Ablenkungsmanöver oder Angriff aus Belarus?

Alexander Lukaschenko, Machthaber in Belarus, war vor einem Monat auf einem Arbeitsbesuch im großen Nachbarland Russland. Zusammen mit Wladimir Putin hat er dabei die Kapelle des Klosters Walaam auf einer Insel im Ladogasee besucht, etwa 160 Kilometer nördlich von Sankt Petersburg. Bei den Gesprächen hinter geschlossenen Türen soll es unter anderem um aktuelle Fragen der belarussisch-russischen Beziehungen gegangen sein, die Fragen der regionalen Sicherheit und der internationalen Tagesordnung. Für Aufsehen sorgt dieses Treffen allerdings nicht. Was nun aber für Aufsehen sorgt, ist das, was an der belarussischen Grenze zur Ukraine passiert.

Die Ukraine macht seit gestern lautstark aufmerksam auf eine verstärkte militärische Präsenz hinter der belarussischen Grenze. Laut Kiew umfassen die an der Grenze stationierten belarussischen Einheiten auch Spezialeinheiten und ehemalige Wagner-Söldner, sowie Panzer, Artillerie, Luftabwehrsysteme und Pioniertechnik. Belarus habe diese militärische Präsenz unter dem Vorwand einer Militärübung aufgebaut.

Die Ukraine fordert von Belarus den sofortigen Abzug großer Truppenkontingente und militärischer Ausrüstung von der gemeinsamen Grenze. In einer Erklärung des ukrainischen Außenministeriums wird die Regierung in Minsk eindringlich aufgerufen, "feindselige Handlungen zu unterlassen" und die Truppen aus der Grenzregion abzuziehen.

Belarus zieht Truppen zu Manövern im Raum Gomel zusammen. Diese Manöver waren auch offiziell angekündigt, erklärt der Militärexperte Gustav Gressel im Gespräch mit ZDFheute. Auch 2023 hatte Belarus an der ukrainischen Grenze Übungen durchgeführt, damals etwas westlicher. Dieses Jahr seien die Manöver aber größer als erwartet. Daher komme die Nervosität in Kiew.

Belarus ist Teil der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO), ein im Jahre 2002 gegründetes Militärbündnis zwischen mehreren früheren Mitgliedsstaaten der Sowjetunion, das von Russland angeführt wird. Offiziell wäre Belarus dadurch verpflichtet, Russland zu unterstützen, wenn dessen territoriale Integrität angegriffen wird.

Machthaber Lukaschenko ist zudem zum eigenen Machterhalt auf Putin angewiesen und schuldet ihm daher Unterstützung. Der ukrainische Vorstoß auf Kursk hat jedoch gezeigt, dass keiner der CSTO-Staaten Russland zu Hilfe kommt.

Das Problem für Lukaschenko ist dabei sehr ähnlich wie das von Wladimir Putin: Die belarussische Armee besteht zum Großteil aus Wehrpflichtigen und nicht aus Vertragssoldaten. Deren Einsatz scheuen beide Staatschefs, so Gressel.

Zudem sei die belarussische Armee, wie schon die sowjetischen Vasallenarmeen des Warschauer Paktes vor ihr, nicht dafür ausgelegt, alleine zu operieren. Sie bräuchte Verstärkung und Unterstützung durch die russische Armee, insbesondere im Bereich der elektronischen Kampfführung, Zielaufklärung, Luftunterstützung. Eine größere Verlegung russischer Truppen nach Belarus ist aber bisher nicht erfolgt.

Die ukrainisch-belarussische Grenze ist ziemlich unwegsam, stark bewaldet, und mittlerweile auch dicht vermint und mit guten Verteidigungsstellungen versehen. Ein Angriff hier ist für einen Angreifer weit ungünstiger als die Grenze nördlich von Charkiw.

Sollte Lukaschenko gezwungen werden, in den Krieg einzugreifen, sei der wahrscheinlichste Weg Fernbeschuss durch belarussische Raketenartillerie. Ein Angriff mit Bodentruppen aus Belarus hält Gressel aktuell für äußerst unwahrscheinlich.