Ostdeutschland als Herkunft:"Wir sind stolz, Ossis zu sein!"
von Mathias Kubitza
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Sie sind etwa 15 Jahre nach dem Mauerfall geboren und "Ossis" aus Überzeugung. Warum viele junge Menschen in Ostdeutschland so großen Wert auf ihre Herkunft legen.
Das DDR-Kult-Moped der Marke Simson zu fahren, ist für Jason und seine Freunde ein Lebensgefühl.
Quelle: ZDF
Joleen Starus aus Spremberg in Brandenburg findet den Osten "einfach geil". Die 20-Jährige trägt einen Pullover mit Plattenbau-Aufdruck und dem Schriftzug "Paradise Ost". Für viele junge Ostdeutsche gewinnen Dinge aus der DDR, also aus dem Geburtsland ihrer Eltern, wieder an Wert. Vielleicht auch, weil alles "ostige" von westdeutscher Seite so lange belächelt und abgewertet wurde. Vorurteile gebe es jedenfalls bis heute, auf beiden Seiten.
Joleen aus Spremberg in Brandenburg liebt ihre Heimat, so wie sie ist. Der Osten bedeutet für sie „Familie, Freunde, Freiheit“. 10.08.2024 | 15:24 min
Lebensgefühl "Simme" fahren
Nichts unterstreicht Ostdeutschsein stärker als die DDR-Kult-Mopeds der Marke Simson, vor allem auf dem Land, und davon gibt's im Osten reichlich. Für Jason Riedel und seine Freunde aus Thüringen ist "Simme" fahren Lebensgefühl.
Die robusten Zweitakter, mit denen man schon mit 15 Jahren 60 Kilometer pro Stunde fahren darf, stehen für Tradition, Dorf und Heimat, weit weg vom Westen mit hippen Großstädtern auf langsamen Plastikrollern. Stolz auf die ostdeutsche Herkunft zu sein, heiße aber nicht zwangsläufig, gegen den Westen zu sein.
Jason aus Flurstedt in Thüringen liebt Mopeds aus der DDR. So sehr, dass er die Szene per Instagram auf seinen Dorfsportplatz einlädt.10.08.2024 | 15:01 min
Aber es gibt sie, die klare Abgrenzung vieler junger Ostdeutscher vom Westen. Oft humorvoll und selbstironisch, zum Beispiel durchs Zelebrieren des Dialekts, für den sich ihre Eltern und Großeltern nach der Wende oft so schämten. Oder mit Sprüchen, die zu patriotischen Parolen wurden. Einer der beliebtesten Heckscheiben-Aufkleber zwischen Rügen und Erzgebirge: "Ostdeutschland - Härter als der Rest".
Mehr als 30 Jahre nach der Einheit ist der "Osten" für viele "Wessis" immer noch eine fremde Welt. Sind Ost und West wirklich so verschieden, und wenn ja, warum? Dieser Frage gehen die Reporter Mathias Kubitza (geboren 1984 in Erfurt/DDR) und Peter Ruppert (geboren 1971 in Wiesbaden/BRD) für die Mediatheksserie "Ossiversum stabil? - Jung im Osten" nach. Dafür haben sie in den vergangenen Monaten junge Menschen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg begleitet. Entstanden sind sechs Porträts, die der Frage nachgehen, auf was es diesen jungen Menschen ankommt im Leben. Was hat sie geprägt, was macht sie glücklich, worauf sind sie stolz? Aber auch: Was nervt sie und wovor haben sie Angst? Und was bedeutet es für sie, "ostdeutsch" zu sein?
Skeptischer gegenüber Staat und Medien
So einer klebt auch am Trabi von Franz Goller und Florian Süß. Die Techno-DJs aus Werdau in Sachsen legen Wert auf ihre Ost-Prägung. "Wir sind stolz, Ossis zu sein", sagt Franz Goller. Er kam elf Jahre nach der Einheit zur Welt und ist seinen Eltern dankbar für die Werte, die sie ihm mitgaben. Dazu zählt für ihn vor allem, kritischer zu denken und skeptischer gegenüber Staat und Medien zu sein, als man das im Westen sei. Es sei wichtig, "dass wir uns sehr unsere eigene Meinung bilden", erklärt Franz Goller.
Franz und Florian aus Werdau in Sachsen sind das Techno-Duo „Reaktor F“. Wenn sie auflegen, muss „der Schweiß von der Decke tropfen". 10.08.2024 | 14:28 min
Auch Linke sind "Ossis"
Für Jakob Springfeld aus Sachsen hat die Frage, ob er sich als "Ossi" sieht oder nicht, bis vor ein paar Jahren überhaupt keine Rolle gespielt. Erst als der linke Aktivist immer deutlicher wahrnahm, wie erfolgreich die extreme Rechte den Begriff "ostdeutsch" für ihre Agenda nutzte, positionierte auch er sich.
Wenn Jakob aus Sachsen ins „Hinterland“ fährt, hat er Angst vor gewaltbereiten Neo-Nazis. Als linker Aktivist versucht er, den
Ruck nach extrem rechts zu stoppen.10.08.2024 | 15:16 min
Politischer Kampf ums Ostdeutschsein
Tatsächlich tobt ein politischer Kampf ums Ostdeutschsein. Die einstige Ost-Partei "Die Linke" kämpft ihn kaum noch wahrnehmbar. Dafür wirbt die AfD-Jugend Sachsen, vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft, mit dem Slogan "Simson statt Lastenrad" um junge Stimmen. Gleichzeitig inszeniert sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bei Instagram mit einem jungen Moped-Fahrer. Wer am erfolgreichsten um diese Ost-Erstwähler-Generation kämpft, zeigt sich in wenigen Wochen bei der Landtagswahl in Sachsen ebenso wie bei der Wahl in Thüringen. In beiden Bundesländern wird am 1. September gewählt. Die Wahl in Brandenburg findet am 22. September statt.
Seit Januar demonstrieren bundesweit Menschen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.
Auch im ländlichen Raum im Osten ist das Engagement groß, obwohl es dort Mut erfordert, gegen Rechts ein Zeichen zu setzen.18.03.2024 | 1:51 min
Quelle: ZDF
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