Militärhistoriker nach Kachowka-Dammbruch: Wasser als Waffe
Militärhistoriker zu Damm-Bruch:Wie Wasser als Waffe eingesetzt wird
von Dalia Antar
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Das Wasser des zerstörten Kachowka-Staudamms überschwemmt Dutzende Orte in der Ukraine. Aber welchen militärischen Nutzen hat das? Eine Einordnung von Militärhistoriker Neitzel.
Militärhistoriker Sönke Neitzel schätzt die Folgen des Dammbruchs für den weiteren Kriegsverlauf als gering ein. "Es hat einen Einfluss, aber der Einfluss ist - insgesamt auf einen Krieg betrachtet - begrenzt", sagte er ZDFheute. Kriege seien von so vielen Faktoren abhängig, dass Ereignisse wie zerstörte Staudämme im gesamten Kriegsverlauf "Fußnoten" seien.
Wasser als Waffe: Welche Beispiele gibt es aus der Vergangenheit?
Das zeige ein Blick in die Vergangenheit: Im Zweiten Weltkrieg sei im ukrainischen Saporischschja von der Roten Armee ein Damm gesprengt worden. "Die Deutschen haben ihn dann bis 1943 wieder aufgebaut und im Herbst 1943 bei ihrem Rückzug auch wieder gesprengt", erklärt Neitzel. Auch sonst seien im Ersten und Zweiten Weltkrieg Wassermassen als Waffe eingesetzt worden.
Unter anderem die Briten hätte im Ersten und Zweiten Weltkrieg Schleusen geöffnet oder Dämme gesprengt. "All diese Fälle haben durchaus einen lokalen Einfluss gehabt." Sie hätten in einigen Fällen in der Vergangenheit sogar Hunderte oder Tausende Menschen getötet.
Sie hätten aber eigentlich keinen namhaften Verlauf auf den Krieg genommen, sagt Neitzel.
Mögliche ukrainische Gegenoffensiven seien nicht wesentlich von den Folgen der Damm-Zerstörung betroffen, glaubt Neitzel. Auch die Rote Armee habe durch die Damm-Sprengung 1941 den Vormarsch der Wehrmacht nicht wesentlich aufhalten können - die Wehrmacht habe an anderer Stelle den Dnipro überquert.
Die riesigen Wassermassen des Kachowka-Stausees überfluten die Gebiete flussabwärts am Dnjeprs. Timm Kröger berichtet aus Cherson. 07.06.2023 | 3:09 min
Durch die aktuelle Überflutung in der Region Cherson wird laut dem Militärhistoriker zwar das Vorankommen erschwert - insbesondere mit Fahrzeugen. Aber: "Mein entscheidendes Argument ist, dass aus dieser Region eigentlich keine wirklichen Operationen geführt werden." Es sei "sehr, sehr unwahrscheinlich, dass die Ukrainer über diesen Fluss hinweg einen Angriffsschlag führen". Genauso unwahrscheinlich sei es, dass die Russen über den Fluss hinweg angreifen würden.
Quelle: ZDF
Wer ist für die Zerstörung des Damms verantwortlich?
Ob Russland oder die Ukraine verantwortlich sind, ist aktuell unklar. Moskau und Kiew beschuldigen sich gegenseitig. Für Neitzel sieht es aber so aus, "als ob die russische Seite, die ja auch den Damm vermint hat, das gezündet hat". Grund dafür könne der unwahrscheinliche Fall sein, dass die Ukraine über den Dnipro hinweg angreifen könnte, erklärt Neitzel. Möglicherweise habe Russland das mit einer Sprengung verhindern wollen.
Die ukrainische Seite sprengte zu Beginn des russischen Angriffskrieges im Norden von Kiew einen Damm in Irpin, um den russischen Vormarsch zu verlangsamen. Dabei sei in Kauf genommen worden, dass Felder überflutet werden, so Neitzel. Die Überschwemmung war laut Neitzel deutlich kleiner als beim Kachowka-Staudaumm.
Die Ukraine verteidige damit aber den eigenen Staat und führe nicht - wie Russland - einen Aggressionskrieg gegen ein anderes Land. Das sei ein Unterschied, betont Neitzel, wobei die Folgen für Landwirtschaft und Menschen gleichermaßen negativ seien.
Wem nutzt die Überschwemmung?
Ein deutlicher Nutzen sei laut Neitzel noch nicht absehbar. "Ich sehe das eher als einen Teil dieser psychologischen Kriegsführung, ein Teil der Vorbereitung. Die Ukraine will eine Gegenoffensive führen, die Russen versuchen, genau das verhindern." Er könne derzeit keinen entscheidenden militärischen Vorteil für beide Seiten erkennen.
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