Beitrittsperspektive:Ukraine: Die große Streitfrage der Nato
von Florian Neuhann
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In Oslo treffen sich ab heute die Außenminister der Nato. Die große Streitfrage: Was kann die Allianz der Ukraine anbieten - eine Perspektive für einen Beitritt?
Beratungen in Oslo: NATO-Chef Stoltenberg (r.) und Norwegens Ministerpräsident Store
Quelle: Imago
Im Nato-Hauptquartier haben sie längst angefangen, die Tage zu zählen. Also: Es sind heute noch 41 - bis sich die Allianz am 11. Juli zu ihrem Gipfel im litauischen Vilnius trifft. Dort will man den ukrainischen Präsidenten Selenskyj persönlich empfangen. Und dort will die Allianz der Ukraine etwas anbieten.
Die große Frage ist nur: was? Steht die Ukraine bald vor dem Nato-Beitritt, gibt es einen konkreten Fahrplan? Weitere Waffen? Oder nur ein paar schöne Bilder? Wie die Nato sich hier positioniert - es ist die vielleicht wichtigste geopolitische Frage dieser Tage. In Oslo, beim Außenministertreffen der Nato, steht nur sie auf der Tagesordnung. Denn noch, so berichten hochrangige Diplomaten, gehen die Vorstellungen in der Allianz hier weit auseinander.
Wie besorgt ist man bei der Nato über die Angriffe auf russisches Territorium? ZDF-Korrespondent Florian Neuhann mit einer Einschätzung:
Die Ausgangslage
Dass die Ukraine der Nato "irgendwann" beitreten wird: Das ist die offizielle Beschlusslage der Allianz seit dem Gipfel von Bukarest 2008. Damals hatten sich die Mitgliedstaaten nicht auf eine konkrete Beitrittsperspektive einigen können. Es blieb bei einer vagen Zusage - die danach nie mit Leben gefüllt wurde.
"Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffes jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechtes der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, […]." Quelle: www.bmvg.de
Und so stand die Ukraine nie unter dem Schutz des Artikel 5 - der Beistandspflicht, dem Kern des Nato-Vertrags. Russland konnte die Ukraine angreifen, ohne ein direktes Eingreifen der Atommächte und Nato-Mitglieder aus den USA, Großbritannien oder Frankreich fürchten zu müssen.
Dann kam der Krieg
Durch den Krieg aber bekam die Frage des Nato-Beitritts neuen Schwung. Im Herbst 2022 stellte der ukrainische Präsident Selenskyj öffentlichkeitswirksam erneut einen Beitrittsantrag. Seitdem lässt seine Regierung keine Gelegenheit aus, für einen Beitritt zu werben.
Doch eigentlich ist klar: Solange der Krieg läuft, kann die Nato die Ukraine kaum aufnehmen. Denn sofort stünde die Nato mit im Krieg. Eine Konfrontation, die niemand will.
Stoltenbergs Reise - und eine Änderung im Tonfall
Und trotzdem - als Nato-Generalsekretär Stoltenberg jüngst nach Kiew reiste, da formulierte er offener als jemals zuvor.
Ein Satz, der Erwartungen weckte.
In der Tat hat sich die Diskussion in der Allianz verschoben. Durch den Krieg ist die Ukraine so nah an die Nato herangerückt wie nie zuvor. Kein Mitgliedsland wird so sehr militärisch unterstützt wie die Ukraine - keines verteidigt so sehr die Freiheit der Nato-Staaten in Osteuropa wie die Ukraine.
Aber ein Beitritt? Zuletzt trat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz auf die Bremse:
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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Das Minimum: Aus der gemeinsam "Kommission" wird ein "Rat"
Denkbar wäre, dass die Allianz der Ukraine einen "Membership Action Plan" anbietet - die offizielle Vorstufe zu einer Mitgliedschaft. Wahrscheinlich ist das nicht. Viel eher wird man die Ukraine mit einer Aufwertung der gemeinsamen "Nato-Ukraine-Kommission" abspeisen: Daraus könnte ein formeller, regelmäßig tagender "Nato-Ukraine-Rat" werden. Es wäre das absolute Minimum.
Gemeinsame Linie gesucht
Es gibt Stimmen in der Allianz, ob aus Osteuropa oder auch aus England, die sagen: Gerade jetzt brauche es ein viel stärkeres Signal. Und es gibt andere, die halten die ganze Diskussion für unsinnig - auch, weil sie dem russischen Präsidenten Putin nur einen weiteren Vorwand liefern könne: für eine Eskalation dieses Kriegs.
Nach dem Außenministertreffen in Oslo werden es noch 39 Tage sein bis zum Gipfel. Nicht mehr viel Zeit, um eine gemeinsame Linie zu finden.