht über die Lippen. Exakt drei Wochen nach seinem Übergriff auf Jennifer Hermoso ist er als spanischer Verbandspräsident zurückgetreten - es waren 27 entlarvende Tage für das Männer-System Profifußball.
"Dies ist ein Zeichen dafür, dass das Wertesystem des sehr stark auf Machismo basierenden Fußballs ins Wanken geraten ist. Das ist gut so", sagt Prof. Dr. Bettina Rulofs. Als Diversitätsforscherin untersucht sie an der Deutschen Sporthochschule in Köln unter anderem Gewalt und Diskriminierung im Sport. Im Gespräch mit ZDFheute analysiert sie das System hinter dem Rubiales-Skandal.
... forscht zu psychischer und sexualisierter Gewalt im Sport. Seit Oktober 2021 ist sie Professorin für Diversitätsforschung im Sport im Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln.
Bei der WM-Siegerinnenerhung hatte Rubiales Jenni Hermoso gegen deren Willen auf den Mund geküsst. Für Rulofs allerdings nur die Spitze des Eisbergs: "Wir müssen den Kuss eingebettet sehen in ein System von Handlungen. Die Kette an Handlungen macht deutlich: Es ist nicht nur der Kuss, dies ist eingebettet in ein System von männlicher Überlegenheit, das im Fußball lange gegolten hat und zum Teil noch immer fortgeschrieben wird."
Statt einer Entschuldigung folgten auf den Übergriff - noch mit Unterstützung des Verbandes RFEF - Klageandrohungen gegenüber Hermoso. "Manche Männer tragen dort eine altüberkommene Selbstverständlichkeit in sich: Dass sie es sich aufgrund ihrer Position herausnehmen dürften, Frauen so zu behandeln", erklärt Rulofs.
Jennifer Hermoso nach der WM wieder bei ihrem Verein in Mexiko.
Quelle: Reuters
Hermosos Reaktion für Wandel verantwortlich
Dieses strukturelle Problem finde sich bereits im Ablauf einer Siegerehrung wieder: "Die Funktionäre stehen auf einem Podest und die Spielerinnen kommen vorbei, um sich die Würdigung des Funktionärs abzuholen. Allein diese Inszenierung drückt schon eine Unterlegenheit der Spielerin aus."
Rulofs sieht Hermosos Umgang mit dem Übergriff im Nachhinein als mitentscheidend, um einen Wandel auszulösen: "Ich finde es bemerkenswert, dass Jennifer Hermoso öffentlich gesagt hat: 'Ich wollte das nicht.' Das ist enorm wichtig. Damit wird sie zum Vorbild."
Ermittlungen gegen Rubiales laufen
Bei ihren Studien erfahre die Sportsoziologin die enorme Bedeutung von Vorbildern im Umgang mit sexuellem Missbrauch. Betroffene schilderten immer wieder "es sei in ihrem Umfeld normalisiert gewesen, dass Grenzen überschritten werden."
Der gesellschaftliche Umgang, starke Opfer als Vorbilder, die Gesetzeslage - essenzielle Faktoren im Umgang mit sexueller Gewalt, über denen auch Luis Rubiales letztlich nicht erhaben war. Ein bis vier Jahre Haft drohen dem Ex-Verbandschef bei einer Verurteilung, sollte das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zu einem Prozess führen. Unabhängig davon ist der Skandal für Rulofs ein "Meilenstein":
Luis Rubiales muss sich vielleicht bald vor Gericht verantworten. Die spanische Staatsanwaltschaft hat nach dem Kuss-Skandal Anklage gegen den Chef des Fußballverbandes erhoben.
Umgang mit Missbrauchsfällen wichtig
"Junge Mädchen und Frauen realisieren durch die gesellschaftliche Auseinandersetzung: Da verändert sich etwas, das alte System wankt", blickt die Sportsoziologin hoffnungsvoll in die Zukunft. Inzwischen ist Rubiales auch im UEFA-Exekutivkomitee ausgemustert - das Geschlechterverhältnis steht damit bei 17:1.
Die strukturellen Veränderungen brauchen Zeit, erst recht in Führungsgremien. Notwendig sind sie ebenso im akuten Umgang mit Missbrauchsfällen, so Rulofs: "Wir brauchen unabhängige Ansprechstellen außerhalb der Verbände - die aber wiederum in die Verbände hinein intervenieren können, um zum Beispiel Sanktionen auszusprechen. In Deutschland wird das momentan mit dem Zentrum für Safe Sport angedacht."