Wie Russland ukrainische Getreidebauern einschüchtert
Ukraines Bauern als Angriffsziel:Wie lange lohnt sich der Getreideanbau noch?
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Russland hat den Getreidedeal aufgekündigt - Exporte aus der Ukraine sind nun nur auf Donau, Straßen oder per Eisenbahn möglich. Wie lange lohnt sich der Anbau noch für die Bauern?
Getreideexporte aus ihren Schwarzmeerhäfen sind für die Ukraine nicht mehr möglich. Doch der Transport auf alternativen Routen kostet die Bauern viel mehr Geld und wird zunehmend riskant.
Quelle: Imago
Der Sommerwind trägt den Geruch von verbranntem Getreide über die südukrainische Steppe. Weg von den Trümmern der drei russischen Marschflugkörper, die in die unscheinbaren Metallsilos eingeschlagen sind.
Männer mit nacktem Oberkörper und blanken Füßen, die Sohlen schwarz von Asche, fegen unverbranntes Getreide zusammen und warten auf den Lader, dessen Fahrer geschickt verbogenes Metallschrapnell, Raketenstückchen und Krater umkurvt.
Das Agrarunternehmen Iwuschka hatte in diesem Jahr eine Genehmigung für den Export von Getreide beantragt, aber der Angriff Mitte Juli zerstörte einen großen Teil seines Lagerbestandes - Tage nachdem Russland aus dem Deal ausgestiegen war, der sichere Ausfuhren über das Schwarze Meer ermöglicht hatte.
Angriffe nach Ende von Getreide-Deal
"Ich habe keine Ahnung, warum sie das getan haben", sagt die Chefin von Iwuschka, Olha Romanowa, während sie an der Seite ihrer Angestellten Überreste zusammenkehrt, und meint den Angriff auf ihre Silos. Schließlich sind keine militärischen Einrichtungen in der Nähe und die Frontlinien weit von ihrem Dorf in der Region Odessa entfernt.
Die Raketen, die die Silos zerstörten, sind umgerechnet Millionen Euro wert - weit mehr als die Ernteerzeugnisse, die sie vernichteten.
Iwuschka war nicht das einzige Angriffsziel in der Region. Auch der Haupthafen von Odessa wurde getroffen. 95 Prozent der ukrainischen Getreideexporte waren von Schwarzmeerhäfen aus erfolgt, bevor Russland Ende Februar 2022 seinen Angriffskrieg begann, wie Joseph Glauber vom International Food Policy Research Institute sagt.
Der von den UN sowie der Türkei vermittelte Deal erlaubte es der Ukraine, einen großen Teil ihres 2021 und 2022 geernteten Getreides auf diesem Weg zu verschiffen.
Quelle: dpa
Die Ukraine zählt zu den weltgrößten Exporteuren von Mais, Weizen, Gerste und Gemüseöl. Sie lieferte unter der fast ein Jahr lang gültigen Vereinbarung 32,9 Millionen Tonnen Getreide von ihren Schwarzmeerhäfen aus ins Ausland. Außerdem war es ihr möglich, pro Monat zusätzliche 2 bis 2,5 Millionen Tonnen auf der Donau, dem Straßenweg und per Eisenbahn durch Europa zu befördern.
Vom 1. Juli 2022 bis zum 30. Juni dieses Jahres hat das Land 68 Millionen Tonnen Getreide exportiert, wie Statistiken von Mykola Horbatschow, dem Chef des ukrainischen Getreideverbands, besagen.
Demnach wurden 11,2 Millionen Tonnen per Bahn, 5,5 Millionen auf dem Straßenweg und etwa 18 Millionen Tonnen via Donauhäfen transportiert.
Der Rest, fast die Hälfte des gesamten Exportes - knapp 33 Millionen Tonnen -, wurde im Zuge des Deals in Häfen am Schwarzen Meer verschifft.
Quelle: AP
Wie lange kann Flussroute noch genutzt werden?
Straßen, Eisenbahnschienen und Flüsse sind jetzt die einzigen Exportrouten, die dem Land noch verblieben sind. Aber die kosten die Getreidebauer weit mehr Geld, wie Glauber, früherer Chefökonom im US-Agrarministerium, erklärt. Und russische Raketenangriffe auf den Donauhafen Reni, der direkt an der Grenze zu Rumänien liegt, am Montag vergangener Woche haben die Frage aufgeworfen, wie lange der Flussweg noch benutzt werden kann.
Das ist alles andere als ein Anreiz, weiter Felder zu bewirtschaften, die ohnehin schon von Raketen bedroht und teils mit Minen übersät sind. Analysten zufolge ist die Erzeugung von Mais und Weizen in der von der Landwirtschaft abhängigen Ukraine 2023 bereits um fast 40 Prozent im Vergleich zu Vorkriegsmengen zurückgegangen.
Viele Exporte liefen über das Schwarze Meer
Ihor Osmatschko, Generaldirektor der Agroprosperis Group, sagt, dass ihn Russlands Aufkündigung der Vereinbarung nicht überrascht habe. Sein Unternehmen habe sie nie für eine zuverlässige oder dauerhafte Lösung in Kriegszeiten gehalten.
Die Russen hätten die Abmachung häufig behindert, indem Schiffsinspektionen verzögert worden seien, bis die Frachten dann zurückgeschickt wurden - was seine Firma allein umgerechnet gut 27 Millionen Euro gekostet habe.
Jetzt ist sie wieder gezwungen, 100.000 Tonnen Getreide, das in nunmehr nicht mehr sicheren Häfen festsitzt, auf anderen Routen zu befördern, wie Osmatschko sagt. Er schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der etwa 3,2 Millionen Tonnen, die Agroprosperis im vergangen Jahr nach China, Europa und in afrikanische Länder geliefert hat, durch den Getreidekorridor - über das Schwarze Meer - transportiert wurden.
Bauern tragen Schutzwesten bei der Ernte
"Das bedeutendste Problem heute sind die Logistik-Kosten", erläutert Horbatschow vom Getreideverband. Demnach haben Bauern vor dem Krieg umgerechnet etwa 18,1 bis 22,7 Euro pro Tonne Getreide für die Beförderung zu den Odessa-Häfen bezahlt.
Jetzt sind sie gezwungen, mehr als 91 Euro hinzublättern, um eine einzige Tonne auf alternativen Routen über den Donauhafen Reni in die rumänische Hafenstadt Constanta am Schwarzen Meer zu bringen.
Die Arbeit auf den Feldern ist schon riskant genug. In der Region Sumy an der russischen Grenze tragen Agroprosperis-Bauern Schutzwesten bei der Ernte. Manchmal müssen sie ihre Mähdrescher inmitten der Weizenfelder anhalten, um Schrapnell von russischen Geschossen aufzulesen.
"Es kann manchmal schwer werden", sagt Osmatschko. "Aber es gibt Verantwortlichkeiten. Manche haben Pflichten an der Front. Manche müssen Nahrung anbauen und die (Nahrungsmittel-)Sicherheit des Landes und der Welt gewährleisten."
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.