Nach Auftaktsieg bei Tournee:Wellinger nimmt Rolle des Gejagten an
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Nach schweren Jahren glänzt Andreas Wellinger zum Auftakt der Vierschanzentournee. Mit der Rolle des nun Gejagten kann der DSV-Adler umgehen. Der ganz große Coup scheint möglich.
"Schöne Ausgangslage" : Andreas Wellinger ist nun der Tournee-Gejagte.
Quelle: afp
Andreas Wellinger bekam auch lange nach seinem märchenhaften Auftakttriumph das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Mit ungläubigem Blick bahnte sich der 28-Jährige an einem emotionalen Abend in Oberstdorf den Weg vorbei an sämtlichen Gratulanten. Und auch wenn der straffe Zeitplan der Vierschanzentournee eigentlich keinen Moment zum Durchatmen lässt, genoss Wellinger seinen Sieg in vollen Zügen.
"So etwas habe ich noch nie erlebt. Die Fahnen, die Stimmung, die Kulisse, das ist alles einfach geil", so Sieger Wellinger. 25.500 Fans feierten den DSV-Adler frenetisch und gaben ihm reichlich Aufwind für den weiteren Tournee-Weg.
Andreas Wellinger hat das Auftaktspringen der 72. Vierschanzentournee gewonnen und den deutschen Skispringern vor 25.500 Zuschauern in Oberstdorf einen Traumstart beschert.29.12.2023 | 1:00 min
Wellinger nimmt die Favoriten-Rolle an
Der 28-Jährige hat sich nach schweren Jahren endgültig in der Skisprung-Weltspitze zurückgemeldet. Beim traditionellen Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen (ab 14 Uhr ZDF live) darf Wellinger erstmals in seiner Karriere eine Tournee-Führung verteidigen.
Und Wellinger nimmt die Rolle des Gejagten gerne an. "Das ist mal eine schöne Ausgangsposition", sagte der Olympiasieger von 2018. Sein Vorsprung ist mit umgerechnet 1,66 Metern zwar gering, der Japaner Ryoyu Kobayashi und der bisherige Dominator der Saison, Stefan Kraft (Österreich), sitzen Wellinger im Nacken - doch der strotzt derzeit vor Selbstvertrauen.
Es lässt sich kaum ausmalen, was los wäre, sollte Wellinger tatsächlich zum ersten deutschen Tournee-Gesamtsieg seit Sven Hannawald im Jahr 2002 springen.
Der Wirbel um das Loch im Anzug von Skispringer Andreas Wellinger hat auch den Deutschen Skiverband (DSV) aufgeschreckt. "Das sollte nicht passieren", sagte DSV-Sportdirektor Horst Hüttel am Samstag in der ARD. Eine Disqualifikation des Oberstdorf-Siegers wäre regelkonform gewesen, so Hüttel.
Nach der Qualifikation am Donnerstag war im TV-Bild bei Wellingers Anzug ein Loch zu sehen gewesen. "Wenn er bei mir gewesen wäre, wäre er disqualifiziert worden", sagte Materialkontrolleur Christian Kathol dem norwegischen TV-Sender NRK. In dem Fall hätte Wellinger tags darauf beim Springen in Oberstdorf nicht an den Start gehen dürfen.
Hüttel gab den Regelverstoß zu. "Es steht im Reglement so drin, da hat der Christian keine andere Chance. Er muss so handeln, definitiv", sagte er. Wellinger habe das Loch damit erklärt, dass er nach seinem Sieg in der Qualifikation "unten zu stark gejubelt" habe: "Aber er ist vorher vermessen worden und mit einem regelkonformen Anzug gesprungen." Daher habe es auch keinen Protest gegeben. "Er hat dadurch keinen Vorteil. Daher sollte man dem nicht zu viel Bedeutung zumessen", sagte Hüttel.
Wellinger kämpft sich zurück
Der Sieg beim Tournee-Auftakt ist für Wellinger der "mit Abstand" schönste Erfolg. "Der Weg hierhin war brutal schwer, das macht mich extrem stolz."
2019 hatte sich der damals 23-Jährige das Kreuzband gerissen. Lange musste Wellinger um die Rückkehr zu alter Stärke kämpfen, noch vor zwei Jahren scheiterte er in Oberstdorf bereits in der Qualifikation. "Ich habe zum Glück immer an mich geglaubt", sagte Wellinger nun:
Der Bundestrainer zeigt sich beeindruckt
Nachdem ihm erst im vergangenen Februar der erste Weltcup-Sieg seit seiner Verletzung gelungen war, zählt er im bisherigen Winter wieder zur absoluten Weltspitze - das stellte er in Oberstdorf eindrucksvoll unter Beweis. Bundestrainer Stefan Horngacher schwärmte besonders von Wellingers vorentscheidenden Sprung im 1. Durchgang auf 139,5 Meter: "Das war der Wahnsinn, so was habe ich selten gesehen."
Den Trainer beeindruckte die mentale Stärke seines Schützlings: Mit dem Sieg in der Qualifikation habe sich Wellinger zwar "einen großen Rucksack aufgebunden", so Horngacher, "den hat er dann aber locker weggeschmissen".
Das insgesamt erneut gute Teamergebnis - die Oberstdorfer Lokalmatadoren Philipp Raimund und Karl Geiger landeten auf den Plätzen sechs und sieben - verkam da fast zur Nebensache. Wellinger überstrahlte alles. Der Traum, dass das auch bis zum letzten Springen in Bischofshofen so bleibt, lebt.