Ukrainische Gegenoffensive:Bachmut: Warum es für Moskau kompliziert wird
von Christian Mölling und András Rácz
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Nach langen Kämpfen um Bachmut schien Russland die Stadt mithilfe der Wagner-Söldner erobert zu haben. Die ukrainische Gegenoffensive veränderte die Lage - nun ist Kiew im Vorteil.
Die ukrainische Armee intensiviert ihre Angriffe auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut. (Archivbild)
Quelle: dpa
Nach zehnmonatiger Belagerung endete die erste Schlacht um Bachmut im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vorerst um den 20. Mai 2023, als die russischen Truppen die Stadt einnahmen. Obwohl die Ukraine immer wieder behauptete, sie halte noch einige zerstörte Gebäude in den Außenbezirken, war die Stadt de facto eingenommen.
Kurz darauf, am 25. Mai, erklärte die Wagner-Gruppe, dass sie ihre Truppen aus Bachmut abziehe. Die meisten Kämpfe während der Belagerung wurden von dem privaten russischen Militärunternehmen um Jewgeni Prigoschin geführt - verbunden mit extrem hohen Verlusten.
Nach einer aktuellen Erklärung des Wagner-Chefs setzte die Gruppe in der Schlacht um Bachmut insgesamt 78.000 Kämpfer ein. Von diesen Kräften wurden 22.000 getötet, weitere 40.000 verwundet. Wenn diese Zahlen stimmen, ergibt sich ein katastrophales Verhältnis von 1:2 zwischen Gefallenen und Verwundeten. Das wäre noch schlechter als das übliche Verhältnis von 1:3 bis 1:3,5 bei den russischen Bodentruppen.
Gegenoffensive der Ukraine - zweite Schlacht um Bachmut
Im Zuge der Gegenoffensive der Ukraine griffen die ukrainischen Streitkräfte nun auch die russischen Stellungen nördlich und südlich von Bachmut an. Der Grund dafür liegt im Gelände: Die Westseite von Bachmut ist sowohl von Norden als auch von Süden von teilweise bewaldeten Hügeln umgeben.
Quelle: DGAP
... leitet das Programm "Europas Zukunft" für die Bertelsmann Stiftung in Berlin. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Wer seine Truppen auf diesen Hügeln hat, kann große Teile von Bachmut unter Beschuss nehmen, darunter auch die Straßen, die von Norden und Süden in die Stadt führen. Während der Belagerung durch Russland dienten diese Hügel der Ukraine als Grundlage für die robuste Verteidigung von Bachmut. Nun versucht die Ukraine, sie zurückzuerobern - möglicherweise als ersten Schritt, um die Russen aus Bachmut zu vertreiben.
Verlust von Bachmut wäre schwerer PR-Schlag für Russland
Seit Anfang Juli werden die Kämpfe um die Stadt immer heftiger. Auch wenn die Stadt selbst völlig zerstört ist und nach dem Krieg wahrscheinlich noch eine ganze Weile unbewohnbar bleiben wird, ist ihre politische Bedeutung für Russland immens.
Zehntausende von Soldaten opferte Russland für die Einnahme der Stadt. Die langwierige und mühsame Belagerung sorgte für viel Kritik am russischen Verteidigungsministerium und dem Generalstab. Als Russland die Stadt dann endlich eingenommen hatte, wurde das als großer, strategischer Sieg gefeiert - obwohl es in Wirklichkeit keiner war.
So wäre es für den Kreml nun ein schwerer PR-Schlag, wenn die russischen Truppen die Kontrolle über die Stadt wieder verlieren würden.
Bachmut: Ukrainische Truppen Russen mehrfach überlegen
Wahrscheinlich ist das der wichtigste Grund, warum die Ukraine beschlossen hat, im Zuge ihrer Gegenoffensive auch hier anzugreifen. Kiew weiß, dass Moskau sich nicht einfach aus der Stadt zurückziehen kann - mit anderen Worten: die Russen müssen Bachmut verteidigen. Die ukrainischen Truppen vor Ort sind den russischen Soldaten dreifach überlegen.
Erstens kennen sie das Gelände, anders als die neu stationierten, regulären russischen Streitkräfte.
Sie können zweitens das vom Westen zur Verfügung gestellte Artilleriesystem mit großer Reichweite sehr effizient gegen die sich in der Stadt verschanzten russischen Streitkräfte einsetzen.
Drittens hatten die Russen in Bachmut - anders als an der Südfront - keine Zeit, starke Verteidigungsanlagen zu errichten, Bunker zu bauen oder ausgedehnte Minenfelder anzulegen. Tatsächlich hatten sie nie eine vollständige, unangefochtene Kontrolle über das Gebiet, die für einen ordnungsgemäßen Verteidigungsaufbau notwendig gewesen wäre.
Um den Krieg in Städten - eine der kompliziertesten Formen des Kampfes -erfolgreich zu führen, müssen die Russen in Bachmut deshalb einige ihrer verbleibenden Elitetruppen anstelle der Wagner-Gruppe einsetzen. Die Ukraine dagegen kann auf die Einheiten zurückgreifen, die bereits über umfangreiche Kampferfahrung in dieser Region verfügen.
Lage für russische Streitkräfte in Bachmut wird komplizierter
In der letzten Woche ist es den Ukrainern bereits gelungen, sowohl nördlich als auch südlich der Stadt vorzurücken. Im Süden stehen sie kurz davor, die Vororte Klischtschijiwka und Andrijiwka einzunehmen. Sobald diese Siedlungen befreit sind, wird die Lage der russischen Streitkräfte in Bachmut mit Blick auf Nachschub und Verstärkung immer komplizierter werden.
Einige russische Militärblogger sprechen bereits von der Möglichkeit, Bachmut zu verlieren. Auch wenn dies höchstwahrscheinlich erst nach geraumer Zeit der Fall sein wird, wird die Lage der russischen Streitkräfte in und um die Stadt höchstwahrscheinlich immer komplizierter werden.
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