Krieg in Israel:Experte Höfner: "Wir haben viel weggeschaut"
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In den letzten 30 Jahren habe man viele Fehler im Nahost-Konflikt gemacht, sagt Steven Höfner. Einer davon sei die Unterstützung der palästinensischen Autonomie-Behörde gewesen.
Steven Höfner ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah im Westjordanland. Nach den Angriffen der Hamas-Terroristen hat er mit seiner Familie das Land verlassen und befindet sich jetzt in Jordanien.
ZDFheute: Sie haben Ramallah, wo Sie lange gelebt haben, verlassen. Warum?
Steven Höfner: Unmittelbar am Samstag wurde uns nicht das ganze Ausmaß bewusst. Aber es wurde uns schon bewusst, dass das ein einschneidender Moment, ein historischer Moment in der israelischen und innerpalästinensischen Geschichte ist.
Das führte auch dazu, dass wir im Westjordanland eine gewisse Unsicherheit hatten, wie die nächsten Tage ablaufen werden - einerseits mit Blick auf militante Terrorgruppen der Hamas im Westjordanland, andererseits in Bezug auf die Versorgungslage. Deswegen haben wir uns zu Beginn der vergangenen Woche auch entschieden, gerade weil ich mit meiner Familie vor Ort bin, das Land zu verlassen. Es war keine Flucht oder Evakuierung, sondern wir haben eigenständig entschieden.
ZDFheute: Wollen Sie zurück nach Ramallah?
Höfner: Es ist gar nicht absehbar, wie die nächsten Tage und Wochen verlaufen werden. Wir werden so früh es geht und sobald die Sicherheitslage es zulässt, nach Ramallah zurückkehren.
ZDFheute: Welche Rolle spielt die palästinensische Autonomie-Behörde im Westjordanland in diesem Konflikt? Eine Schlüsselrolle?
Höfner: Sie spielt in dieser aktuellen Konfliktlage erst mal keine Rolle. Sie versucht, ein wenig mäßigend mit ihren Sicherheitskräften auf die Lage im Westjordanland einzuwirken. Aber es ist offensichtlich, dass vor allem Präsident Abbas an der Spitze nicht in der Lage ist, irgendwelche Visionen aufzuzeigen.
Er ist nicht in der Lage, die Hamas zu kritisieren für ihren Terrorangriff, und das zeigt, wie schwach der Palästinenserpräsident geworden ist. Er hat keine demokratische Legitimität mehr, und die Bevölkerung folgt ihm auch nicht. Das bedeutet, der Konflikt muss neu gedacht werden.
ZDFheute: Bislang sind alle Friedensinitiativen im Nahen Osten gescheitert. Wer hat da versagt?
Höfner: Ich glaube, die internationale Staatengemeinschaft hat in den letzten 30 Jahren einige Fehler gemacht. Wir haben uns nicht genügend darum bemüht, die Konfliktparteien am Verhandlungstisch zu behalten. Wir sind Widersprüchen nicht nachgegangen.
Wenn es Verletzungen der Oslo-Abkommen gab, sowohl von der palästinensischen Autonomie-Behörde, aber auch den voranschreitenden Siedlungsbau durch die israelische Regierung, waren wir nicht in der Lage, da etwas entgegenzusetzen. Ich glaube, deswegen tragen wir als internationale Staatengemeinschaft und insbesondere auch die EU und Deutschland, mit seiner Verantwortung für Israel, nicht eine Mitschuld, aber zumindest haben wir Fehler begangen in den letzten 30 Jahren.
Im September 1993 unterzeichnen Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin und Palästinenser-Chef Jassir Arafat in Washington das Oslo-Abkommen. Unter Vermittlung von US-Präsident Bill Clinton und Norwegen akzeptiert Israel die PLO als offiziellen Vertreter der Palästinenser sowie eine begrenzte Selbstverwaltung für die Palästinenser-Gebiete. Die Vereinbarung sieht einen schrittweisen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten vor. Die PLO wiederum streicht aus ihrer Charta alle Passagen, die die Vernichtung Israels als Ziel enthalten. Die Palästinenser sollen innerhalb von fünf Jahren einen eigenen Staat bekommen und dafür auf Angriffe auf Israel verzichten. Ausgeklammert bleiben Kernfragen - etwa zu Jerusalem und den Grenzen.
Quellen: dpa, Reuters, AFP
ZDFheute: Hat das Oslo-Friedensabkommen noch eine Zukunft?
Höfner: Es ist offensichtlich geworden, dass die Oslo-Abkommen gescheitert sind. Die Hoffnungen, die damit verbunden waren, vor allem in den 1990er-Jahren, haben sich nicht erfüllt. Es gab keine Friedenspartner auf palästinensischer Seite, was sich vor allem mit der zweiten Intifada herauskristallisiert hat. Aber auch unter der Regentschaft von Präsident Abbas wurde deutlich, dass es keine Friedensaussichten gibt, weil er auch das eigene Volk unterdrückt hat. Er war eigentlich nur am eigenen Machterhalt interessiert und nicht so sehr daran, wie man die Region befrieden kann.
Ich möchte aber auch ganz klar sagen, dass natürlich die letztliche Verantwortung für eine Friedenslösung bei den Israelis und den Palästinensern vor Ort liegt.
ZDFheute: Welche Fehler sind auf deutscher Seite gemacht worden?
Höfner: Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren viel weggeschaut haben als deutsche Öffentlichkeit, europäische Öffentlichkeit und uns ein wenig darauf verlassen haben, dass dieses System der Oslo-Verträge funktioniert und zumindest eine Stabilität erzeugt, die aber letztlich trügerisch war.
Gerade durch die Kooperation mit der palästinensischen Autonomie-Behörde unter Präsident Abbas haben wir ein System gestützt, das undemokratisch ist, auch Menschenrechte verletzt hat, und das keine politische Bewegung in der Opposition zugelassen hat.
Das Oslo-System, so wie wir es in den letzten 30 Jahren gehabt haben, das kann so nicht mehr existieren. Deswegen müssen wir den Nahost-Konflikt noch einmal ganz neu denken.
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