Russische Schwarzmeerflotte: Admiral Sokolow doch nicht tot?

    FAQ

    Angriff auf Schwarzmeerflotte:"Toter" russischer Admiral aufgetaucht?

    von Oliver Klein und Nils Metzger
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    Der Kommandeur der russischen Schwarzmeerflotte soll bei einem ukrainischen Angriff getötet worden sein, nun taucht er angeblich wieder auf. Welche Rolle spielt das für den Krieg?

    Kommandeur der russischen Schwarzmeerflotte, Vizeadmiral Viktor Sokolov, salutiert während einer Zeremonie in Sewastopol
    Viktor Sokolov - ist der russische General bei einem Angriff der Ukraine ums Leben gekommen? (Archivfoto)
    Quelle: Reuters

    Dass einflussreiche Oligarchen, Politiker und Militärs in Russland plötzlich sterben, ist nicht ungewöhnlich. Dass ein tot geglaubter Admiral hingegen lebendig wieder auftaucht, ist eher selten - doch das könnte nun geschehen sein: Bei einem großangelegten ukrainischen Angriff auf das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte auf der besetzten Krim am vergangenen Freitag soll nach ukrainischen Angaben auch deren Kommandeur, Admiral Viktor Sokolow, ums Leben gekommen sein. So vermeldeten es die Spezialkräfte des ukrainischen Militärs auf Telegram.
    Tagelang gab es aus Moskau nur Funkstille zum Schicksal des hochrangigen Militärs. Am Dienstag und Mittwoch tauchte Sokolow dann wieder auf - in Videos und auf Fotos, die in russischen Staatsmedien und vom Verteidigungsministerium verbreitet wurden. Was ist bisher dazu bekannt? Heißt das, dass der Admiral noch lebt? Und welche Bedeutung hat es generell für den Verlauf des Krieges, wenn hochdekorierte Generäle und Offiziere getötet werden? ZDFheute klärt die wichtigsten Fragen.

    Sind die Videos Beweise, dass Sokolow lebt?

    Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte am Dienstag ein Video und Fotos einer Konferenz von Minister Sergei Schoigu, bei dem auch Admiral Sokolow mehrfach im Bild zu sehen ist - auf einer großen Videoleinwand hinter dem Minister, zugeschaltet von einem unbekannten Ort. Er sitzt weitgehend regungslos auf einem Sessel, der offenbar identisch ist mit dem in früheren Videos dieser regelmäßig stattfindenden Militärkonferenzen. Nichts im Bild belegt zweifelsfrei, dass es sich bei dem Admiral um eine aktuelle Videoaufnahme handelt.
    Am Mittwoch dann verbreiteten russische Staatsmedien Videos von Sokolow, wie er eine Fußballmannschaft ehrt. Das Material wurde angeblich am selben Tag aufgenommen. In einem Interview erklärt der Admiral, dass die Schwarzmeerflotte erfolgreich arbeite. Aus Sokolows Kommentaren geht allerdings nicht hervor, ob die Aufnahmen nach dem ukrainischen Raketenangriff auf das Hauptquartier der Flotte auf der Krim aufgezeichnet wurden. Theoretisch könnte es in beiden Fällen älteres Filmmaterial sein.
    Das ukrainische Militär will seine eigene Meldung über den angeblichen Tod des Chefs der russischen Schwarzmeerflotte nun überprüfen. Das teilte die Einheit für Spezialoperationen des ukrainischen Verteidigungsministeriums am Dienstag auf Facebook mit.

    Von Tschetschenien bis Syrien - in Russlands Kriegen starben immer wieder auch hoch dekorierte Generäle. Die aktuellen russischen Verluste sind mit Blick auf das große Ausmaß des Krieges also nicht völlig überraschend. Innerhalb so kurzer Zeit hat jedoch selbst Russland seit Jahrzehnten nicht mehr so viele hochrangige Militärs verloren. Seit März 2022 bestätigten russische Staatsmedien den Tod von sechs Generälen bei Kampfhandlungen in der Ukraine. Bei weiteren ist der Status unklar.

    • Generalmajor Andrei Suchowezki, Vize-Kommandeur der 41. Armee
    • Generalmajor Wladimir Frolow, Vize-Kommandeur der 8. Gardearmee
    • Generalmajor i.R. Kanamat Botaschew, Wagner Gruppe
    • Generalleutnant Roman Kutuzow, Miliz der Volksrepublik Donezk
    • Generalmajor Sergei Goryatschew, Stabschef 35. Armee
    • Generalleutnant Oleg Tsokow, Vize-Kommandeur des Südlichen Militärdistrikts

    Warum sind so viele russischen Generäle gestorben?

    Vor allem in den ersten Wochen und Monaten des Angriffskriegs gegen die Ukraine habe es einige hochrangige russische Offizieren das Leben gekostet, weil sie unvorsichtig gewesen seien und die Ukraine unterschätzt hätten, erklärt Philipp Eder, Militärkommandant und Ukraine-Experte beim österreichischen Bundesheer.

    In der ersten Zeit ging für die Russen viel schief. Dann wurden sie gezwungen, sich mit ihren militärischen Anführern noch weiter nach vorne zu wagen - und haben sich einer noch größeren Gefahr ausgesetzt.

    Philipp Eder, Militärkommandant beim österreichischen Bundesheer

    Zum Vergleich: Seit Ende des Vietnam-Krieges starb lediglich ein General der US-Streitkräfte bei Kampfhandlungen - General Harold Greene wurde am 5. August 2014 bei einem Attentat von einen afghanischen Soldaten getötet. Hinzu kommt ein General, der beim Terroranschlag auf das Pentagon am 11. September 2001 ums Leben kam.

    Welche Rolle spielt es für den Kriegsverlauf, wenn militärische Anführer getötet werden?

    "Solche Anführer sind für die eigenen Reihen immer auch Identifikationsfiguren", erklärt Ulrich Schlie, Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn. "Wenn es dem Gegner gelingt, sie auszuschalten, macht er damit seinen eigenen Erfolg für alle sichtbar", so Schlie. Das gelte umso mehr für das russische Militär, wo es eine sehr hierarchische Führung gebe und die Moral der Truppe ohnehin schlecht sei. "All diese Faktoren können dazu beitragen, dass die Kampfkraft der Russen weiter geschwächt wird."
    Ein Teufelskreis: Wenn weniger erfahrene Offiziere in der Hierarchie nachrücken, könne es vermehrt zu militärischen Fehlentscheidungen kommen und zu weiterer Verunsicherung der russischen Kämpfer, die dann die eigene militärische Führung stärker in Frage stellen, so Schlie.

    Ukraine-Krieg
    :So ist die russische Front aufgestellt

    Die ukrainischen Truppen haben es bei ihrer Gegenoffensive mit einer gestaffelten Verteidigungslinie der russischen Armee zu tun. Ein Überblick.
    Die Infografik zeigt den ersten Teil der Verteidigungsanlage der russichen Armee. Auf den ersten Kilometern befinden sich Beobachtungsposten, dahinter liegen Minenfelder, um das Vorrücken der ukrainischen Armee zu verlangsamen. Zusätzlich bilden Drachenzähen ein Hindernis.
    Das britische Verteidigungsministerium machte bereits im Mai darauf aufmerksam, dass der Verlust hochrangiger Militärs Russland große Probleme bereitet: Anstelle der getöteten Führungskräfte seien Offiziere mit mangelnder operativer Führungserfahrung nachgerückt. "Dies hat zu einer Streitmacht geführt, die nur langsam auf Rückschläge reagiert und nicht in der Lage ist, ihre Herangehensweise auf dem Schlachtfeld zu ändern", schreiben die Briten beim Kurznachrichtendienst X. "Diese Probleme werden weiterhin bestehen bleiben."
    Ähnlich sieht das auch Philipp Eder: Die Erfahrung, die hochrangige Militärs wie Sokolow aus Einsätzen im Donbass oder in Tschetschenien mit sich bringen, lasse sich kaum ersetzen.

    Kriegserfahrung bekommt man nur durch Kriegserfahrung - nicht durch theoretische Ausbildung.

    Philipp Eder, Militärkommandant beim österreichischen Bundesheer

    Wie einsatzfähig ist Russlands Schwarzmeerflotte nach den Angriffen?

    "Diese Angriffe haben mehr Schäden angerichtet und waren koordinierter als bisher im Krieg", schrieb das britische Verteidigungsministerium am Dienstag in seinem täglichen Update beim Kurznachrichtendienst X. Der physische Schaden sei mit ziemlicher Gewissheit groß, aber örtlich begrenzt.

    Die Flotte bleibt mit ziemlicher Sicherheit weiterhin in der Lage, ihre Kernaufgaben im Krieg - Angriffe mit Marschflugkörpern und örtliche Sicherheitspatrouillen - zu erfüllen.

    Britisches Verteidigungsministerium

    Posting des britischen Verteidigungsministeriums bei X

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    Die Briten halten es aber für möglich, dass die Flotte nun weniger Kapazitäten hat, um weitergehende Patrouillen fortzusetzen und die Blockade ukrainischer Häfen aufrechtzuerhalten, eigene Anlagen im Hafen zu verteidigen und routinemäßige Wartungsarbeiten durchzuführen.
    In den vergangenen Wochen hatte die Ukraine mehrfach erfolgreich Einrichtungen der Schwarzmeerflotte angegriffen und dabei etwa Schiffe in Trockendocks stark beschädigt. Auf offener See werden Kriegsschiffe weiterhin durch ferngesteuerte ukrainische Drohnen-Boote attackiert. Das Schwarze Meer wird für Russlands stolze Marine immer gefährlicher. Müsste sich die Flotte wegen dieser Nadelstiche gar irgendwann aus den Krim-Häfen zurückziehen. Es wäre eine riesige Blamage.
    Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wurde erstmals am 26. September 2023 veröffentlicht und am 27. September 2023 aktualisiert.
    Mit Material von dpa, Reuters
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