Streeck: "Lehren aus der Pandemie ziehen"

    Interview

    Ende der Corona-Maßnahmen:Streeck: "Lehren aus der Pandemie ziehen"

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    Am Karfreitag enden alle Corona-Maßnahmen - auch die Maskenpflicht in Gesundheitseinrichtungen. Doch es gibt einiges aufzuarbeiten, so Virologe Streeck im ZDF-Interview.

    Berlin: Jutta Allmendinger (l-r), Soziologin, Hendrik Streeck, Virologe, Harald Wilkoszewski, Abteilungsleiter Kommunikation und Pressesprecher des WZB, und Helga Rübsamen-Schaeff, Virologin und Chemikerin
    Virologe Streeck bei einer Pressekonferenz des Sachverständigenrats zur Evaluierung der Corona-Maßnahmen (Archiv)
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Herr Streeck, der Expert*innenrat hat zum letzten Mal getagt. Mit welchem Fazit zur Corona-Pandemie und ihrer Bewältigung ist man auseinandergegangen?
    Hendrik Streeck: Ich glaube, es war wichtig, so einen Expert*innenrat einzurichten. In der Wissenschaft ist nicht alles "schwarz-weiß", "richtig" oder "falsch". Expertinnen und Experten des einen Fachbereichs mögen zu anderen Schlussfolgerungen kommen als Experten des anderen Fachbereichs.
    Die Darstellung und Abwägung des Graubereichs und der Diskussionen sind wichtig, damit man Entscheidungen und Vorgehensweisen nachvollziehen kann.

    Der Bonner Virologe Professor Hendrik Streeck.
    Quelle: UKB/Johann Saba

    ... ist promovierter Immunologe. Er lehrte u.a. Epidemiologie an der Johns Hopkins University in den USA. Seit 2019 leitet er an der Universitätsklinik Bonn das Institut für HIV-Forschung und das Institut für Virologie. Als Mitglied des Expert*innenrats begleitete er die Bundesregierung wissenschaftlich im Umgang mit der Corona-Pandemie. Der Rat beendete am 4. April 2023 offiziell seine Arbeit.

    ZDFheute: Und würden Sie sagen, man hat schon genug gelernt? Oder bleibt auch vieles noch offen?
    Streeck: Es bleiben sehr viele Fragen offen. Und ich würde mir wünschen, dass wir Lehren aus der Pandemie ziehen. Und vielleicht in Ruhe und mit Zeit und den richtigen Ressourcen ein weiteres Gremium zusammensetzen - das sich nur damit beschäftigt, wie wir es in der nächsten Pandemie besser machen können. Und wie wir lernen, was vielleicht richtige Vorgehensweisen und Entscheidungen waren. Ohne dabei aber anklagend zu wirken.
    ZDFheute: Es gab ja auch die Idee, diesen Expert*innenrat jetzt fortzusetzen?
    Streeck: Ich finde es ein wichtiges Signal, dass dieser Corona-Expertenrat aufgelöst wird. Denn die Pandemie ist vorbei. Und das ist auch ein Schritt, um den Bürgern zu signalisieren: wir sind jetzt wieder in anderen Fahrwassern im Hinblick auf den Infektionsschutz.
    Daher fallen jetzt über Ostern ja auch die letzten Maßnahmen, was ebenfalls der richtige Schritt ist.
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    ZDFheute: Sie waren nicht nur im Expertenrat, sondern auch im Sachverständigenausschuss. Der hatte in seinem Gutachten zu den Maßnahmen festgestellt: vieles kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen, denn man müsste viel mehr evaluieren und hätte viel mehr evaluieren müssen. Ist auf diesem Gebiet nicht bis heute immer noch zu wenig passiert?
    Streeck: Eine Lehre aus der Pandemie ist für mich: wenn wir Maßnahmen ergreifen und Entscheidungen treffen, die eventuell auch in Unsicherheit getroffen werden, sollten wir das von Anfang an wissenschaftlich begleiten.
    Dann haben wir bessere Daten vielleicht nicht in diesem Moment, können aber im Nachhinein Rückschlüsse ziehen und verstehen: war das eine richtige Entscheidung oder nicht. Das würde ich mir für zukünftige Krisen aller Art wünschen, dass solche Entscheidungen durch die Wissenschaft begleitet und evaluiert werden.
    ZDFheute: Inwieweit kann man dann jetzt zu Corona überhaupt ein fundiertes Fazit ziehen?
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    Streeck: Wir werden nicht in allen Bereichen sagen können, was richtig oder falsch war. Und das ist eben auch Wissenschaft, dass es immer mal auch einen Graubereich gibt, in dem keine eindeutig guten oder falschen Entscheidungen feststellbar sind.
    Gerade in der Abwägung von verschiedenen Expertisen und Fachbereichen zeigt sich, dass der Blick auf die gleiche Krise sehr unterschiedlich ausfallen kann.
    ZDFheute: Lassen sich denn trotzdem auch Dinge benennen, die falsch waren? Schulschließungen? Maskenpflicht draußen? Geschlossene Weihnachtsmärkte?
    Streeck: Während der Pandemie gab es Entscheidungen, bei denen sowohl damals als auch jetzt bereits wusste, dass sie falsch waren. Wie z.B. die Maskenpflicht in Innenstädten oder auf dem Weihnachtsmarkt. Oder die 2G-Regeln. Das war nicht nur diskriminierend, sondern auch nicht sehr wirkungsvoll.

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    Auf der anderen Seite gibt es Maßnahmen, bei denen man das nicht genau sagen kann, ob es funktioniert hat, weil der Effekt nur minimal war oder nicht eindeutig bewiesen werden konnte, da es keine Studien dazu gab.
    Ich denke, es ist auch wichtig, dass sich die Wissenschaft mit sich selber beschäftigt. Wie sie miteinander, mit unterschiedlichen Auffassungen, Meinungen und Expertisen umgegangen ist.
    Wissenschaft ist keine Abstimmung, kein Mehrheitsverhältnis. Auch eine Minderheitenmeinung kann am Ende doch richtig liegen. Und hier den Dialog zu schaffen und die Frage zu stellen: "Wie können Wissenschaftler miteinander agieren, ohne dann gleich in eine Diskreditierung reinzukommen?" Das ist, glaube ich, enorm wichtig.
    Das Interview führte Dirk Jacobs.

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