Bundeswehr: Welche Bedeutung das Karfreitagsgefecht hat
15 Jahre Karfreitagsgefecht:Als der Verteidigungsminister von Krieg sprach
von Ines Trams
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Einsatz, Verwundung, Tod: Themen, die eine friedens-verwöhnte Gesellschaft gerne verdrängt. Und die Anerkennung für Soldaten bleibt auch heute aus, sagen Afghanistan-Veteranen.
Insgesamt waren rund 150.000 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im Einsatz. (Symbolbild)
Quelle: dpa
Wolf Gregis ist nervös. In mühseliger Kleinarbeit über Monate hat der Afghanistan-Veteran Augenzeugenberichte zusammengetragen und in einem Buch zum Karfreitagsgefecht zusammengefasst.
Nun soll er es in einem nüchternen Saal des Bundeswehrbandes in Berlin vorstellen.
Neun Stunden Feuergefecht mit den Taliban
Ein Bundeswehrtrupp geriet am 2. April 2010 in ein schweres, knapp neun Stunden dauerndes Feuergefecht mit den Taliban. Drei Soldaten starben.
Danach gab es viel Wirbel, ein Umdenken in Politik und Gesellschaft zu Hause. Zwei Tage nach dem Gefecht sprach der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erstmals von "Krieg".
Karl-Theodor zu Guttenberg, ehem. Verteidigungsminister, am Ehrenhain für Kunduz
Quelle: DBwV/Frank Jungbluth
Gregis formuliert es heute so: "Tatsächlich war zum ersten Mal unübersehbar und auch nicht mehr wegzuleugnen, dass es dort kriegsähnliche Zustände sind."
Konkret aus der Sicht der Soldaten war es Krieg. Gefecht, Tod, Verwundung, das war für uns Soldaten Krieg.
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Wolf Gregis, Afghanistan-Veteran
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Damals nur kurzes Umdenken zu Hause
Die Bundesrepublik war konfrontiert mit einem neuen Bild von sich selbst, einer neuen Rolle in der Welt. Ihre Soldaten bauen in Afghanistan nicht nur Brunnen, sie kämpfen. Deutschland nimmt an einem Kriegseinsatz teil, was sich Politik und Gesellschaft bis dahin nicht eingestehen wollten.
Das Karfreitagsgefecht fand am 2. April 2010 während des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr in der Provinz Kundus statt. Es war die bis dahin schwerste Kampfhandlung der deutschen Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg.
Eine deutsche Infanterieeinheit aus dem Fallschirmjägerbataillon 373 geriet nahe Isa Khel in einen Hinterhalt der Taliban. Die Soldaten wurden mit Maschinengewehren, Mörsern und Panzerfäusten unter schweren Beschuss genommen. Trotz Luftunterstützung durch US-Helikopter zog sich das Gefecht knapp neun Stunden hin. Hauptfeldwebel Nils Bruns, Hauptgefreiter Martin Kadir Augustyniak und Stabsgefreiter Robert Hartert fielen im Gefecht, acht weitere Soldaten wurden teils schwer verwundet.
Das Karfreitagsgefecht hatte eine enorme Wirkung auf die deutsche Politik, die Bundeswehr und die Gesellschaft. Das Gefecht verdeutlichte, dass deutsche Soldaten in echte Kampfhandlungen verwickelt waren, nicht nur in Aufbauhilfe. Zwei Tage nach dem Gefecht sprach der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg zum ersten Mal vom "Krieg in Afghanistan". Bis dahin hatte die Bundesregierung den Einsatz als "Stabilisierungsmission" dargestellt.
Die Verluste führten zu einer erhöhten Absicherung für Soldaten, denn der Vorfall offenbarte Schwächen in Ausrüstung und Fahrzeugschutz der Bundeswehr, was zu einer besseren Ausstattung mit geschützten Fahrzeugen und Waffen führte. Das Karfreitagsgefecht markierte also einen Wendepunkt in der deutschen Sicherheitspolitik und der Wahrnehmung militärischer Auslandseinsätze.
General Sollfrank, Befehlshaber des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr in Potsdam, bei seiner Ansprache an die Veteranen
Quelle: DBwV/Frank Jungbluth
Doch diese Erkenntnis währte nicht lang. Schon bald nach dem Karfreitagsgefecht schaute die Gesellschaft erneut weg. Einsätze, Tod und Verwundung - Themen, die eine friedens-verwöhnte Gesellschaft gerne verdrängt. Die Veteranen deutscher Auslandseinsatzeinsätze fühlten sich wieder von zu Hause im Stich gelassen.
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Und heute - eine neue Sicht auf Soldatinnen und Soldaten?
Heute, 15 Jahre nach dem Karfreitagsgefecht gibt es einen Krieg in Europa, einen Verteidigungsminister, der eine kriegstüchtige Bundeswehr und eine resiliente Gesellschaft fordert. Doch eine Anerkennung, gar Wertschätzung der Soldaten durch die Gesellschaft gibt es nach wie vor nicht.
Maik Mutschke, der in dem Gefecht 2010 schwer verwundet und nur nach vier Wochen Koma überlebt, sagt heute: "Die Leute wollen nichts mit jeder Form von kriegerischer Handlung zu tun haben. Und es ist auch nicht politisch gewollt, dass sich daran was ändert." Der Kriegsschauplatz Ukraine sei schlicht zu weit weg.
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Autor Wolf Gregis fügt hinzu, die Gesellschaft sei nicht gewillt hinzuschauen, "weil das stört den heimischen Frieden". Man mache nach wie vor gerne die Augen zu.
Militärhistoriker Sönke Neitzel, der aktuell ein Buch zur Geschichte der Bundeswehr und zur Zeitenwende vorgelegt hat, findet das nicht verwunderlich. Man könne aktuell gewissermaßen dabei zusehen, "wie der Krieg in den Referenzrahmen von Gesellschaft, Politik und Militär zurückkehrt".
Doch das ginge, so sagt er, "in manchen gesellschaftlichen Gruppen schneller als in anderen. Es geschieht teilweise unter großen Schmerzen und widerwillig, manche lehnen es ganz ab".
Vielen ist aber klar, dass sich Deutschland den sicherheitspolitischen Realitäten nicht länger entziehen kann.
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Sönke Neitzel, Militärhistoriker
Neitzel: Noch immer ein Klima des Verdrängens
Neitzel sieht also ein komplexes Bild, das die Deutschen in diesen Tagen abgeben, nach jahrelanger Sozialisierung vor dem Hintergrund einer Friedensdividende.
Zu Guttenberg, der Dekan, der ehemalige Wehrbeauftragte Königshaus
Quelle: DBwV/Frank Jungbluth
Es scheint noch immer das Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck von einer 'glückssüchtigen Gesellschaft' zu gelten, noch immer gäbe es ein Klima des Verdrängens: "Wie soll es angesichts der jahrzehntelangen Lebenslügen", sagt Neitzel, auch anders sein. "Es war für viele einfach zu bequem, die eigene Sicherheit in die USA auszulagern und dann noch bequem von der Seitenlinie aus zu moralisieren."
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Gedenken im Verborgenen
Der Hauptgefreite Jan Nillies, der als Sanitäter während des Karfreitagsgefechts im Feld eingesetzt war, denkt, die Gesellschaft sei heute sehr wohl bereit, sich mit den Themen Soldaten und Einsatz auseinanderzusetzen. Doch das sei schwierig, wenn keine Soldaten "in der Nähe", wenn Standorte abgebaut seien.
Er beklagt, dass ein Veteranen-Gedenken nur versteckt, im Verborgenen, abseits der Öffentlichkeit stattfinden würde. So läge beispielsweise das Ehrenmal auf dem Gelände des Bendlerblocks und der Wald der Erinnerung mit den Ehrenhainen aus den Einsatzgebieten, der den Toten der Bundeswehr gewidmet ist, auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam (jetzt Operatives Führungskommando).
Marcel Bohnert, stellvertretender Vorsitzender des Bundeswehrverbandes und dort zuständig für Veteranenkultur, mahnt, die "Blackbox Bundeswehr" müsse geöffnet werden. Der Veteranentag, der am 15. Juni dieses Jahres erstmalig begangen wird, sei ein erster Schritt, "damit Bundeswehr und Gesellschaft eng miteinander verzahnt werden und auch zueinander finden".
Das sei in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Man müsse zeigen, dass man als Einheit funktionieren könne.
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Viel ist von Kriegstüchtigkeit die Rede gewesen die letzten Monate, eine Forderung aufgebracht von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Das Gedenken am 15. Jahrestag des Karfreitagsgefechts zeigt: Dazu gehört auch eine neue Wahrnehmung, eine neue Wertschätzung der Soldatinnen und Soldaten.
Dass die Gesellschaft sie und ihren Einsatz - wo auch immer, in Afghanistan oder entlang der Ostflanke - sieht und anerkennt. Am Nachmittag des 15. Jahrestags werden die Gefechtsveteranen ihrer drei toten Kameraden im Wald der Erinnerung gedenken. Ein Gedenken - mal wieder - abgeschirmt von der Öffentlichkeit.
Ines Trams ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: dpa
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