Skispringen: Warum dominieren die Routiniers?

    Skispringen:Warum dominieren die Routiniers?

    von Lars Becker
    |

    In der Runde der Topfavoriten für die Vierschanzentournee ist Ü30 fast Pflicht. Was steckt dahinter - und wie setzt sich Karl Geiger für die jüngeren Skispringer ein?

    Skispringen: Karl Geiger (l.) und Andreas Wellinger.
    Zwei Skisprung-Routiniers mit Ambitionen auf den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee: Karl Geiger (l.) und Andreas Wellinger.
    Quelle: dpa

    Zarte 18 Jahre alt war Andreas Wellinger, als er 2014 in Sotschi sensationell Team-Olympiasieger mit Deutschland wurde. Die Geschichte des Skispringens ist reich an solchen Wunderkindern: Finnlands Toni Nieminen gewann 1992 mit 16 Jahren die Vierschanzentournee und wurde danach Doppel-Olympiasieger. Sein Stern verglühte schnell, Nieminen rutschte zwischenzeitlich in die Alkoholsucht und verkaufte seine Medaillen.

    Nykänen und Nieminen stürzten ab

    Auch sein Landsmann Matti Nykänen startete die wohl legendärste Karriere in der Geschichte des Flugsports schon mit 18 Jahren als Weltmeister im Raketentempo. Als der viermalige Olympiasieger und siebenmalige Weltmeister nicht mehr so erfolgreich war, stürzte er komplett ab. Alkohol, Drogen, öffentlichen Strip-Einlagen und Messer-Attacken auf seine Ehefrau folgte der frühe Tod im Alter von 45 Jahren.

    "Umso länger du trainierst, desto mehr Kraft hast du. Die können junge Springer noch gar nicht haben. Heutzutage braucht man diese Kraft beim Skispringen wieder viel mehr. In meiner Zeit mit den weiteren Anzügen war das anders. Ich konnte nicht aus dem Stand auf ein Hochhaus springen, aber ich konnte das halt mit meinem Fluggefühl mehr als ausgleichen", bestätigt Sven Hannawald, der vor 22 Jahren als letzter Deutscher die Tournee gewann.

    Leichtere Springer hätten früher deutlich bessere Karten gehabt. Durch die neuen Gewichtsregeln könnten ältere Springer länger "überleben".

    Es ist also auch aus Sicht einer gesunden charakterlichen Entwicklung junger Sportler durchaus zu begrüßen, dass in diesen Tagen die Oldies den Flugsport dominieren. Pius Paschke schaffte in diesem Winter mit 33 Jahren sein erstes Weltcup-Podest und bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg seinen ersten Weltcup-Sieg. Er ist damit der älteste Skispringer der Geschichte, dem diese Premieren gelungen sind.
    Auch der Schweizer Gregor Deschwanden holte in diesem Winter mit 32 Jahren zum ersten Mal einen Weltcup-Podestplatz. Selbst sein Teamkollege Simon Ammann, viermaliger Olympiasieger, springt mit 42 Jahren noch unter den besten 30 der Welt mit.

    Topfavoriten aus der Generation Ü30

    Auch die Topfavoriten für die anstehende Vierschanzentournee wie der Österreicher Stefan Kraft (30) und Karl Geiger (30) gehören schon zur Generation Ü30. Andreas Wellinger ist in dieser Runde mit inzwischen 28 fast ein "Jungspund", aber durch seine Verletzungen und das schwierige Comeback schon reich an wertvollen Erfahrungen.

    Der Alters-Durchschnitt steigt mit jedem Jahr in der Skisprung-Weltspitze. Natürlich spielt da die Erfahrung die entscheidende Rolle.

    Bundestrainer Stefan Horngacher

    "Pius Paschke ist ein gutes Beispiel. Er war erst ganz unten, dann war er vor zwei Jahren schon einmal ganz nah dran am Podest. Jetzt hat er es endlich geschafft und das ist kein Zufall", sagt Bundestrainer Andreas Horngacher. Doch Erfahrung ist nicht die einzige Komponente, fast noch wichtiger sind die Regeländerungen der letzten Jahre im Skispringen.
    Stefan Horngacher im Gespräch mit Andreas Kürten
    Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher im Interview: Wie schätzt er die deutschen Aussichten bei der Vierschanzentournee ein?28.12.2023 | 1:31 min
    Nachdem Anfang des Jahrtausends wie im Fall Sven Hannawald schlimme Magersucht-Vorfälle das Image des Flugsports angekratzt hatten, wurde das Mindestgewicht schrittweise erhöht. Auch vor dieser Saison gab es wieder Anpassungen, so dass Flieger im Grenzbereich nun etwa ein Kilo mehr auf den Rippen haben müssen.

    Neue Regeln bevorzugen kräftige Springer

    Damit funktioniert das Motto "Leicht fliegt gut" nicht mehr so gut wie früher, auch durch die engeren Skisprung-Anzüge ist deutlich mehr Absprung-Kraft und Athletik als früher gefragt. Das bevorteilt trainingsältere Sportler und macht den Wunderkindern den direkten Flug in die Weltspitze fast unmöglich.
    "Als ich vor elf Jahren in den Skisprung-Weltcup gekommen bin, durfte ich noch deutlich leichter sein. Das war gut für mich, weil ich von der Anlage ein sehr leichter und drahtiger Typ bin", analysiert Karl Geiger.

    Mit dem jetzigen Regelwerk hätte ich mich deutlich schwerer getan.

    Karl Geiger

    Dass man heutzutage schwerer sein müsse, sei eine gute Entwicklung: "Wir sind weit weg von der Magersucht, man isst gesund und normal." Der sechsmalige Weltmeister findet jedoch auch, dass das Skispringen ein Profisport bleiben solle, "in dem man auf gesunde Ernährung achten muss".
    In diesem Zusammenhang setzt sich der routinierte Überflieger für die jüngeren Kollegen und Flieger der Zukunft ein: "Als junger Athlet ist man nun mal deutlich leichter. Deshalb sollte auch die momentane Gewichts-Regel nicht weiter verschärft werden, dass man noch schwerer sein muss."
    Horst Hüttel
    Im Gespräch mit Florian Zschiedrich spricht der DSV-Sportdirektor Horst Hüttel über die Vierschanzentournee. Wieso springen die Deutschen in dieser Saison so viel besser? 28.12.2023 | 3:43 min

    Mehr zur Vierschanzentournee

    Mehr Wintersport-Highlights

    Wintersportlegenden im Porträt

    Mehr zum Wintersport

    Sport-Dokus und -Stories