Rückblick auf Pandemie: Corona-Schutzmaßnahmen im Check

    Analyse

    Rückblick auf Pandemie:Corona-Schutzmaßnahmen im Check

    von Daniel Heymann
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    Die Pandemie ist ausgestanden, doch der Streit um die richtige Aufarbeitung schwelt weiter. Welche Maßnahmen waren effektiv, welche nicht? Die Analyse zur Debatte bei illner.

     Bayern, Straubing: Eine Frau klebt ein Hinweisschild mit der Aufschrift ·Zutritt nur mit FFP2 Maske· an eine Glastür am Eingang eines Geschäfts in der Innenstadt.
    Masken, Tests, Impfempfehlungen: Wie gut waren die Pandemie-Regelungen? Rund ein Jahr nach dem Ende der Maßnahmen fordert die FDP eine Kommission zur Aufarbeitung.24.03.2024 | 3:17 min
    Masken in der Bahn, Anleitungen zum Händewaschen, geschlossene Schulen und Impfungen - all das kommt vielen Menschen inzwischen wie ferne Vergangenheit vor. Tatsächlich liegt der Beginn der Corona-Pandemie nur gut vier Jahre zurück.
    Eine im Frühjahr 2020 zunächst heruntergefahrene Gesellschaft musste sich Schritt für Schritt zurück in die Normalität bewegen. Das Tempo gab die Politik vor - in einem auch für sie unbekannten Prozess, in dem sie einerseits zwingend auf wissenschaftliche Expertise aus verschiedenen Fachrichtungen angewiesen war, sich aber andererseits auch nicht aus ihrer gesetzgeberischen Verantwortung stehlen durfte.
    Wie ist ihr dieser Balanceakt gelungen? Nach dem Willen der Oppositionsparteien soll das eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages klären. Und auch in der Regierung fordern prominente Stimmen wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) eine Aufarbeitung, wobei man sich in der Ampel-Koalition über die richtige Form noch uneins ist.
    Lauterbach nimmt nach einem Treffen des Runden Tischs des Bundesgesundheitsministeriums zu Long Covid an einer Pressekonferenz teil.
    Viele Menschen leiden noch immer unter den Folgen von Corona-Infektionen. Gesundheitsminister Lauterbach traf sich deshalb mit Experten und Betroffenen.16.04.2024 | 1:35 min
    Drei der wichtigsten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nehmen wir hier mit Fokus auf ihre medizinische Wirksamkeit in den Blick:

    Atemschutz-Masken

    "Mund und Nase müssen bedeckt sein" - so oder so ähnlich wurde die Maskenpflicht an zahlreichen Orten, etwa im Bus, im Supermarkt oder im Kino, formuliert. Die Idee: SARS-CoV-2 wird in erster Linie über kleine Luftpartikel, sogenannte Aerosole, übertragen; deshalb ist es wichtig, sowohl deren Ausbreitung als auch deren Aufnahme beim Sprechen, Lachen, Husten usw. zu unterbinden.
    Ein amerikanisches Wissenschaftsteam hat im Oktober 2023 eine große Metastudie vorgestellt, die eine Vielzahl spezifischer Studien aufgreift und zusammenführt. Das Ergebnis: Masken haben die Verbreitung von Coronaviren eingeschränkt. Dabei haben sich die besonders gut filternden FFP2-Masken als wirksamstes Modell erwiesen, aber auch klassische OP-Masken konnten die Übertragung von Viren eindämmen.
    Andrea Tandler (gepixelt) und ihre Rechtsanwältinnen
    In der Affäre um Corona-Schutzmasken muss Politikertochter Andrea Tandler vier Jahre und fünf Monate ins Gefängnis.15.12.2023 | 1:24 min
    Die Forschenden weisen darauf hin, dass eine Vielzahl von Faktoren die Wirksamkeit beeinflussen kann: Wird die Maske konsequent getragen oder zwischendurch abgenommen, sitzt sie richtig, wird sie in regelmäßigen Abständen gewechselt - all diese Aspekte spielen eine Rolle. Masken, die zum Beispiel nur den Mund, nicht aber die Nase bedeckt haben, hatten einen deutlich geringeren Effekt.

    Corona-Schutzimpfungen

    Noch mehr Polarisierung haben die Impfungen gegen COVID-19 hervorgerufen. Kritiker ziehen bis heute nicht nur den Effekt des Vakzins in Zweifel, sondern äußern auch Bedenken in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen.
    Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit. Archivbild
    An der Auftragsvergabe für eine Corona-Impfkampagne gibt es Kritik vom Bundesrechnungshof. Hat Minister Lauterbach unrechtmäßig gehandelt?07.04.2024 | 4:01 min
    Der Virologe Professor Klaus Überla, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), weist beides zurück - vor allem hätten Isolationsmaßnahmen ohne schnell verfügbare Impfstoffe deutlich länger aufrechterhalten werden müssen: "Ohne die Impfungen hätten wir unsere Kontakte viel länger und intensiver einschränken müssen, sonst hätte es gerade unter älteren Menschen deutlich mehr Todesfälle gegeben."

    Die Anfangszeit der Pandemie gerät häufig in Vergessenheit, aber wenn man sich die Zahlen und Bilder etwa aus Bergamo noch einmal vergegenwärtigt, zeigt sich, welche Gefahr von dem Virus ausging.

    Klaus Überla, Virologe

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    Im vergangenen Winter war der Krankheitsverlauf mit COVID-19 "deutlich milder geworden", so Allgemeinmediziner Malik Böttcher.01.12.2023 | 7:09 min
    "Und auch in Deutschland haben die Intensivstationen an der Belastungsgrenze gearbeitet - teilweise darüber," so Überla weiter. "Wenn es noch länger so weiter gegangen wäre, hätten die Krankenhäuser andere Behandlungen zurückstellen müssen."

    Die Impfung war ein entscheidender Schritt, um die Ausbreitung von Covid-19 zu bremsen, vor schweren Verläufen zu schützen und letztlich in die Normalität zurückkehren zu können.

    Klaus Überla, Stiko-Vorsitzender

    Die Impfungen müssten in den verschiedenen Phasen der Pandemie differenziert betrachtet werden, erklärt Überla. Sie hätten mehrere Funktionen, die je nach Zeitpunkt mehr oder weniger im Vordergrund standen:

    Als die Impfstoffe erstmals zur Verfügung standen, ging es um beide Dinge gleichermaßen: Verlangsamung der Virusausbreitung auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene und Schutz vor schweren Krankheitsverläufen auf individueller Ebene.

    Klaus Überla, Virologe

    Symbolbild Imfampulle und Virus
    Ein Virus, das viele Länder über Jahre in Atem hält - und zum Stillstand bringt: Ab Anfang 2020 beherrscht der Ausbruch eines neuartigen Coronavirus die Welt. 20.05.2024 | 6:37 min
    "Mit Aufkommen der Omikron-Variante war der reine Ansteckungsschutz der Impfung verringert, da war die Vermeidung schwerer Verläufe wichtiger. Dafür waren die Impfungen weiterhin sehr hilfreich", fügt Überla hinzu.
    Der Stiko-Vorsitzende betont außerdem, dass alle Wirkstoffe gute Wirksamkeitswerte erzielt hätten, wobei es Hinweise gebe, dass die mRNA-basierten Impfstoffe, also etwa von BioNTech/Pfizer, im Vergleich etwas effektiver waren als virale Vektorimpfstoffe wie der von Astrazeneca.
    Im Video wird erklärt wie mRNA-Technologie funtkioniert und wo die Forschung steht.
    Durch die Corona-Pandemie hat die mRNA-Forschung einen enormen Schub bekommen. Wie diese Technologie funktioniert und angewendet wird. Ein Grafikvideo. 14.12.2023 | 1:11 min
    Mit Blick auf Nebenwirkungen sei zu unterscheiden zwischen der unmittelbaren Impfreaktion und längerfristigen, schweren Gesundheitsauswirkungen: "Die akute Reaktion, also z.B. Schmerzen oder Schwellungen an der Einstichstelle, war gerade bei den mRNA-Impfstoffen in der Tendenz relativ stark, das hat man häufiger zwei oder drei Tage gespürt."

    Wenn es um schwere Nebenwirkungen geht, die für die Betroffenen gravierende Folgen haben können, bewegen sich die Corona mRNA-Impfungen in einem ähnlichen Bereich wie andere Impfstoffe.

    Klaus Überla, Stiko-Vorsitzender

    Insgesamt habe laut Überla der Nutzen der Impfung gegenüber den Schäden eindeutig überwogen.
    Inside-PolitiX-Folge von ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Britta Spiekermann zur Corona-Aufarbeitung
    Corona spaltet - bis heute. Die Pandemie hat schmerzhaft aufgedeckt, dass viele nicht vertrauen, weder der Politik noch den Experten.11.05.2024 | 9:08 min

    Schulschließungen und Ersatzunterrricht

    Ein anderes Bild ergibt sich mit Blick auf die Schulschließungen während der Pandemie, die in Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern lange gedauert haben.
    Kinder und Jugendliche hätten zunächst ebenso wie Erwachsene ein Recht darauf, vor Ansteckung geschützt zu werden, meint Julian Schmitz, Professor für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Leipzig. Bei ihnen müsse man aber andere Faktoren, etwa psychisches Wohlbefinden, soziale Kontakte und Lernmöglichkeiten, besonders berücksichtigen:

    Wir haben insgesamt in der Pandemie eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Kindern gesehen - durch das Virus an sich, aber auch als Folge von Infektionsschutzmaßnahmen.

    Julian Schmitz, Institut für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie Universität Leipzig

    Baden-Württemberg, Eßlingen: Ein Schild einer Station der Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums Esslingen hängt an einer Wand.
    Noch immer leidet rund ein Viertel der Kinder und Jugendlichen unter den psychischen Folgen der Corona-Pandemie. Lockdown und Schulschließungen haben ihre Spuren hinterlassen. 24.03.2024 | 3:00 min
    "Gerade der Wegfall von Präsenzunterricht hat vielen Kindern und Jugendlichen psychisch zugesetzt," so die Erkenntnis von Schmitz. "Depressionen, Angst- und Schlafstörungen haben in der Pandemie zugenommen."

    Daraus kann sich mit Blick auf die Schule auch ein Teufelskreis entwickeln: Kinder mit diesen Krankheitsbildern können schlechter lernen - und empfinden dadurch noch mehr Stress und psychische Belastung, mit Auswirkungen über die Dauer der Schulschließungen hinaus.

    Julian Schmitz, Kinder- und Jugendlichentherapeut

    Der Psychologe weist in diesem Zusammenhang auch auf die unterschiedlichen sozialen Ausgangslagen bei Kindern und Jugendlichen hin. In prekären Verhältnissen fehle es oft an Arbeitsplätzen, Material und weiterer Betreuung, sodass Schülerinnen und Schüler in entsprechenden Situationen überdurchschnittlich stark unter der Pandemie gelitten hätten. Laut Schmitz werde das Problem verstärkt durch eine fragwürdige politische Prioritätensetzung:

    Hier standen zwar in allen Büroräumen Luftfilter, aber für die Schulen wurde lange diskutiert, ob man sie überhaupt anschaffen will.

    Julian Schmitz, Kinder- und Jugendlichentherapeut

    Schülerinnen mit ihrer Klassenlehrerin.
    Im ersten Corona-Lockdown waren die Schulen geschlossen und der Unterricht lief nur schleppend online. Wir haben Schülerinnen seit Beginn der Pandemie begleitet und schauen, wo sie heute stehen. 26.01.2023 | 2:02 min
    Für die Zukunft wünscht er sich eine stärker vorausschauende Planung, die die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ernster nimmt und die Expertise verschiedener Fachdisziplinen berücksichtigt.
    Man müsse in einer Pandemie den Infektionsschutz gewährleisten und gleichzeitig die psychologische Situation junger Menschen im Blick haben: "Gerade in der Schule geht es auch um den Kontakt mit Gleichaltrigen, den man in diesem Alter braucht. Außerdem gibt es klare Zusammenhänge zwischen psychischem Wohlbefinden und Lernerfolg."

    Andere Länder haben gezeigt, dass man Infektionsschutz, psychische Gesundheit und Bildungsteilhabe verbinden kann, z.B. mit klugen Wechsel-unterrichtmodellen, die auch individuell auf Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sind.

    Julian Schmitz, Institut für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie Universität Leipzig

    Fazit zu den Corona-Schutzmaßnahmen
    Viele der getroffenen Maßnahmen hatten einen positiven medizinischen Effekt im Kampf gegen Corona - allerdings nicht alle gleichermaßen. Während Masken und Impfungen einen deutlich schlimmeren Verlauf der Pandemie verhindert haben, hatten Schulschließungen nur einen kleinen Effekt auf das Infektionsgeschehen - mit dafür teilweise erheblichen Nebenwirkungen, insbesondere zulasten junger Menschen.
    ein schild fordert am viktualienmarkt in der münchner innenstadt zum tragen einer mund und nasen bedeckung auf
    Ausgangsbeschränkungen, Maskenpflicht, Schulschließungen: Waren die Corona-Maßnahmen zu hart? Protokolle des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass sie unter Experten umstritten waren.25.03.2024 | 1:33 min
    Derlei Urteile lassen sich im Juni 2024 freilich leicht fällen. Gesetzgeber und Verwaltung standen vor allem 2020 und 2021 vor einer ungleich komplizierteren Aufgabe. Ihnen fehlte es im Angesicht eines neuen und ständig mutierenden Virus gleich an Zeit und an einer stabilen Datenlage.
    Das gibt gleichzeitig Anlass zur Kritik, denn viel deutet darauf hin, dass eine bessere Vorbereitung auf die Pandemie möglich gewesen wäre. Die strukturellen Probleme des Gesundheitssystems oder im Bildungsbereich reichen viele Jahre zurück. Sie äußern sich bis heute, zum Beispiel in Gestalt mangelnder Digitalisierung und chronischer Unterfinanzierung.
    So sehr die Pandemie die Gesellschaft auch emotional getroffen hat: Ihre Aufarbeitung, ob in Gestalt einer Enquete-Kommission oder in anderer Form, gelingt im besten Fall nüchtern und differenziert. Sie benennt Mängel und die daraus zu lernenden Lektionen - ohne allzu menschliche Rückschaufehler.
    Daniel Heymann ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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