Wissing-Skandal: Weitere fragwürdige Projekte von Auto-Lobby
Exklusiv
Wissing-Skandal kein Einzelfall:Auto-Lobbyist mit fragwürdigen Methoden
von N. Metzger und N. Niedermeier
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Die Lobbygruppe Mobil in Deutschland kämpft mit harten Bandagen für Verbrenner-Autos. Aktivitäten des Münchner Vereins mit Kontakten zu Spitzenpolitikern werfen Fragen auf.
Große Nähe zur CSU: Auto-Lobbyist Michael Haberland macht 2020 Wahlkampf für die CSU in München.
Quelle: Mobil in Deutschland
Lobbyismus hat einen schlechten Ruf, ist aber - innerhalb gewisser Regeln - normaler Bestandteil demokratischer Prozesse. Vor einer Woche deckte ZDF frontal die umstrittene Nähe des Auto-Lobbyvereins Mobil in Deutschland zum Bundesverkehrsministerium auf. Es geht um den Vorwurf, Kraftstoff-Unternehmen seien Minister-Termine gegen Geld in Aussicht gestellt worden.
In Reaktion auf die Recherchen schreibt der Verein auf seiner Webseite:
Doch nicht nur die HVO100-Kampagne, sondern auch weitere Aktivitäten des Vereins wecken Zweifel an solchen Beteuerungen.
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Dauerpolemik gegen Grüne
Vereinspräsident Michael Haberland ist Netzwerker mit Leidenschaft. Seine Social-Media-Profile zeigen ihn Seite an Seite mit FDP-Chef Christian Lindner, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), oder dem CSU-Fraktionschef Martin Huber. Seit Jahren kämpft Haberland gegen Tempolimits, oder klagt gegen Radwege und Diesel-Fahrverbote.
Mehr als ein Dutzend Kampagnenseiten mit Hunderttausenden Followern unterhält der Verein im Netz. Der Ton dort ist oft harsch. Da werden "Höchststrafen" für Klimakleber gefordert, oder über "Lastenrad-Muttis" und Gendern gemeckert. Haberland wünscht sich "Null Prozent für die Grünen - das Beste, was Du für Dein Land tun kannst".
Dabei war Haberland als Aktivist selbst schon an einer Straßenblockade beteiligt. Für den Vorgängerverein Mobil in München versperrte er 1994 eine Fahrbahn, um gegen "unnötige Busspuren" zu protestieren, wie der "Focus" damals berichtete.
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CSU-Parteiwerbung über Vereinsseiten
Immer wieder verbreitet der Verein über seine Seiten auch Parteiwerbung der Union. Es wird aufgerufen, bei CDU-Aktionen gegen ein "Verbrenner-Verbot" mitzumachen, man teilt Wahlaufrufe von CSU-Politikern und jubelt über gute Ergebnisse der Partei. Vereinschef Haberland selbst trat 2020 bei Kommunalwahlen für die CSU in München an - und nutzte den Webauftritt von Mobil in Deutschland damals, um für seine Kandidatur zu werben.
Besonders präsent war zuletzt Manfred Weber, CSU-Spitzenkandidat bei der zurückliegenden Europawahl. Auf dem CSU-Parteitag im April ließ er sich mit Haberland an einem Mobil in Deutschland-Stand fotografieren und gab dem Verbandsmagazin "Mobil" kurz vor der Wahl ein Interview. Weitere CSU-Politiker traten im gleichen Zeitraum in Videos des Vereins auf und machten Werbung für CSU-Positionen. Auf eine Frontal-Anfrage reagierte Weber nicht, Haberland lässt per Anwalt mitteilen, sein Verein sei parteipolitisch neutral.
Laut Recherchen von ZDF frontal sollen von einer Lobby-Organisation Treffen mit hochrangigen Mitarbeitern des Verkehrsministeriums angeboten worden sein. 16.07.2024 | 2:48 min
Verein verweigert dem Bundestag Transparenzangaben
Da Mobil in Deutschland auch in der Bundespolitik aktiv ist, muss sich der Verein im Lobbyregister des Bundestags eintragen und dort gesetzlich vorgeschriebene Transparenzangaben machen.
Der Verein gibt dort an, er habe 2023 inklusive Personalkosten weniger als 10.000 Euro für Lobbyaktivitäten ausgegeben - bei fünf Vollzeit-Beschäftigten in diesem Bereich. Seit Ende Juni 2024 müssen registrierte Organisationen dem Bundestag verpflichtend einen Rechenschaftsbericht mit weiteren Finanzinformationen vorgelegen. Hier hat der Verein nur ein Platzhalter-Dokument hochgeladen, der Jahresabschluss werde "nachgereicht".
Die zuständige Bundestagsverwaltung teilte ZDF frontal mit, solche Platzhalter-Angaben seien "nicht zulässig" - möglicherweise ein Gesetzesverstoß? Christina Deckwirth von Lobbycontrol ist der Überzeugung:
Mobil in Deutschland verneint auf ZDF-Nachfrage, zu niedrige oder falsche Angaben gemacht zu haben. Der Jahresabschluss könne "zu gegebener Zeit" im Register eingesehen werden.
Das lange umstrittene Lobbyregister ist beschlossene Sache. Lobbyisten müssen sich künftig registrieren. Das Ziel: mehr Transparenz.26.03.2021 | 1:58 min
Haberland-Unternehmen verspricht CO2-Kompensation
Ein weiteres Projekt von Mobil in Deutschland will es Autofahrern ermöglichen, Verbrenner ohne schlechtes Klima-Gewissen zu fahren. Seit 2022 betreibt Haberland in Kooperation mit dem bayerischen Agrarkonzern BayWa eine Firma zur CO2-Kompensation: Green Balanced. Zum Preis von 99 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2 würden regional in Deutschland Bäume als Ausgleich gepflanzt.
Mit diesem Versprechen schaffte es Green Balanced in zahlreiche Medien, darunter "Focus", "Auto Bild", "tz", oder den Bayerischen Rundfunk. Stets positiv mit erwähnt: Haberland und sein Verein Mobil in Deutschland. Tatsächlich kompensiert hat Green Balanced nach eigenen Angaben in rund zwei Jahren Geschäftstätigkeit lediglich 310 Tonnen CO2, was laut Green Balanced dem Ausstoß von 55 Autos entspreche.
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Experte: "Musterbeispiel für Greenwashing"
Thomas Koch forscht zu Unternehmenskommunikation und Nachhaltigkeit an der Universität Mainz. Für ihn sind solche symbolisch geringen Mengen an kompensiertem CO2 bei gleichzeitig großen Werbeversprechen ein "Musterbeispiel für Greenwashing". Haberland weist diesen Vorwurf gegenüber ZDF frontal als "substanzlos und wohl rein ideologie-getrieben" zurück.
Green Balanced wirbt mit Preisen und Zertifikaten. Etwa einer Nachhaltigkeitsauszeichnung des Branchenportals "OutdoorMarkt". Auffällig dabei: Green Balanced erhielt den Preis 2023 außerhalb des normalen Wettbewerbs als "Sonderpreis". Eine Eventagentur Haberlands war Sponsor der Verleihung - was den Verdacht einer Gefälligkeitsauszeichnung aufkommen lässt. Eine Anfrage dazu ließ "OutdoorMarkt" unbeantwortet. Durch seinen Anwalt teilt Haberland mit, Green Balanced habe die Auszeichnung "aufgrund des innovativen Ansatzes beim Thema Nachhaltigkeit" erhalten.
Auf Urkunden, die Green Balanced seinen Kunden ausstellt, taucht auch das internationale Qualitätssiegel für CO2-Kompensationsprojekte "Gold Standard" auf. "Gold Standard" teilte ZDF frontal mit, dass Green Balanced keine Berechtigung für diese Verwendung ihres Logos habe.
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Partner BayWa überlegt, Kooperation einzustellen
Nicht mehr überzeugt vom Projekt scheint auch Partner BayWa. "Aktuell überprüfen wir das Projekt und damit auch diese Zusammenarbeit. Voraussichtlich bis spätestens Ende Juli 2024 werden wir entscheiden, ob wir das Projekt einstellen. Die Gründe dafür sind vielseitig", teilt das Unternehmen ZDF frontal mit.
2024 seien laut BayWa noch keine neuen Bäume gepflanzt worden und es sei auch derzeit nicht geplant. Bis heute wirbt Green Balanced mit CO2-Kompensation und dem Versprechen, dass neue Bäume gepflanzt würden. "Durch Ihren Kauf werden regional neue Bäume gepflanzt" und "für jede kompensierte Tonne CO2 werden in Deutschland ungefähr fünf Bäume gepflanzt", heißt es auf der Webseite.
Haberland weist zurück, dass Kunden so getäuscht würden: "Green Balanced hatte bereits in den Jahren 2022 und 2023 eine große Anzahl an bereits kompensierten Tonnen CO2 bei der BayWa erworben, (...) und so einen Bestand angelegt, der bis heute noch anhält."
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Falschinformationen zum Klimawandel
Zweifel, wie ernst es Haberland mit seinem Klimaengagement meint, wecken auch Social-Media-Posts. Green Balanced verbreitete im April etwa Talkshow-Aussagen von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, worin er falsche Zahlen zur CO2-Speicherung von Wäldern nennt. Das von Green Balanced gepostete Video wurde von Facebook als "Fehlinformation" markiert.
Grundlage dafür ist ein Faktencheck der Nachrichtenagentur AFP. Sie weist darauf hin, dass Mobil in Deutschland zu Energie- und Klimathemen "bereits in der Vergangenheit Falschinformationen verbreitet" habe. Dem entgegnet Mobil in Deutschland, Faktenchecks von Facebook seien "keine ernstzunehmende, sondern eine für die Meinungsfreiheit höchst problematische Instanz".
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Haberland und sein Doktortitel
Haberland selbst möchte offenbar gern ernstgenommen werden. Dabei hilft sein Doktortitel. Den nutzt Haberland bei vielen beruflichen Gelegenheiten. Sein Autorenprofil beim Magazin "Focus" nennt den Titel und verweist explizit auf die Promotion zum Thema Mobilität. Der Doktortitel gibt Haberlands Argumenten Gewicht; etwa bei einer Expertenanhörung im Bundestag 2018. Auch auf Wahlzetteln und Wahlwerbung für die Münchner Kommunalwahl 2020 ist er abgedruckt.
Eingereicht hat er seine Doktorarbeit 2008 an einer Wirtschaftsuniversität in Bratislava. ZDF frontal konnte die Arbeit vor Ort einsehen. Auf den 147 Seiten scheint es, als ob zahlreiche Textpassagen 1:1 aus anderen Quellen übernommen wurden. Oft scheinen ganze Absätze Wort für Wort abgeschrieben, ohne das, wie in einer Doktorarbeit üblich, deutlich zu machen.
Frontal berichtet über Treffen mit FDP Verkehrsminister Wissing, die ein Auto-Lobby Verein gegen Geld angeboten haben soll. 16.07.2024 | 1:59 min
Der Plagiatsexperte Gerhard Dannemann von der Berliner Humboldt-Universität hat die Arbeit von Haberland gelesen. Sein Eindruck: Haberlands Werk enthalte "sehr deutliche Plagiate". Die Meinung des Experten: "Diese Arbeit enthält grobe Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis."
Fragen zu seiner Doktorarbeit bezeichnet Haberland über seinen Anwalt als "substanzlos und vage". "Sie [verfügen] selbst auch nicht über die nötige Expertise, um festzustellen, ob die 2008 geltenden wissenschaftlichen Standards der Universität eingehalten wurden." Einen Verlust seines Doktortitels aus Bratislava muss Haberland wohl nicht fürchten - das dortige Hochschulrecht erlaubt erst seit 2021 die Aberkennung von Plagiats-Titeln.
ZDF frontal liegen neue interne Dokumente des Verkehrsministeriums vor. Die zeigen, wie eng die Absprachen zwischen Ministerium und dem Lobbyverein Mobil in Deutschland waren.