Wahl in Sachsen: Einfluss der Bezahlkarte für Flüchtlinge
Analyse
Kein Bargeld für Geflüchtete:Sachsens Zwischenbilanz zur Bezahlkarte
von Johannes Lieber, Dresden
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Alle sächsischen Landkreise haben die Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt. Was sagen Landkreise, Betroffene, Parteien, und Experten? ZDFheute mit einem ersten Fazit.
Asylbewerber in Sachsen erhalten derzeit einen Teil ihren staatlicher Leistungen zum Lebensunterhalt nicht mehr als Bargeld, sondern als Guthaben via Bezahlkarte.
Quelle: dpa
Sachsen steckt mitten im Wahlkampf. Laut ZDF-Politbarometer ist Migration das dominierende Thema. Große Hoffnungen setzt dabei besonders die sächsische CDU in die Bezahlkarte, auch um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Welche Ziele erfüllt die Karte und wo gibt es Probleme?
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Landkreise: Keine Ausreisen, weniger Verwaltungsaufwand
ZDFheute hat bei allen zehn sächsischen Landkreisen angefragt. Sieben von ihnen haben bis Redaktionsschluss geantwortet. Keiner der Landkreise meldete eine Ausreise von Asylbewerbern in direktem Zusammenhang mit der Bezahlkarte. Einige dieser Kreise erhoben zu diesem Thema keine Daten.
Mithilfe der Bezahlkarte soll sichergestellt werden, dass die Empfänger das Geld selbst nutzen und nicht ins Ausland überweisen.
Der Verwaltungsaufwand soll verringert werden, da kein Bargeld mehr ausgezahlt werden muss.
Deutschland soll als Zielland an Attraktivität verlieren.
"Man kann Migrationsströme [mit der Bezahlkarte] nicht steuern", sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration, Hans Vorländer. Menschen würden in ein Land kommen, weil sie dort Sicherheit, Arbeitsplätze und andere Menschen aus ihrer Region erwarten. Sozialleistungen seien nur ein Faktor unter anderen, so der Politikwissenschaftler.
Eine Entlastung der Verwaltung nehmen dagegen nahezu alle Landkreise wahr. Im Kreis Görlitz sei die Verwaltung "erheblich entlastet" worden, in Meißen in "geringem Umfang". Nur der Landkreis Nordsachsen spricht von einem "Mehraufwand", weil es hier an der benötigten Infrastruktur mangele.
Nach wochenlangem Streit haben sich die Ampelfraktionen auf die Bezahlkarte für Asylbewerber und Flüchtlinge geeinigt. Details hat ZDF-Korrespondentin Shakuntala Banerjee.05.04.2024 | 1:20 min
Geflüchtete beklagen zu wenig Bargeld
Pro Monat dürfen Geflüchtete in Sachsen 50 Euro pro Person abheben. Für viele reicht das nicht aus. David Rengifo ist aus politischen Gründen aus Venezuela geflohen. Mit seiner schwangeren Frau lebt er in einer Geflüchtetenunterkunft im sächsischen Hoyerswerda.
Sein Problem: Er möchte gebrauchte Sachen kaufen, um Geld zu sparen. In vielen kleineren Geschäfte gebe es diese aber nur gegen Bargeld. Auch bei der Tafel könne er nicht mit der Karte zahlen. Er sei deswegen gezwungen, in teureren Läden einzukaufen.
Mit einer Bezahlkarte statt Bargeld sollen Asylbewerber künftig bestimmte staatliche Leistungen beziehen können. Doch das bringe kaum Fortschritte in der Asylkrise, so Experten.06.02.2024 | 8:54 min
Anwalt: Bezahlkarte "vor dem Aus"
Die Bezahlkarte kritisiert unter anderem auch der Rechtsanwalt Volker Gerloff. Vor dem Sozialgericht Nürnberg erstritt er Ende Juli bereits eine Entscheidung gegen die Bezahlkarte. Die pauschale Begrenzung des Bargeldbetrags auf 50 Euro sei unzulässig, urteilten die Richter und entschieden, dass der Bargeldbedarf eines jeden Asylbewerbers einzeln geprüft werden müsse.
Für Volker Gerloff steht die Bezahlkarte damit "vor dem Aus". Aus seiner Sicht seien diese Prüfungen "praktisch überhaupt nicht umsetzbar" und deshalb sei auch die Karte "so nicht haltbar". Gerloff sagt gegenüber ZDFheute, dass an weiteren Sozialgerichten ähnliche Klagen verhandelt werden, für die er einen ähnlichen Ausgang erwartet.
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Parteien in Sachsen überraschend einig
Ein wirkliches Wahlkampfthema ist die Bezahlkarte in Sachsen nicht, da keine Partei die Karte grundsätzlich ablehnt. Die CDU, die die Einführung der Karte maßgeblich vorangetrieben hatte, wird sich auch nach der Wahl für einen Erhalt der Karte einsetzen.
Auch die Grünen, die im Bund der Bezahlkarte lange nicht zustimmen wollten, lehnen die Karte nicht ab. Gegenüber ZDFheute betonen sie aber, besonders bei der Bargeldobergrenze "nachbessern" zu wollen.
Die SPD, das BSW und die AfD befürworten die Bezahlkarte ebenfalls. Die ZDFheute-Anfrage, ob sie die Karte für einen Erfolg halten oder etwas an der Karte verändern möchten, ließen die Parteien unbeantwortet.
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Quelle: ZDF
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