Krieg in der Ukraine: Gibt es noch eine Chance auf Frieden?

    Interview

    Expertin zu Ukraine-Krieg:Gibt es noch eine Chance auf Frieden?

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    Friedensforscherin Ursula Schröder erklärt, wann Russlands Krieg gegen die Ukraine trotz schleppender Verhandlungen enden könnte und ob ein Weltkrieg mit Atomwaffen droht.

    Das Bild zeigt Rettungskräfte, die nach einer Explosion in Kiew im Einsatz sind. Während des Besuchs von UN-Generalsekretär Guterres hat es in der Nähe des Kiewer Stadtzentrums mehrere Explosionen gegeben.
    Ein brennendes Haus in Kiew: Wann könnte der Ukraine-Krieg enden? (Symbolbild)
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Gerade hört man wenig über die Verhandlungen zwischen russischer und ukrainischer Seite. Ist die Chance für eine diplomatische Lösung vom Tisch?
    Prof. Ursula Schröder: Wir wissen, dass seit Kriegsbeginn an unterschiedlichen Orten öffentlich und auch im Geheimen Verhandlungen geführt werden, was in Kriegen üblich und notwendig ist. Aktuell sehen wir noch nicht, dass diese große Erfolge zeigen, was aber auch ungewöhnlich wäre. Friedens- oder Waffenstillstandsverhandlungen scheitern häufig erst einmal und werden dann erneut in anderer Konstellation geführt.

    Archiv: Prof. Dr. Ursula Schroeder, Institut fuer Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universitaet Hamburg, IFSH.
    Quelle: imago

    ... ist Wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und leitet dort den Forschungsbereich Europäische Friedens- und Sicherheitsordnungen. Schröder erforscht unter anderem, wie Friedens- und Sicherheitsordnungen in Europa und anderen Regionen der Welt entstehen und sich wandeln.

    ZDFheute: Wann könnten Friedensverhandlungen dann wieder Aussicht auf Erfolg haben?
    Schröder: Aktuell sieht es militärisch eher nach einer Pattsituation aus. Die Frage ist in solchen Situationen, welche Seite zuerst ermüdet und Interesse daran entwickelt, in Friedensverhandlungen einzutreten. Momentan ist das aus russischer Sicht noch nicht erkennbar. Für die ukrainische Seite ist es gerade auch sehr schwierig, sie muss abwägen. Verhandelt sie zu früh, müsste sie zu viele Zugeständnisse machen, wird zu spät verhandelt, wird das Leid der eigenen Bevölkerung unfassbar groß sein.
    ZDFheute: Putin zielt angeblich darauf ab, am 9. Mai den Sieg über die Ukraine zu verkünden. Welche Bedeutung hat das Datum für den Konflikt?
    Schröder: Der 9. Mai, der Tag des Sieges über Deutschland im Zweiten Weltkrieg, ist für Russland ein Datum von hoher symbolischer Bedeutung. Es ist sicher so, dass Russland an diesem Tag zumindest einen klaren Erfolg vorweisen möchte. Angesichts des schleppenden Kriegsverlauf ist allerdings derzeit unklar, welcher das sein soll. In einem möglichen Szenario wird Russland den 9. Mai zur breiteren Mobilisierung der russischen Bevölkerung für den Krieg nutzen, darüber können wir aktuell aber nur spekulieren.
    ZDFheute: Lässt sich aus früheren Konflikten ableiten, wann mit einem Kriegsende zu rechnen ist?
    Schröder: Studien zeigen, dass zwischenstaatliche Kriege in der Regel eher vergleichsweise kurz dauern, im Durchschnitt 15 Monate. Sie ziehen sich meistens nicht so lange hin wie Bürgerkriege, die auch Jahrzehnte anhalten können. Es könnte aber auch ein "Kein Krieg, kein Frieden"-Szenario eintreten, in dem es weder einen dauerhaften Waffenstillstand noch eine weitere Kriegseskalation gibt.
    ZDFheute: Beim Stichwort Eskalation wird oft vor einem Dritten Weltkrieg gewarnt. Ist dieser Punkt durch Waffenlieferungen von Drittstaaten nicht längst erreicht?
    Schröder: Zurzeit befinden wir uns eindeutig nicht in einem Dritten Weltkrieg. Die Rede vom Weltkrieg wird von der russischen Seite eingesetzt, um Angst zu schüren und die westliche Seite dazu zu bringen, weniger Waffen zu liefern. Die Nato kommuniziert momentan sehr klar, dass sie nicht als aktive Partei in diesen Krieg eintreten möchte. Aber das ist natürlich eine feine Linie. Die russische Seite interpretiert die Waffenlieferungen an die Ukraine anscheinend bereits als einen Stellvertreter-Krieg mit der Nato.



    ZDFheute: Ab wann würde man dann von einem Weltkrieg sprechen?
    Schröder: Es müsste eine direkte Involvierung der Nato in die Kampfhandlungen geben und dann eine massive Eskalation der Kämpfe unter Beteiligung vieler Staaten auf mehreren Kontinenten, beispielsweise durch eine massive nukleare Eskalation.
    ZDFheute: Kann ein Weltkrieg im Jahr 2022 nur mit dem Einsatz von Atomwaffen geführt werden?
    Schröder: Eine nukleare Eskalation wäre dafür jedenfalls das wahrscheinlichste Szenario. Aber auch ein konventioneller Krieg kann zu einem großflächigen Weltkrieg eskalieren, der viele Staaten in direkte Kriegshandlungen einbezieht.

    Ich halte es aber für extrem unwahrscheinlich, dass wir einen konventionellen oder nuklearen Großkrieg dieser Art sehen werden.

    Ursula Schröder, Universität Hamburg

    ZDFheute: Wenn ein Atomkrieg das wahrscheinlichste Weltkriegs-Szenario ist, für wie realistisch halten sie ihn?
    Schröder: Es gibt eine reale, wenn auch ausgesprochen geringe Wahrscheinlichkeit.
    ZDFheute: Sollte der Krieg irgendwann enden, kann es dann noch irgendeine Form der Zusammenarbeit mit Putin geben aus westlicher Sicht?
    Schröder: Die Bande zwischen der russischen Föderation und den westlichen Staaten sind vollständig zerschnitten, es gibt fast überhaupt keinen Austausch mehr.

    Ich kann mir keinen Weg vorstellen, um mit der Putin-Regierung wieder zu einem Status quo wie vor diesem Krieg zurückzukehren.

    Ursula Schröder, Universität Hamburg

    Man muss aber prinzipiell auch mit Gegnern Gesprächskanäle offenhalten, das wird auch mit einem Russland unter Putin notwendig sein, um zumindest das Risiko einer nichtgewollten Eskalation zu minimieren.
    ZDFheute: Braucht es für eine Annährung also einen Regime-Wechsel in Russland?
    Schröder: Es wird manchmal von einem Regimewechsel in Russland als positive Möglichkeit der Lösung dieses Konflikts gesprochen. Es wäre nach einem - momentan sehr unwahrscheinlichen - Sturz der Regierung durch die russische Bevölkerung aber auch möglich, dass dieser Staat in mehrere kleinere Einheiten zerfällt. Das könnte die Situation weiter destabilisieren.
    Das Interview führte Lukas Wagner.
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    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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