Gestern Nachmittag ploppten doch noch positive Eilmeldungen auf, rechtzeitig vor dem Abflug von
Olaf Scholz (
SPD) zur Weltklimakonferenz. "COP28 beschließt
Arbeitsaufnahme von Fonds zu Klimaschäden", hieß die erste. Und dazu, wenig später: "Berlin sagt 100 Millionen Dollar für Loss-and-Damage-Fonds zu". Bei flüchtigem Lesen könnte man meinen: Läuft doch. Die Ampel erfüllt ihren selbst erteilten Auftrag - und treibt die Welt beim Klimaschutz an.
Stimmt ja auch: Es ist nicht alles schlecht. Der genannte Topf soll besonders vulnerablen Menschen helfen, in besonders betroffenen Weltregionen - lange war hierum politisch gerungen worden, das Ergebnis der Mühe wert. Und auch Scholz' Prestigeprojekt, der sogenannte Klimaklub, dessen Mitglieder sich einen gemeinsamen CO2-Mindestpreis vorschreiben, soll in Dubai nun offiziell starten - und bleibt auch dann eine verdienstvolle Idee, wenn die Großemittenten China und Indien erstmal sagen: danke, aber erstmal ohne uns.
Die Klimaschutz-Bremsen: Krise, Krieg und Koalitionsvertrag
Schaut man allerdings aufs große Bild, und darum geht es ja
bei der alljährlichen Weltklimakonferenz, so zeigt sich: Weder befindet sich die Erde auf jenem Pfad, den sie sich
2015 in Paris selbst verordnet hatte - noch agiert Deutschland als jenes kraftvolle Vorbild, das
Grüne und viele in der
SPD (inzwischen nicht mehr ganz so viele) zum Beginn der
Ampel entschlossen geben wollten.
Die erste von drei zentralen Bremsen beim Klimaschutz der Ampel war schon in den Koalitionsvertrag hineinbuchstabiert: "Die Einhaltung der Klimaziele werden wir anhand einer sektorübergreifenden und (…) mehrjährigen Gesamtrechnung überprüfen", hieß es darin, dieses Jahr einigte man sich auf die Umsetzung - die nichts weniger bedeutet als ein Entkernen des Klimaschutzgesetzes der Vorgängerregierung.
Eine Einladung zum Wegducken
Denn nicht mehr einzelne Ministerien müssen demnach jedes Jahr konkrete Ziele erreichen - und mit Konsequenzen rechnen, falls sie diese verfehlen - die Bringschuld wird stattdessen kollektiviert. Weniger technisch könnte man sagen: Es ist eine Einladung zum Wegducken - und betroffene Kabinettsmitglieder, Verkehrsminister
Volker Wissing (
FDP) und Bauministerin
Klara Geywitz (
SPD), nahmen eben diese Einladung schnell dankend an.
Am Mittwochabend traf sich der Koalitionsausschuss in Berlin. Die Spitzen der Ampel-Parteien wollen mit Kanzler Scholz konkret werden in der Planung des Bundeshaushalts für 2024.29.11.2023 | 1:52 min
Das Problem mit Blick auf die internationale Ebene: Dort versuchen die beim Klimaschutz ambitioniertesten Länder - zu denen sich Deutschland nach wie vor zählt - ein System zu etablieren, das eben solches Wegducken erschweren soll. Mit dem Prinzip des "Blaming and Shaming" sollen jene Staaten bloßgestellt werden, die angekündigte Klimaziele verfehlen. Es würde also der Glaubwürdigkeit dienen, ein ähnliches Prinzip daheim zu beherzigen - anstatt es abzuschaffen.
Urteil zwingt Ampel zu Neubewertung
Ein anderes Urteil zwingt Scholz & Co. zur Neubewertung ihrer Klimapolitik: Die
Karlsruher Entscheidung zum missglückten Versuch der Ampel, den eigenen Dispokredit auszuweiten, um vor allem grüne Lieblingsprojekte zu finanzieren, hat das Fundament ihrer Klimapolitik pulverisiert. Noch ist offen, ob und wie stabil man ein neues zusammenschweißt.
Verkürzte Reise - und Risse im Selbstbild
Womöglich hat Scholz seine Reisepläne für Dubai auch deshalb verkürzt, damit er sich ab Samstagnachmittag wieder in Berlin dem Thema Haushalt widmen kann. Die symbolische Wirkung der Verkürzung mag verschmerzbar sein - andere Regierungschefs wie
Joe Biden oder
Xi Jingping kommen gar nicht - doch auch in der Substanz wirkt sich das Karlsruher Urteil auf die Reise aus: Denn nachdem Deutschland im Vorjahr für die internationale Klimafinanzierung mit 6,39 Milliarden Euro mehr als versprochen aufbrachte, stehen künftige Zusagen nun unter Vorbehalt.
Die Weltklimakonferenz startet heute in Dubai. Derzeit ist das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen. Die Bundesregierung will sich für ehrgeizigere Ziele auf der UN-Klimakonferenz starkmachen.30.11.2023 | 2:27 min
Hinzu kommt - als Folge des
russischen Angriffskriegs - ein Schwenk in der deutschen Energiepolitik, der mit dem gewünschten Saubermann-Image in schmerzhaftem Widerspruch steht: So wird sich, wenn Scholz am Samstagmorgen seine Rede in Dubai halten wird, mancher im Publikum an die Reaktivierung manchen Kohlemeilers ebenso erinnern wie an die nicht lange zurückliegenden Reisen des Kanzlers nach Afrika - um sich etwa Gas aus dem Senegal zu sichern oder Flüssiggas aus Nigeria.
Zusammengefasst: Angesichts unklarer Finanzlage, gravierender Risse im Selbstbild als Klimavorreiter und der Aussicht, dass Deutschland seine eigenen Ziele recht krachend zu verfehlen droht, wirft Scholz' Reise unweigerlich diese eingangs formulierte Frage auf: Ob des Klimakanzlers Kleider tatsächlich, wie einst avisiert, in leuchtendem Rot, Grün und Gelb erstrahlen - oder ob er, bildlich gesprochen, inzwischen einigermaßen nackt dasteht.
Daniel Pontzen ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin und Moderator des "ZDF-Mittagsmagazins".
Der Klimawandel schreitet voran - abgeschwächt wird er, wenn wir weniger CO2 und andere Treibhausgase ausstoßen. Wichtige Daten zum Klimawandel im Überblick:
von Moritz Zajonz