Scholz macht Merz ein Angebot:Warum der Deutschland-Pakt wenig Chancen hat
von Kristina Hofmann
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Kanzler Scholz hat einen Deutschland-Pakt angeboten. Der Union, den Ländern, den Firmen, allen. Er will so "Mehltau" im Land abschütteln. Die Chancen dafür sind wenig realistisch.
Bundeskanzler Olaf Scholz fordert im Bundestag einen "Deutschland-Pakt". Doch die Chancen sind gering.06.09.2023 | 32:32 min
Er will sie alle: Bund, Länder, Kommunen, Behörden, Verbände, Unternehmen, Gewerkschaften. Ihnen allen hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen "Pakt für Deutschland" angeboten.
Konkret richtet sich Scholz in seiner Rede am Mittwoch im Bundestag an CDU-Parteichef Friedrich Merz. Als größte Oppositionspartei und Regierungspartei in Ländern und Kommunen solle er sich dafür starkmachen. "Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln."
Merz nimmt das Angebot in Mimik und Gestik ungerührt entgegen. Die Chancen, dass Kanzler und Oppositionsführer da zusammen kommen, scheinen wenig Erfolg versprechend.
Problem eins: Die Atmosphäre zwischen Scholz und Merz
Scholz und Merz kennen sich bereits lange, sitzen beide seit den 90er Jahren im Bundestag. Nur wenige Minuten, bevor Scholz in der Generaldebatte im Bundestag seinen Pakt der Opposition anbietet, zeigen SPD und Union, wie weit sie in Sachfragen auseinanderliegen.
Beispiel Zeitenwende: Seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine zog man zumindest außenpolitisch an einem Strang. Die Union stimmte dem Sondervermögen von 100 Millionen Euro für die Bundeswehr zu. An den Details, wie den Waffenlieferungen etwa, begann der Pakt aber schnell zu bröckeln.
Am Mittwoch kündigte Merz ihn auf: Die "Geschäftsgrundlage" der Zustimmung sei weg.
Denn im aktuellen Haushalt, so Merz, werde das versprochene Zwei-Prozent-Ziel für die Bundeswehr nicht eingehalten. Statt zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu investieren, werde das Sondervermögen aufgebraucht.
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Beispiel Popanz: Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Gebäudeenergiegesetz, Rente mit 63 - alle diese Projekte der Ampel-Koalition findet die Union falsch. Merz geht es nicht nur um Details: "Wir widersprechen ihnen in ihrem ganz grundsätzlichen Staatsverständnis."
"Popanz", poltert Scholz zurück. Merz baue künstliche Schreckgespenste auf. Die Koalition garantiere das Nato-Ziel, die Bundeswehr bekomme die zwei Prozent. Scholz verteidigte die Frührente. "Herr Merz, Sie haben einen merkwürdigen Leistungsträgerbegriff", so Scholz. Der fange wohl erst bei einem Jahreseinkommen von 120.000 Euro an?
Problem zwei: Die CSU
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte gut 90 Minuten Zeit, bis er am Mittwoch auf das Pakt-Angebot reagieren konnte. Er versicherte, die Union sei "durchaus bereit". Allerdings legte er die Latte ziemlich hoch.
Denn, so Dobrindt, wenn, dann müsse man mit dem Thema Migration anfangen. Und zwar: Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitern, Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz einführen, freiwilligen Aufnahmeprogramme stoppen, weniger Geld- als Sachleistungen für Asylbewerber.
"Wir können über alles sprechen, wenn Taten folgen", so Dobrindt.
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Ob Außenministerin Annalena Baerbock die Programme stoppt? Innenministerin Nancy Faeser von ihrer bisherigen Linie zu den Grenzkontrollen abrückt? Das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu den Sachleistungen von Asylbewerbern hinterfragt? Die Hürden sind hoch.
Problem drei: Gibt es schon, gab es schon
An vielen Stellen gibt es bereits eine Art Deutschland-Pakt. Die Länder zum Beispiel kommen regelmäßig in der Ministerpräsidentenkonferenz zusammen. Mit Parteipolitik hat das oft wenig zu tun.
Beispiel Industriestrom. Heute beraten die Länderchefs mit der Europäischen Union darüber. Kanzler Scholz ist dagegen, Ministerpräsident Stephan Weil aus Niedersachsen dafür. Beide sind in der SPD.
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Seit 1967 hat es immer mal wieder einen Pakt zwischen verschiedenen Interessensgruppen gegeben. Meistens in wirtschaftlichen Notzeiten. Konzertierte Aktion hieß das meistens. SPD und Union brachten 1967 so das erste große Konjunkturpaket auf den Weg, 1977 gab es gemeinsame Bemühungen in der Gesundheitspolitik, 1998 schloss Kanzler Gerhard Schröder das Bündnis für Arbeit.
Und: Die rechtsextremen Parteien NPD und DVU hatten unter dem Namen Deutschland-Pakt 2005 ein Wahlbündnis geschlossen.
Scholz selbst hatte eine Konzertierte Aktion zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften ins Leben gerufen, um die Folgen der Energiekrise und Inflation abzufedern. Sie wurde nach wenigen Treffen recht geräuschlos wieder eingedampft.
Problem vier: Die nächsten Wahlen
Die Legislaturperiode der Ampel-Koalition ist gut zur Hälfte vorbei. Anderthalb Jahre hat sie grob geschätzt noch, bis die Parteien um die Ausgangslage für die nächste Bundestagswahl ringen werden. Schon jetzt spielt das eine Rolle.
CDU-Chef Merz hatte sich jüngst vor allem die Grünen abgegrenzt und machte in der heutigen Sitzung FDP-Chef Christian Lindner Avancen, in dem er ihn lobte und ihn als zweiten Oppositionsführer bezeichnete:
Im Herbst wird in Hessen und in Bayern gewählt. Ein Grund für die harsche Ablehnung Dobrindts, der kein Interesse an einem Schmusekurs mit den Ampel-Parteien haben kann, da sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gegen die Grünen profiliert.
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Die Wahlen sind vermutlich auch ein Grund, warum Scholz in seiner Rede Innenministerin Faeser und ihren Migrations-Kurs lobt. Faeser ist Spitzenkandidatin der SPD in Hessen. Im nächsten Jahr wählen mit Sachsen, Thüringen, Brandenburg drei Bundesländer, in denen die AfD Chancen haben, stärkste Parte zu werden. Scholz will die Reihen schließen.
Habeck und Lindner lächeln
Vielleicht gab es am Mittwoch aber noch ein Zeichen, warum es der Deutschlandpakt schwer haben wird: Als Scholz ihn in seiner Rede entfaltete, sitzen sein Vize Robert Habeck und Lindner einträchtig nebeneinander. Keiner tippt ins Handy oder liest in seinen Unterlagen. Sie lächeln, eine Mischung aus amüsiert und erstaunt.
Sie sehen aus, als hörten sie vom neuen Pakt zum ersten Mal.