Wie bekommt Deutschland die Migration in den Griff?
Interview
Von Abschiebung bis Drittstaaten:Wie kriegt man die Migration in den Griff?
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Vor der Konferenz der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert der Migrationsexperte Gerald Knaus einen Paradigmen-Wechsel in der Flüchtlingspolitik.
Vor dem Migrationsgipfel im Kanzleramt sind die Erwartungen hoch. Migrationsexperte Gerald Knaus fordert ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik. Das Abkommen mit der Türkei habe 2016 gezeigt, wie Migration wirksam gesteuert werden könne.
ZDFheute: Was erwarten Sie von der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler?
Gerald Knaus: Nachdem Erwartungen geweckt wurden und einige untaugliche oder vor allem symbolische Maßnahmen diskutiert wurden, hoffe ich, dass jetzt der im Koalitionsvertrag versprochene Paradigmenwechsel kommt. Es gibt in der Regierung eine Bewegung, alte rote Linien infrage zu stellen. Es gibt in der Union Bewegung, der Regierung entgegenzukommen. Vielleicht entsteht aus dem Bewusstsein "Es muss etwas passieren", wirklich ein großer Wurf, wie 2016 mit der Türkei oder 1993 mit dem Asylkompromiss.
Quelle: epa
... ist österreichischer Soziologe und Migrationsforscher und hat die Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) mitgegründet, eine Denkfabrik mit Sitz in Berlin und Büros in diversen Städten Europas. Schwerpunkt der Arbeit der ESI sind Konzepte für die Migrationspolitik.
Auf seine Initiative geht das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei vom 18. März 2016 zurück. Er studierte in Oxford, Brüssel und Bologna. Er unterrichtete Wirtschaftslehre in Czernowitz in der Ukraine und arbeitete für verschiedene NGOs und internationale Organisationen.
ZDFheute: Die Kommunen stöhnen unter der Last der Kosten und fordern weniger Asylverfahren. Sind Asylsuchende die Hauptbelastung?
Knaus: Deutschland hat in keinem Jahr seit der Gründung der Bundesrepublik 1949 so viel Schutz vergeben wie im letzten Jahr. Der Hauptgrund ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Putin ist die Fluchtursache, die dazu geführt hat, dass Deutschland fast 1,2 Millionen Ukrainern Schutz gewährt hat. Das ist wirklich eine historische Zahl. Die Ukrainer brauchen allerdings keine Asylverfahren, sie bekommen den Schutz automatisch.
So viele Flüchtlinge leben in Deutschland
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ZDFheute: Deutschland sei ein Magnet für Migration, heißt es, unsere Sozialleistungen seien ein sogenannter Pull-Faktor. Was halten Sie davon?
Knaus: Deutschland ist da im Wettbewerb mit Rumänien, Italien, Griechenland, Ungarn, Bulgarien. Ich glaube nicht, dass Deutschland diesen Wettbewerb gewinnen kann oder gewinnen will. Es verspricht mehr Erfolg, in anderen EU-Staaten Standards zu heben. Die Menschen, die die EU erreichen, werden unter anderem nach Deutschland kommen, weil sie sich hier auf den Rechtsstaat verlassen.
ZDFheute: Die deutschen Außengrenzen werden wieder stärker kontrolliert. Was bringt das?
Knaus: Wir wissen von anderen Binnengrenzen - Frankreich zu Italien, Österreich zu Ungarn, wo seit Jahren kontrolliert wird -, dass das die Zahl der Asylanträge nicht reduziert hat. Der Grund ist einfach: Die Menschen geben nicht beim ersten Mal auf. Sie können es so oft probieren, bis es klappt.
ZDFheute: Die Bundesregierung will künftig konsequenter abschieben und hat neue Regeln auf den Weg gebracht. Wird Abschieben künftig besser funktionieren?
Knaus: Einige der neuen Regeln sind sinnvoll. Aber viele dieser neuen Regeln sind in Österreich und in anderen europäischen Staaten schon seit Jahren in Kraft und diese Staaten haben trotzdem nicht mehr Abschiebungen.
Abschiebungen in Deutschland
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In Länder außerhalb Europas wird die Zahl der Abschiebungen gering bleiben, außer man schafft es, das Interesse dieser Ländern an Kooperation durch Abkommen zu erhöhen.
Wie viele Menschen sind ausreisepflichtig?
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Knaus: Man muss versuchen, mit möglichst wenig Rückführungen möglichst viel irreguläre Migration im Einklang mit dem Rechtsstaat zu reduzieren. Das geht durch Rückführungen ab Stichtagen. Wenn, wie im Fall des Türkei-Abkommens, Menschen ab März 2016 erwarteten, dass sie schnell in die Türkei zurückgeführt werden, dann bricht die Zahl der Flüchtenden, die sich in die Boote setzen, schnell ein.
ZDFheute: Warum ist dieser Stichtag so wichtig?
Knaus: Das wichtigste Signal eines glaubwürdigen Stichtags ist: Macht euch ab jetzt nicht mehr auf den Weg. Riskiert nicht euer Leben, bezahlt nicht die Schmuggler, es bringt nichts.
ZDFheute: Jetzt wird auch über die Auslagerung von ganzen Asylverfahren in Drittstaaten diskutiert. Was halten Sie davon?
Knaus: Es ist wichtig, darüber ernsthaft zu reden. Gleichzeitig darf man die Schwierigkeiten nicht unterschätzen. Der Bundeskanzler hat recht, wenn er sagt, Länder stehen nicht gerade Schlange, sich als sichere Drittstaaten anzubieten.
ZDFheute: Wäre so eine Auslagerung rechtlich vertretbar?
Knaus: Die Menschenrechtskonvention und die Flüchtlingskonvention sehen vor, dass Menschen nirgendwo unmenschlich behandelt werden dürfen und dass sie Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben müssen. Wenn dieses Verfahren in einem Drittstaat zusammen mit humaner Behandlung gewährleistet sind, dann ist das im Einklang mit bestehendem Recht.
Beim Migrationsgipfel von Kanzler und Länderchefs geht es unter anderem darum, wie zukünftig die Verteilung und Finanzierung von Flüchtlingen gehandhabt wird. Viele Kommunen haben ihre Belastungsgrenze erreicht.06.11.2023 | 1:50 min
ZDFheute: Warum sollen sich Drittstaaten darauf einlassen?
Knaus: Man muss Staaten etwas anbieten: Die Aufnahme von Flüchtlingen in geordneten Verfahren, mehr Mobilität für Bürger, legale Arbeitsmigration und Stipendien oder besseren Zugang zu Visa für Reisende. Legale Mobilität ist im Interesse aller Seiten. Und: Es sind auch Söhne und Töchter aus afrikanischen Staaten, die sich auf dem Weg nach Europa machen und ertrinken. Über 28.000 in den letzten zehn Jahren.
SPD-Chef Lars Klingbeil zeigt sich offen dafür, Asylverfahren zum Teil bereits in afrikanischen Ländern durchzuführen. Das sagt er der ZDF-Sendung "Berlin direkt".05.11.2023
ZDFheute: Welches Signal würde dieses Drittstaatenmodell senden?
Knaus: Es geht darum, diejenigen zu entmutigen, die am Ende wenig Chance auf Asyl haben. Die meisten, die derzeit über das zentrale Mittelmeer kommen, aus Pakistan, Bangladesch, Ägypten, Tunesien, Westafrika, bekommen am Ende kein Asyl. Sie riskieren ihr Leben. Wenn man klar macht, dass sie ein mögliches Asylverfahren, das für sie dann oft ohne Schutzanspruch endet, in einem sicheren Drittstaat haben, dann machen sie sich nicht auf den Weg. Für Flüchtlinge brauchen wir dann Kontingente und legale Wege, so wie das Kanada seit langem macht.
Das Interview führte Steffen Judzikowski, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio
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