Kraftstoff-Lobby: Käufliche Termine bei Minister Wissing?
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Kampagne für HVO100-Kraftstoff:Käufliche Lobby-Termine bei Minister Wissing?
von Nils Metzger, Nathan Niedermeier
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FDP-Spitzenpolitiker unterstützen eine Lobby-Kampagne für alternative Kraftstoffe. Nach ZDF frontal Recherchen wurden Treffen mit Verkehrsminister Wissing gegen Geld angeboten.
Wie die FDP den angeblichen Klima-Diesel an deutsche Tankstellen brachte und warum die Sache stinkt.16.07.2024 | 16:33 min
Seit wenigen Wochen ist HVO100 an deutschen Tankstellen erhältlich. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht in dem aus Pflanzen- und Tierfetten hergestellten erneuerbaren Diesel eine bis zu 90 Prozent CO2-reduzierte Alternative zu fossilem Kraftstoff.
Parallel zur HVO100-Einführung durch die Bundesregierung läuft eine Lobby-Kampagne von Industrie-Vertretern, um den Kraftstoff zu bewerben. Laut Recherchen von ZDF frontal hat ein Auto-Lobbyverein dabei seine Kontakte ins Verkehrsministerium genutzt, um Unternehmen und Verbänden gegen Zahlung "exklusive VIP-Termine" und andere Leistungen mit Wissing und weiteren Entscheidern anzubieten.
"Danke für Ihren Einsatz für HVO100": Verkehrsminister Volker Wissing (links) am 13. März 2024 bei einer Veranstaltung der Lobby-Organisation Mobil in Deutschland.
Quelle: Mobil in Deutschland e.V.
Verkehrsministerium übernahm Schirmherrschaft für Lobby-Kampagne
Im Zentrum der fragwürdigen Lobbyaktivitäten steht der Münchner Verein "Mobil in Deutschland" und sein Präsident Michael Haberland. Im Oktober 2023 startete er die Kampagne "HVO100 goes Germany" und gewann dafür den Parlamentarischen Staatssekretär im Verkehrsministerium Oliver Luksic (FDP) als Schirmherren - obwohl sich Fachreferate des Ministeriums laut internen Papieren zuvor dagegen ausgesprochen hatten.
Luksic und Wissing traten bei Terminen des Vereins auf, unterstützten Werbemaßnahmen für HVO100 und trafen sich mit Geldgebern der Kampagne.
9.900 Euro für eine "Premium-Kooperation"
ZDF frontal liegen mehrere interne Präsentationen von Mobil in Deutschland vor, mit denen Geldgeber aus Industrie und Verbänden gewonnen werden sollen. Darin werden Leistungen genannt, die Unterstützern von "HVO100 goes Germany" in Aussicht gestellt wurden - und welche Preise der Verein dafür verlangt.
Dazu zählt eine "Premium-Kooperation" für 9.900 Euro pro Jahr mit der "Möglichkeit, sich bei einem exklusiven VIP-Meeting mit Minister oder Staatssekretär vorzustellen und auszutauschen". Es wird auch ein "durchgehender Austausch mit den politischen Entscheidungsträgern (z.B. [Minister] Dr. Volker Wissing, Christian Lindner, [Staatssekretär] Oliver Luksic)" angekündigt.
Ausschnitt aus einer Präsentation zur Kampagne "HVO100 goes Germany": 9.900 Euro für eine "Premium-Kooperation".
Quelle: Mobil in Deutschland
Die Präsentation aus dem Frühjahr 2024 stellt Wissing groß als "Unterstützer" der Kampagne vor. ZDF frontal liegen Bestätigungen zweier Partner vor, dass sie eine solche "Premium-Kooperation" eingegangen sind - die Vereinigung Deutscher Autohöfe, und der Kraftstoff-Händler FuelMotion.
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Und es gibt eine zweite Präsentation. Dort bietet Mobil in Deutschland die Möglichkeit, sich zum Preis von 4.900 Euro bei einem Kampagnen-Event am 13. Dezember 2023 "vorzustellen und eine Frage live an die Gäste zu stellen". Als Gast angekündigt wird dort Minister Wissing, der tatsächlich aber nur ein Grußwort sprach; teilgenommen hat stattdessen sein Staatssekretär Luksic.
Für Christina Deckwirth von der Organisation Lobbycontrol sind diese Angebote "ein absolutes No-Go": "Hier entsteht ganz stark ein Eindruck der käuflichen Politik."
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Fachreferate sprachen sich gegen Schirmherrschaft aus
Interne Unterlagen aus dem Verkehrsministerium zeigen, wie umstritten die Übernahme dieser Schirmherrschaft in Wissings Haus war. Das geht aus ZDF frontal vorliegenden Dokumenten hervor.
Damit widerspricht das Fachreferat auch Wissings wiederholten öffentlichen Darstellungen, wonach HVO100 "in industriellem Maßstab verfügbar" sei und einen spürbaren Beitrag zum klimaneutralen Verkehrssektor leisten könne. "Eine großangelegte Kampagne für diesen 'Nischen-Kraftstoff' könnte als zu einseitig empfunden werden", schreibt das Referat weiter.
Auch die Kommunikationsabteilung im Ministerium rät von einer Beteiligung ab: "L22 schließt sich dem negativen Votum [an]." Die Kampagne habe einen "sehr werbenden Charakter".
Internes Dokument aus dem Verkehrsministerium: Fachreferate äußern Vorbehalte gegen eine Schirmherrschaft.
Quelle: Mobil in Deutschland
Wissing setzt Schirmherrschaft durch
Diese Vorbehalte überzeugen den Minister nicht, er zeichnet die Schirmherrschaft für seinen Staatssekretär Luksic persönlich ab. "Eine Nichtübernahme der Schirmherrschaft könnte auch als Distanzierung von dem Thema gewertet werden, was ebenfalls problematisch wäre. Da die FDP-Fraktion dem BMUV die Einführung des Kraftstoffes abgerungen hat", steht als Kommentar in der Ministervorlage.
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Am 4. Dezember 2023 bestätigt das Luksic-Büro offiziell die Übernahme der Schirmherrschaft: "[Staatssekretär] Luksic kommt dem Wunsch des Ministers selbstverständlich nach und übernimmt die Schirmherrschaft der Kampagne."
Die Kommunikationsabteilung des Ministeriums weist Luksic am selben Tag noch darauf hin, dass "sämtliche Materialien (z. Bsp. Printerzeugnisse, Online-Veröffentlichungen, sowie Konzepte für Spots, Kampagnen-Videos, Urkunden etc.) mit dem Haus vor Veröffentlichung abgestimmt werden müssen."
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Mobil in Deutschland weist Vorwürfe zurück
Es stellt sich die Frage: Waren die exklusiven Termin-Angebote und die aufgerufenen Preise von Mobil in Deutschland mit Wissings Ministerium abgesprochen? Präsident Haberland streitet das ab: "Es gab und gibt keine bezahlten Terminvermittlungen und diese wurden auch von uns weder erwogen noch angeboten noch mit Dritten diskutiert oder gar durchgeführt." Der Vorwurf, Termine verkauft zu haben, sei falsch.
Die Echtheit der internen Unterlagen räumt Mobil in Deutschland ein: "Die Präsentation wurde im Frühjahr lediglich etwa ein Dutzend Mal versandt und wird in der damaligen Form nicht mehr verwendet." Darin sei lediglich von einer "Möglichkeit eines Treffens", einer "theoretischen Chance", die Rede gewesen.
Der zugesagte "durchgehende Austausch" mit führenden Politikern sei lediglich als "fortwährendes Hochhalten des Themas in der Öffentlichkeit zu verstehen". Auf die Frage, wie viel Geld Unterstützer für die HVO-Kampagne gezahlt haben, antwortet Haberland lediglich: "Das geht Sie nichts an."
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Verkehrsministerium lässt Schirmherrschaft ruhen
Das Bundesverkehrsministerium teilt auf Anfrage mit, von Angeboten gegen Geld von Mobil in Deutschland an seine Unterstützer nichts gewusst zu haben. "Von der von Ihnen zitierten Präsentation von Mobil in Deutschland haben wir keine Kenntnis", schreibt ein Sprecher. Ein Interview mit Wissing oder Luksic lehnt das Ministerium ab.
Offensichtlich alarmiert von den Vorwürfen, sendet das Ministerium vergangenen Mittwoch einen Brief an Mobil in Deutschland und fordert Haberland auf, Stellung zu nehmen. Der Brief liegt ZDF frontal vor:
Doch die Antworten aus München überzeugen das Ministerium nicht. Sie ließen "weitere Fragen offen", so ein Ministeriumssprecher. "Bis zur vollständigen Aufklärung der genannten Vorwürfe hat Herr Luksic entschieden, die Schirmherrschaft ruhen zu lassen."
Für Lobby-Expertin Deckwirth kann das nur ein erster Schritt der Aufarbeitung sein. "Es muss wirklich lückenlose Aufklärung betrieben werden. Es müssen alle Dokumente auf den Tisch", sagt sie ZDF frontal. "Es stellt sich auf jeden Fall die Frage, ob Herr Luksic weiter als parlamentarischer Staatssekretär geeignet ist."
Der freie Verkauf des klimaneutralen Kraftstoffs für Dieselfahrzeuge startet an deutschen Tankstellen. Doch HVO100 dürfte zehn bis Cent pro Liter teurer sein als Diesel.