Russland zwischen Normalität und Ausnahmezustand

    Sanktionen gegen Russland :Zwischen Normalität und Ausnahmezustand

    von Marilen Martin
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    Russland ist das aktuell meistsanktionierte Land der Welt. Im Alltag sind die Auswirkungen wenig spürbar. Das kann jedoch nicht über die tieferliegenden Probleme hinwegtäuschen.

    Verkaufstresen des McDonald's-Nachfolgers Wkusno i totschka in Moskau
    Ehemalige Filialen von McDonald's firmieren inzwischen häufig unter der Marke "Wkusno i totschka" - "Lecker und Punkt".
    Quelle: epa (Archiv)

    Im März 2022 verkündigte McDonald's seinen Rückzug aus Russland als Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Heute vor einem Jahr öffnete die russische Version der Fast-Food-Kette: Wkusno i totschka - "Lecker und Punkt".
    Obwohl McDonald's eines von über tausend Unternehmen ist, die sich entschieden haben, das Land zu verlassen, sind die meisten Firmen in Russland geblieben. Darunter sind auch deutsche Unternehmen wie Metro, New Yorker und Ritter Sport. Wie ein Bericht der unabhängigen russischen Zeitung "Nowaya Gaseta" zeigt, profitieren viele der Unternehmen immens davon: die österreichische Raiffeisen Bank konnte ihren Nettogewinn im letzten Jahr fast vervierfachen. 

    200 Milliarden Euro
    :EU friert russisches Geld ein

    Die EU-Staaten haben 200 Mrd. Euro der russischen Zentralbank festgesetzt. Doch Brüssel darf das Geld nicht beschlagnahmen: Sobald die Sanktionen aufgehoben werden, geht es zurück.
    Das Gebäude der russischen Zentralbank in Moskau.

    Sanktionen "weitgehend unsichtbar" 

    Im Alltag sind die Sanktionen - abgesehen von Preisanstiegen - "für die meisten Russen, die im Land geblieben sind, weitgehend unsichtbar", so Alexandra Prokopenko, Gastwissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
    Ein Student aus Moskau beschreibt, dass man nicht sehen würde, "dass es irgendjemandem in seinem täglichen Leben viel schlechter geht".

    Einbruch der Einnahmen 

    Und doch ist es nicht wie zuvor. Es sind nicht nur die neuen Plakate, die für die russische Armee werben. Dem Land fehlen kritische Einnahmen durch den Verkauf von Öl und Gas, da der europäische Markt weggebrochen ist. Zudem sind die Preise dafür durch den Preisdeckel der G7 gefallen.
    Vergleicht man die Einnahmen durch den Ölhandel von Februar 2023 mit Februar 2022, so sind die Einnahmen um fast die Hälfte eingebrochen. Dadurch steigt das Haushaltsdefizit, weswegen der Staat weniger Geld zur Verfügung hat, um den Krieg zu finanzieren.
    Auch andere Bereiche wie der IT-Sektor stehen langfristig vor Herausforderungen, da Tausende hochqualifizierte Arbeitskräfte Russland verlassen haben. "Damit hat Russland die Tür einer Zukunft im IT-Sektor für immer zugeschlagen, ohne dass dies der russischen Regierung wirklich bewusst ist", sagt der Ökonom Michael Rochlitz von der Universität Bremen.

    Daten zu Russlands Wirtschaft wenig verlässlich

    Hinzu kommt die fehlende Verlässlichkeit der Daten zu Russlands Wirtschaft. Laut den Ökonomen Jeffrey Sonnenfeld und Steven Tian von der Yale-Universität sind die Veröffentlichungen zum BIP nicht verifizierbar. Zahlreiche weitere Indikatoren verschweige der Kreml.
    "Wenn Putin gute Nachrichten hätte, würde er sie veröffentlichen", so Sonnenfeld. Ihm zufolge hat Wladimir Putin "die letzten 30 Jahre Russlands wirtschaftlichen Fortschritts zerstört".

    Komplexe Waffen: Russland braucht Chips aus China  

    Die Sanktionen erschweren zudem die Herstellung komplexer Produkte, die auf Importe angewiesen sind. "Russland hat bereits den Zugang zu Schlüsseltechnologien verloren", so Alexandra Prokopenko von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Wichtig seien dabei auch Halbleiter, die nicht nur in Handys und Kühlschränken essenziell sind, sondern auch in allen modernen Waffensystemen.
    Laut Dmitri Alperovitch, dem Mitbegründer des Cybersicherheitsunternehmens CrowdStrike, war es nie realistisch, das russische Militär von der Versorgung mit Halbleitern auszuschließen. 

    Die meisten der Chips, die man für militärische Systeme benötigt, sind relativ billig und leicht erhältlich. Zudem lassen sie sich aufgrund ihrer Größe einfach in einen Rucksack packen und über die Grenze bringen.

    Dmitri Alperovitch, Silverado Policy Accelerator

    Inzwischen ist Alperovitsch für die gemeinnützige Organisation Silverado Policy Accelerator tätig. Für komplexere Waffensysteme werden jedoch aufwändigere Halbleiter gebraucht, die China bisher noch nicht liefern kann. Dennoch wird das Ökonom Rochlitz zufolge Russland nicht davon abhalten, den Krieg weiterzuführen. 

    Experte: Sanktionen haben Ziel erreicht 

    Dem Volkswirtschaftler Rochlitz zufolge haben die Sanktionen trotzdem ihr Ziel erreicht: Für Russland sei es schwieriger geworden, diesen Krieg zu führen. "Darüber hinaus senden die Sanktionen das deutliche Signal, dass wir diesen Krieg nicht hinnehmen." 
    Sanktionen reichten zwar nicht aus, um den Krieg zu beenden - wichtig seien sie dennoch: 

    Wenn wir die Sanktionen jetzt aufgeben würden, dann würde Russland sich nicht zurückziehen, sondern diese Ressourcen in diesen Krieg werfen.

    Michael Rochlitz, Ökonom von der Universität Bremen 

    Für einen Sieg der Ukraine sei eine Aufrechterhaltung der Sanktionen daher essenziell. 
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