Rettungsdienst: Streit um Kosten in Brandenburg

    Streit um Rettungsdienst-Kosten:Brandenburg: Wenn die 112 zur Kostenfrage wird

    von Jan Meier
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    Wer in Brandenburg den Rettungsdienst ruft, soll in manchen Landkreisen einen Teil der Kosten tragen. Das sorgt für Streit, die Fronten zwischen Politik und Kassen sind verhärtet.

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    Wenn wegen eines Notfalls der Rettungswagen kommt, zahlen das normalerweise die Krankenkassen. In Brandenburg aber bekommen die Betroffenen seit Neuestem eine Rechnung gestellt.26.03.2025 | 2:53 min
    In Märkisch-Oderland im Osten Brandenburgs gingen Mitte März die ersten Rechnungen an Patienten raus: 200 bis 250 Euro werden für Rettungseinsätze fällig. Hohe Kosten drohen Notfall-Patienten auch in sieben weiteren der 14 Landkreise in Brandenburg.
    Martina Wolf aus der Kreisstadt Seelow besorgt das.

    Das geht einfach nicht. Wie sollen das die Rentner bezahlen, ich finde das nicht angebracht.

    Martina Wolf

    Ein weiterer Passant meint: Diejenigen, die wenig Rente haben, treffe das hart, "da traut sich ja gar keiner mehr anzurufen."

    Krankenkassen zahlen nur Festbetrag für Rettungseinsätze

    Daniel Werner, Leiter des Rettungsdienstes Märkisch-Oderland, sieht sich dazu gezwungen, die Kosten teilweise auf Patienten umzulegen. Denn seit Januar zahlen die Krankenkassen nur noch einen Festbetrag von 794,91 Euro - deutlich weniger als das, was der Rettungsdienst in Rechnung stellt. Im Durchschnitt sind das in seinem Landkreis etwa 200 Euro mehr, in anderen Landkreisen noch mehr.
    Daniel Werner muss kostendeckend wirtschaften. Er erwartet aber nicht, dass die Patienten bezahlen. Vielmehr hofft er, dass diese ihre Rechnungen an die Krankenkassen weiterreichen und so Druck machen. Denn aus seiner Sicht kann es so nicht weitergehen:
     

    Es kann nicht sein, dass wir für die Gesundheitsversorgung diese Summen auch noch in der Größenordnung selber aufbringen müssen. Dafür bin ich nicht krankversichert, das widerspricht dem Prinzip.

    Daniel Werner, Leiter Rettungsdienst Märkisch-Oberland

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    Rettungsdienst ist kommunale Pflichtaufgabe

    Rettungsdienste werden in Deutschland von Landkreisen und kreisfreien Städten organisiert. Sie gehören zu den kommunalen Pflichtaufgaben. Der zuständige Landrat Gernot Schmidt ist auch empört über das Vorgehen der Krankassen. Der Politiker hat deswegen Klage eingereicht.
    Rettungsdienst sei Daseinsvorsorge, dieser habe in der Bundesrepublik überall gleich zu erfolgen. Zu den Entwicklungen in seinem Bundesland sagt er:

    Wir sind in Brandenburg der Notanker für die Einsparorgien der Krankenkassen.

    Gernot Schmidt, Landrat

    Kosten für Rettungseinsätze deutlich gestiegen

    Die Krankenkassen verweisen auf überproportional gestiegene Kosten für Rettungswagen: Die erhöhten sich nach ihren Angaben von 2018 bis 2022 um 41 Prozent. Das ist deutlich mehr als andere Ausgaben, etwa für Krankenhausbehandlungen, die im gleichen Zeitraum nur um 14 Prozent zulegten.
    Die Rettungsdienste führen zwei Gründe für den starken Kostenanstieg an. Zum einen wurde die technische Ausstattung ihrer Fahrzeuge immer besser. Hydraulische Tragen und Defibrillatoren wurden eingebaut - zum Teil auf Wunsch der Krankenkassen.
    Zum anderen steigt die Zahl der Einsätze. Besonders die Zahl der Leerfahrten nimmt zu. Das sind Einsätze, bei denen der Patient vor Ort versorgt werden kann und doch nicht ins Krankenhaus muss. Ihre Zahl hat sich in Brandenburg von 2016 bis 2022 von rund 55.000 auf rund 105.000 nahezu verdoppelt.
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    Ein Grund dürfte auch der Ärztemangel auf dem Lande sein. Oft wissen sich Patienten nicht anders mehr zu helfen, als den Notruf zu wählen, wenn kein Arzt erreichbar ist. "Nicht jeder Einsatz führt  zu einem Transport", räumt Rettungsdienst-Leiter Werner ein: Manchmal "sollen wir Blutdruck messen oder die Patienten wollen einfach nur mal, dass jemand drauf schaut, sind unsicher mit ihren Medikamenten."

    Telemedizin könnte Entlastung für Rettungsdienste bringen

    An der privaten Naemi Wilke Klinik Guben sieht man Möglichkeiten, Leerfahrten zu reduzieren - etwa durch Telemedizin. Geschäftsführer Andreas Mogwitz ist überzeugt:  Es müssten neue Technologien genutzt werden, die im Alltag selbstverständlich seien, zum Beispiel Videotelefonie.

    Was in anderen Ländern wie der Schweiz möglich ist, müssen wir unbedingt einführen, damit sich die Leitstelle ein besseres Bild von den Patienten machen kann.

    Andreas Mogwitz, Geschäftsführer Naemi Wilke Klinik Guben

    Manchmal müsse dann erst gar kein Rettungswagen losgeschickt werden, sagt Mogwitz.

    Landrat fordert komplette Kostenübernahme durch Krankenkassen

    Die Landkreise sind nicht gegen Einsparungen. Aber am Grundsatz, dass die Krankenkassen die Kosten aller Fahrten wieder komplett übernehmen, dürfe sich nichts ändern. Landrat Gernot Schmidt fordert deshalb:

    Wir wollen eine Abschaffung der Festbeträge. Wir wollen die sofortige Lösung, dass die Bürger nicht mehr in Anspruch genommen werden können.

    Gernot Schmidt, Landrat

    "Wir sind auch bereit, dann über unsere Kalkulationen neue Gebühren mit den Kassen zu verhandeln. Aber wir lassen uns nicht erpressen", sagt Schmidt.

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    FAQ

    Krisengipfel zu Kosten für Rettungseinsätze 

    Brandenburgs parteilose Gesundheitsministerin Britta Müller hat den Kreisen als Kompromissvorschlag eine Musterkalkulation vorgestellt. Doch das reicht offenbar nicht aus. Die Fronten sind verhärtet. Am Freitag will sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) einschalten. Er hat alle Landräte und Krankenkassen zum Krisengipfel nach Potsdam eingeladen. Eine schnelle Lösung ist aber nicht in Sicht.
    Solange wird in Brandenburg die Frage, ob man im Notfall die 112 wählt, zur Kostenfrage. Bei manchem Patienten schwingt mit: Kann ich mir das leisten? Das kann in letzter Konsequenz sogar Menschenleben gefährden.

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    Quelle: dpa

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