Thüringen: Streit um Landtagspräsidenten-Wahl droht
FAQ
Neuer Landtag in Thüringen:Landtagspräsidenten-Wahl: Warum Ärger droht
von Mona Trebing, Erfurt
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Der Thüringer Landtag kommt zum ersten Mal nach der Wahl zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Droht direkt ein Rechtsstreit mit oder wegen der AfD?
Nach der Wahl in Thüringen kommt der Landtag zu seiner ersten konstituierenden Sitzung zusammen. Warum dabei gleich Ärger droht, erklärt ZDF-Reporterin Mona Trebing aus Erfurt.26.09.2024 | 1:01 min
Der Streit bahnt sich schon an, noch bevor der neue Landtag seine Arbeit überhaupt aufgenommen hat. Rund dreieinhalb Wochen nach der Landtagswahl in Thüringen, treten die 88 Abgeordneten an diesem Donnerstag zum ersten Mal zusammen. Damit das neu gewählte Parlament voll arbeitsfähig ist, muss in der konstituierenden Sitzung eine neue Landtagspräsidentin beziehungsweise ein neuer Landtagspräsident gewählt werden.
Genau diese Wahl wird aller Voraussicht nach zur Zerreißprobe. Laut Geschäftsordnung hat die AfD als stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht und will es auch unbedingt für sich beanspruchen. Die anderen Fraktionen wollen aber nicht, dass das höchste Amt des Parlaments an die vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei geht.
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Wie läuft die konstituierende Sitzung ab?
Die erste Sitzung wird - wie üblich - durch den Alterspräsidenten, also den ältesten Abgeordneten des neu gewählten Landtags, eröffnet. Dieser leitet die Sitzung so lange, bis ein neuer Landtagspräsident gewählt ist. Mit seinen 73 Jahren wird Jürgen Treutler von der AfD durch die Sitzung führen und die Wahl koordinieren.
Wie wird der Landtagspräsident gewählt?
Üblich - und in der Landtags-Geschäftsordnung verankert - ist, dass die stärkste Fraktion als erstes einen Kandidaten vorschlagen darf. Gewählt ist die Person, die in geheimer Wahl mehr gültige Ja- als Nein-Stimmen erhält. Es zählt also eine einfache Mehrheit.
Der Landtagspräsident oder die Landtagspräsidentin ist eine Art Aushängeschild oder Visitenkarte des Thüringer Parlaments. Im Amt vereinen sich sowohl repräsentative als auch organisatorische Aufgaben: Unter anderem vertritt er oder sie den Landtag nach außen, führt die Geschäfte, übt Hausrecht oder Ordnungs- und Polizeigewalt aus - kann also auch entscheiden, wem Zutritt zum Landtag gewährt oder verweigert wird.
Wer ist die Kandidatin der AfD?
Mit 32 Abgeordneten ist die AfD erstmals stärkste Kraft in einem deutschen Landtag. Bei ihr liegt das Vorschlagsrecht. Als Kandidatin will die AfD Wiebke Muhsal ins Rennen schicken. Die 38-Jährige war bereits von 2014 bis 2019 Landtagsmitglied. Vor einigen Jahren wurde sie wegen Betrugs rechtskräftig verurteilt, weil sie 2014 den Arbeitsvertrag einer Mitarbeiterin um zwei Monate vordatiert hatte, um zusätzliches Geld von der Landtagsverwaltung zu erhalten.
Einige Abgeordnete der anderen Fraktionen sehen die Nominierung Muhsals als Affront. "Jemanden vorzuschlagen, der den Landtag betrogen hat, ist eine Provokation", sagt Katja Wolf, Fraktionsvorsitzende des BSW.
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Warum wollen CDU und BSW die Geschäftsordnung ändern?
Schon bevor die AfD ihre Kandidatin bekanntgab, hatten die anderen Fraktionen von CDU, BSW, Linke und SPD ausgeschlossen, der AfD die Rolle des "Demokratiehüters" zu überlassen.
In der Geschäftsordnung des Landtags ist unklar formuliert, wie lange die AfD als stärkste Fraktion das alleinige Vorschlagsrecht hat. Wegen dieser Unsicherheit fürchten die demokratischen Parteien ein langes Gezerre, bei dem die AfD sämtliche Parteimitglieder in diversen Wahlgängen vorschlagen würde, die immer wieder aufgrund mangelnder Stimmen durchfielen.
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Um das zu vermeiden, haben CDU und BSW letzte Woche beantragt, die Geschäftsordnung nach Beginn der Sitzung und noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten zu ändern. So sollen von Anfang an alle Fraktionen einen Vorschlag für das Amt des Landtagspräsidenten machen dürfen. Die CDU hat bereits einen Kandidaten nominiert - und SPD, BSW und Linke haben bereits erklärt, ihn für wählbar zu halten.
Was sagt die AfD?
Aufgrund des Thüringer Geschäftsordnungsgesetzes hält es die AfD für unzulässig, die Geschäftsordnung vor der Wahl zu ändern. Das Gesetz schreibe eine genaue Abfolge vor, so Torben Braga, ein Sprecher der AfD. Erst müsse der Landtagspräsident gewählt werden, dann könne man die Geschäftsordnung ändern.
Laut Juliana Talg, wissenschaftliche Mitarbeiterin des "Verfassungsblogs", ist jedoch eine genaue Abfolge weder im Thüringer Geschäftsordnungsgesetz noch in der derzeitigen Geschäftsordnung vorgeschrieben. Die Aussage von Braga sei falsch. Entscheidend sei aber sowieso die Thüringer Verfassung. "Danach hat der neue Landtag volle Geschäftsordnungsautonomie und kann diese somit jederzeit, also auch vor der Wahl der Landtagspräsidentin, ändern", sagte Talg zu ZDFheute.
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Wie könnte die Sitzung ausgehen?
Da die AfD und sehr wahrscheinlich auch der sitzungsleitende Alterspräsident Jürgen Treutler die Änderung der Geschäftsordnung vor der Wahl des Landtagspräsidenten ablehnen werden, ist es wahrscheinlich, dass die konstituierende Sitzung unter- oder gar abgebrochen wird. AfD-Sprecher Braga kündigte an, dass seine Fraktion im Zweifel das Landesverfassungsgericht in Weimar anrufen werde.
Auch die CDU schließt den Gang zum Verfassungsgericht nicht aus. Nach Angaben der Verantwortlichen bereitet sich das Gericht darauf vor, im Bedarfsfall eine möglichst schnelle Entscheidung treffen zu können. Wird die Sitzung abgebrochen, könnte sie Freitag und oder Samstag fortgesetzt werden. Thüringen könnte mal wieder ein politisches Novum produzieren.
Mona Trebing ist Redakteurin im ZDF-Landesstudio Thüringen in Erfurt.
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