Abstimmung zu Migrations-Gesetz: Chaos-Stunden im Bundestag

    Abstimmung zu Migrations-Gesetz:Chaos-Stunden im Bundestag

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Am Ende der Debatte im Bundestag hat niemand etwas in der Hand: Union und FDP kein Migrationsgesetz, die AfD keinen Triumph. Was bleibt, ist der Kampf um die Deutungshoheit.

    Abstimmung zum "Zustrombegrenzungsgesetz"
    Heftiger Schlagabtausch im Bundestag. Dabei steht der Gesetzentwurf der Union kaum noch im Mittelpunkt – der Abstimmungsvorgang und der zukünftige Umgang mit der AfD polarisieren.31.01.2025 | 4:02 min
    Diesmal kommt der Applaus von den Linken. In den Reihen der Union versteinerte Gesichter, bei der AfD keine Umarmungen, keine Selfies wie noch am vergangenen Mittwoch. Knapp hat der Bundestag das Gesetz zur Begrenzung der Migration abgelehnt, das Union und FDP mit den Stimmen der AfD durchbringen wollten.
    Am Ende sind es zwölf Abgeordnete von CDU und CSU, die ausscheren. Vor allem diejenigen, die zum Merkel-Lager in der CDU gehören, wie der frühere Kanzleramtschef Helge Braun, Monika Grütters, Annette Widmann-Maunz oder Roderich Kiesewetter. Bei der FDP fehlten sogar 23 Abgeordnete: zwei Nein-Stimmen sind es, fünf enthalten sich, 16 Abgeordnete sind erst gar nicht zur Abstimmen hingegangen. Auch das BSW war trotz vorheriger Ankündigung nicht geschlossen für das Gesetz.
    SGS Merz: "Es hat keinen Wortbruch gegeben"
    CDU-Kanzlerkandidat Merz verteidigt im ZDF-Interview sein Vorgehen nach dem Scheitern des Zustrombegrenzungsgesetzes. Die Demokratie sei "nicht in der Krise, sie lebt" so Merz.31.01.2025 | 7:39 min
    Eine Niederlage für Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, der die Abstimmung vorangetrieben hatte? Die AfD findet ja. Parteichefin Alice Weidel sagte: "Er kann kein Kanzler." Merz selbst bedauerte, dass sein Migrationsgesetz im Bundestag durchgefallen ist. Er sagte aber auch:

    Ich bin mit mir persönlich sehr im Reinen, dass wir es wenigstens versucht haben.

    Friedrich Merz (CDU)

    Dabei hatte sich die Niederlage schon am Morgen angedeutet.

    Viele Gespräche, viele Angebote, kein Ergebnis

    Nach einer Fraktionssitzung der FDP wurde deutlich: Es gibt Widerstand. Schon wieder die Bilder von einer triumphierenden AfD? Das kommt in keinem Wahlkampf so richtig gut, wenn überall die Menschen gegen die Entscheidung vom Mittwoch, als Union, FDP und AfD erstmals gemeinsam einen Antrag durchs Parlament brachten, auf die Straße gehen.
    Fraktionschef Christian Dürr überraschte mit der Ankündigung, man wolle über das Gesetz wieder verhandeln und Anfang Februar noch einmal zur Abstimmung stellen, ohne dann auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Wenn SPD und Grüne aber nicht mitmachten, dann werde man an diesem Freitag mit Union und AfD stimmen.
    Politikwissenschaftlerin Professor Marianne Kneuer
    338 Ja- und 349 Nein-Stimmen für den Gesetzesvorstoß von Friedrich Merz. Politikwissenschaftlerin Prof. Kneuer ordnet das Ergebnis bei ZDFheute live ein.31.01.2025 | 5:58 min
    Erpressung könnte man das nennen. Und so verstanden es SPD und Grüne auch: Dreieinhalb Stunden wurde die Sitzung unterbrochen. Auf der Fraktionsebene, zwei Stockwerke über dem Plenarsaal, hektische Betriebsamkeit: Mal verhandelte Merz mit der FDP. Dann Merz mit den Fraktionschefinnen von SPD und Grünen, Britta Haßelmann und Katharina Dröge. Dann wieder SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Merz, dann wieder Merz mit der FDP.
    Angeblich hatte es Angebote gegeben: eine Rücküberweisung in den Ausschuss und damit die Neuverhandlung des Gesetzes, das Weglassen von einzelnen Punkten, ein großer Wurf mit dem Einbeziehen der europäischen GEAS-Regeln einer gemeinsamen Asylpolitik, das Sicherheitsgesetz und dem Bundespolizeigesetz. Nach dreieinhalb Stunden Pause stand das Gesetz unverändert zur Abstimmung.

    • Das Wort Begrenzung sollten wieder in das Aufenthaltsgesetz geschrieben werden, so dass es als übergeordnetes Ziel von Zuwanderung festgeschrieben ist.
    • Menschen, die einen subsidiären Schutzstatus und nicht in ihr Heimatland zurückkönnen haben, sollten künftig nicht mehr ihre Ehepartner und minderjährigen Kinder nachholen dürfen. Derzeit dürfen 1.000 Familienangehörige pro Monat kommen.
    • Die Bundespolizei sollte Haftbefehle ausstellen dürfen, sodass Menschen, die ausreisepflichtig sind und an Bahnhöfen aufgegriffen werden können.

    Redebeiträge wie in der Boxkampf-Arena

    In der Debatte selbst ging es dann aber vor allem um die Deutungshoheit und wer wo eingeknickt ist. Oder sogar gelogen hat. Und um die taktische Ausgangslage für die verbleibenden drei Wahlkampfwochen. Dabei hatten die Redebeiträge der Parteien etwas vom Wettkampf in einer Sportarena.
    Die Rednerinnen und Redner mühten sich am Rednerpult ab, mussten Zwischenfragen und Zwischeninterventionen der anderen ausweichen, parieren, aushalten. Am Ende gingen sie in ihre Fraktionsseite auf ihren Platz unter tosendem Applaus, zu dem sich ihre Parteifreunde erhoben. Von der Suche nach einem Kompromiss war wenig zu spüren, die Parteilager waren festgefahren.
    CDU-Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz am Rednerpult im Bundestag
    Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sagt, die Bundesregierung würde die Sicherheitsbedenken der Bevölkerung nicht beachten. Daher müsse die Union diesen Gesetzentwurf einbringen.31.01.2025 | 14:42 min
    Die Noch-Regierung aus SPD und Grüne verfolgte die Linie: "Wir waren gesprächsbereit", sagte Mützenich. Die Union aber habe inhaltlich nichts ändern wollen. Es sei um das "Prinzip friss und stirb", so Mützenich, gegangen. Dabei sei alles noch viel schlimmer als am vergangenen Mittwoch. Da ging es um zwei Anträge ohne Rechtsfolgen, an diesem Freitag um ein Gesetz. Merz habe sich mit den "Brunnenvergiftern" der AfD eingelassen:

    Der Sündenfall wird Sie für immer begleiten. Aber das Tor zur Hölle können wir noch gemeinsam schließen.

    Rolf Mützenich (SPD)

    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte von der Union, sie solle doch zugeben, am Mittwoch einen Fehler gemacht zu haben. Aber jetzt wolle sie diesen Fehler anderen in die Schuhe schieben und verbreite "Unwahrheiten". Das sei das Prinzip, dass "Männer, wenn sie nicht mehr weiterwissen, mit Lügen um sich werfen". Das kenne sie eigentlich nur aus dem "Kindergarten", so Baerbock.

    Merz: "Tägliche Gruppenvergewaltigungen"

    In der Opposition bildeten Union und FDP einen Block. "In der Sache", so Fraktionschef Merz sei die am Mittwoch und heute verfolgte Migrationspolitik richtig. FDP-Vizevorsitzender Wolfgang Kubicki warf den Grünen vor, sie "hintertreibe und verschleppe" seit Jahren jede migrationspolitische Maßnahme.
    SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich am Rednerpult im Bundestag
    Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagt, Friedrich Merz habe mit seinem Gesetzentwurf einen Rechtsruck in Deutschland in Kauf genommen.31.01.2025 | 10:52 min
    Merz glaubt, Rot-Grün und die Linken inszenierten einen "Furor" gegen die Union, die angeblich mit der AfD zusammenarbeite. Merz wehrte sich: "Es gibt keine tieferen Gräben als zwischen uns und dieser Partei." Allerdings gäbe es "täglich stattfindende Gruppenvergewaltigungen". Dass die AfD bei der nächsten Wahl vielleicht doppelt so stark wie vor vier Jahren werden könnte, sei aber Verantwortung der Bundesregierung, weil sie die illegale Migration nicht begrenzt habe. Trotzdem appellierte Merz an die anderen Parteien:

    Es gibt nicht nur den 23. Februar. Es gibt auch den 24. Februar, dann müssen wir miteinander gesprächsfähig sein und bleiben.

    Friedrich Merz (CDU)

    Linke: "Schrecklich, dass es so weit kommen musste"

    Im dritten Lager kämpfte jeder für sich. Die AfD, die ihren Triumph vom Mittwoch noch einmal zur Schau stellte und ansonsten bemüht war, sich von der Union abzugrenzen. Wenn Merz nach der Wahl mit SPD oder den Grünen koaliere, sagte der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann, werde er sowieso nichts von seinen Plänen in der Migrationspolitik umsetzen können. Merz würde "zaudern und tänzeln", so Baumann. Die Toten der Attentate seien die Toten der Unions-Brandmauer.

    Stimmung in Deutschland
    :Bundestagswahl: So steht es in der letzten Umfrage

    Welche Partei führt in den Umfragen zur Bundestagswahl? Wen hätten die Deutschen am liebsten als Kanzler? Welche Koalitionen wären möglich? Die wichtigsten Zahlen im Überblick.
    von Robert Meyer
    Ein Diagramm von den Verteilungen der Parteien in den Umfragen. Im Hintergrund weht vor dem Bundestag eine Deutschland-Fahne
    BSW-Chefin Sahra Wagenknecht nannte die ganze Diskussion "hysterisch" und eine Inszenierung. Statt über die wahren Probleme im Land zu diskutieren, gehe es derzeit nur darum, wer mit wem stimmt:

    Eine bessere Wahlkampfhilfe hätte sich die AfD überhaupt nicht vorstellen können.

    Sarah Wagenknecht (BSW)

    Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek riet der CDU, sich von ihrem Kanzlerkandidaten Merz zu trennen. Und war hinterher erleichtert, dass es keine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zustande kam. "Schrecklich", sagte Reichinnek, "dass es überhaupt so weit kommen musste." Und interpretierte auch für ihre Partei diesen Tag wahlkampftauglich: Ohne die Linke, schrieb sie auf Twitter, "hätte die Union heute mit der AfD und FDP eine Mehrheit gehabt."
    Friedrich Merz
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    Merz: Keine Krise der Demokratie

    Was bleibt? Schaden fürs Parlament, darüber waren sich ausnahmsweise fast alle Parteien einig. Nur CDU-Chef Merz blieb einigermaßen optimistisch: "Wir sind von einer Krise der Demokratie ziemlich weit entfernt."

    Jetzt machen wir die Bundestagswahl und dann werden wir vernünftig miteinander reden.

    Friedrich Merz (CDU)

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    Quelle: dpa

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