Erdogan-Besuch in Berlin: Ein Balance-Akt für Scholz

    Türkischer Präsident in Berlin:Erdogan-Besuch: Ein Balance-Akt für Scholz

    Dominik Rzepka
    von Dominik Rzepka
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    Der türkische Präsident Erdogan nennt die Hamas eine Befreiungsgruppe, Israel wirft er Genozid im Gazastreifen vor. Das macht das Treffen mit Kanzler Scholz am Abend schwierig.

    Es ist ein kurzer Besuch. Und ein schwieriger. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist in Berlin angekommen. Am Nachmittag hat er sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier getroffen.
    Schwierig ist der Besuch für die deutsche Seite vor allem wegen umstrittener Aussagen Erdogans zum Nahost-Konflikt. Insbesondere wegen dieses Satzes, den Erdogan am 25. Oktober sagt:

    Hamas ist keine Terrororganisation, sondern eine Befreiungsgruppe, die für den Schutz ihres Landes und ihrer Bürger kämpft.

    Recep Tayyip Erdogan, Präsident Türkei

    Mitglieder der Hamas nennt Erdogan "Menschen, die darum kämpfen, ihr Land zu schützen und für ihr Heimatland zu kämpfen". Zur Einordnung: Bei dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind rund 1.200 Menschen getötet worden, darunter mehr als 850 Zivilisten.

    Was Erdogan zu Israel sagt

    Es sind nicht die einzigen Äußerungen, die in Deutschland auf Widerspruch stoßen. Erdogan sagt, Israel verfolge eine "Strategie der völligen Vernichtung einer Stadt und ihrer Bevölkerung". Und weiter:

    Ich sage ganz klar und offen, dass Israel ein Terrorstaat ist.

    Recep Tayyip Erdogan

    Erdogan wirft Israel vor, die palästinensische Bevölkerung gewaltsam zu enteignen. Dabei sei die Legitimät Israels "durch den eigenen Faschismus infrage gestellt". Gemeint ist dabei auch das Vorgehen Israels in Gaza. Dazu sagt Erdogan:

    Wir haben es mit einem Genozid zu tun.

    Recep Tayyip Erdogan

    Auf dem Bild sieht man ein abgesperrtes Gelände.
    In Berlin wird heute der türkische Präsident Erdogan von Kanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier empfangen. 17.11.2023 | 4:08 min

    Scholz wird Fragen beantworten

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisiert diese Äußerungen scharf, nennt sie "absurd". Die Frage ist, wie deutlich er am Abend wird vor der versammelten Hauptstadtspresse. Gegen 18 Uhr empfängt Scholz Erdogan im Kanzleramt, dann ist auch eine Pressebegegnung geplant, keine Pressekonferenz.
    Das lässt Erinnerungen wach werden an den Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang in Berlin. Der Gast aus Peking hatte im Juni keine Lust auf kritische Fragen, also gab es gar keine. Auch nicht an Scholz. Das soll dieses Mal anders werden. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagt, es handele sich um eine Pressebegegnung, ...

    ... bei der es aber auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen, geben wird.

    Steffen Hebestreit, Regierungssprecher

    Der Aufwand ist riesig, die Sicherheitsstufe auf höchstem Niveau. Das Kanzleramt ist weiträumig abgesperrt. Journalistinnen und Journalisten werden Stunden vorher ins Kanzleramt begleitet. Über dem Berliner Regierungsviertel fliegen Hubschrauber. Die Berliner Polizei ist mit 2.800 Beamten im Einsatz, sechs Demonstrationen sind angekündigt.

    Welche Themen auf der Agenda stehen

    Im Anschluss werden sich Scholz und Erdogan unter vier Augen unterhalten. Schwierige Themen gibt es genug: Russlands Krieg gegen die Ukraine etwa sowie der Nahost-Konflikt. Erdogan hatte sich selbst als Vermittler zur Befreiung der Hamas-Geiseln ins Gespräch gebracht, Scholz setzt dabei eher auf Katar.
    Auch ein mögliches neues Flüchtlingsabkommen mit der Türkei könnte auf der Agenda stehen sowie die Nato-Mitgliedschaft Schwedens.
    Und doch überschatten Erdogans Äußerungen zu Israel alles. SPD-Politiker Michael Roth fordert im ZDFheute-Interview diesbezüglich Klartext von der deutschen Seite. Und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fordert von Scholz und Steinmeier Widerspruch:

    Ehrlicherweise erwarte ich, dass diese Worte nicht nur im stillen Kämmerlein kommen, sondern in der sicherlich angedachten Pressekonferenz im Zusammenhang mit diesem Besuch.

    Zentralratspräsident Josef Schuster im SWR

    Noch am Abend wird Erdogan nach ZDFheute-Informationen Deutschland wieder verlassen. Kein Besuch also beim Fußball-Spiel zwischen Deutschland und der Türkei, keine Bilder aus dem Berliner Olympiastadion mit Erdogan. Die Bundesregierung dürfte das eher gut finden.

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