Corona in Deutschland: "Patient 1" vor fünf Jahren in Bayern
Fünf Jahre Pandemie:"Patient 1": Als Corona Bayern überraschte
von Caroline Drees
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Vor fünf Jahren ist "Patient 1", der erste Corona-Fall in Deutschland, in einem bayerischen Dorf gemeldet worden. Wie mit dem unbekannten Virus damals die Angst umherging.
Fünf Jahre ist es her, seitdem der erste Corona-Fall in Deutschland diagnostiziert wurde. Eine chinesische Webasto-Mitarbeiterin hatte das Virus übertragen.27.01.2025 | 5:29 min
Sie liegen nur ein bisschen mehr als 200 Meter voneinander entfernt, die beiden Orte, an denen sich der Beginn der Corona-Pandemie erzählen lässt. Bevor das Coronavirus, das noch niemand kannte und einschätzen konnte, Deutschland und die Welt drei Jahre lang in den Ausnahmezustand versetzte, machte es sich in einem kleinen Ort in Bayern breit: Stockdorf, 4.000 Einwohnerinnen und Einwohner, südlich von München. Hier kenne man sich noch, so Ortsansässige. Und vor allem weiß man, wer bei Webasto arbeitet.
Rund drei Wochen ging die Angst im Dorf herum. Ludwig Harter gehört eine Konditorei, die nur ein paar Meter entfernt von der Webasto-Zentrale liegt. Hier machen Angestellte Mittagspause, Senioren treffen sich zu Kaffee und Kuchen. Anfang 2020 mied das Dorf die Konditorei plötzlich. Der Dorftratsch damals: Die "Webastoaner", so nennt Harter die Mitarbeitenden des Automobilzulieferers, haben die Krankheit nach Deutschland gebracht.
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"Patient 1" in Deutschland war ein Webasto-Mitarbeiter
Am 19. Januar 2020 reiste eine chinesische Webasto-Mitarbeiterin in München an. Sie bereitete sich auf ihre Arbeitswoche vor, nahm dann in der Zentrale an Projekt-Besprechungen teil. Sie fühlte sich müde und führte das auf den Jetlag zurück.
Sechs Tage später, zurück in Shanghai, begab sie sich im Krankenhaus in Quarantäne. Sie wurde positiv auf Corona getestet. Am 27. Januar meldete das bayerische Gesundheitsamt auch den ersten bestätigten Corona-Fall in Deutschland - "Patient 1", ein Webasto-Mitarbeiter. Insgesamt erkrankten elf Mitarbeiter in dieser ersten Welle, die Zentrale musste dicht machen.
"Zu realisieren, dass von jeder Entscheidung von jetzt auf gleich die Gesundheit von mehr als 14.000 Mitarbeitenden abhängt, war sehr besonders", erinnert sich Webasto-Vorstandschef Holger Engelmann gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. "In den ersten Tagen war kaum Zeit darüber nachzudenken, wie man sich selbst fühlt. Wir waren vor allem in großer Sorge um unsere infizierten Kolleg*innen", so eine Sprecherin des Unternehmens gegenüber ZDFheute.
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Waren die Maßnahmen angemessen?
"Ich finde es leicht, im Nachhinein, nachdem die Impfung dem Ganzen die Schärfe genommen hat, zu sagen, es ist vieles falsch gelaufen", sagt Brigitte Kössinger, Bürgermeisterin von Gauting, der Gemeinde, zu der auch Stockdorf gehört. Die Situation sei etwas völlig Neues gewesen. Die Bürger hätten ihr damals aufgeregt geschrieben, es müssten nun alle Busse und Plätze desinfiziert werden. Man habe ja zunächst nicht gewusst, wie sich das Virus überträgt.
"Das einzige, was ich hinterfrage, ist, warum durfte man nicht allein auf der Parkbank sitzen? Meine Mutter ist 93, für solche Leute ist es ganz schwierig, wenn sie keinen Kontakt zu anderen mehr haben dürfen", sagt Kössinger. Andererseits könne man das heute nur sagen, weil alles gut gegangen ist. "Was wäre gewesen, wenn sie sich mit Corona angesteckt hätte?", fragt Kössinger.
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Viel Zusammenhalt in Stockdorf - aber nicht nur
Erst Mitte Februar 2020 legte die WHO einen Namen für das neuartige Virus fest: Sars-CoV-2. Währenddessen waren die Menschen in Stockdorf dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben.
Das Fitnessstudio im Ort machte zu, denn "bei Webasto geht gerade irgendwas rum", erinnert sich Fitnesstrainer Stefan Basel. Viele gingen dann zum Trainieren in die Filialen, die noch geöffnet hatten. "So ein Schwachsinn", hätten manche gesagt. Im Nachhinein, "wenn man sich mal die Weltlage angeschaut hat", sei es gar nicht so falsch gewesen, das Studio zu schließen.
Brigitte Kössinger bat die Apotheken damals, Handdesinfektionsmittel herzustellen. Die ersten begannen, Masken zu nähen. Im Ort habe es einen unheimlichen Zusammenhalt gegeben, sagt die Bürgermeisterin. Die Leute hätten Picknick im Garten gemacht, mit zehn Metern Abstand. Auch ein Einkaufsservice für Ältere sei ins Leben gerufen worden.
Die Unterstützung habe aber nicht für alle gegolten. "Ich habe gehört, dass Webasto-Mitarbeiter von ihren Nachbarn geschnitten wurden", erzählt Kössinger. Die "Webastoaner" hätten plötzlich keinen Termin mehr beim Friseur bekommen, keinen zum Reifen wechseln. Auch Babysitter wollten Webasto-Kinder nicht mehr hüten, ein Taxifahrer ließ einen Webasto-Mitarbeiter nicht in sein Auto einsteigen, erzählt Konditor Ludwig Harter. "Im Nachhinein kann man drüber nur lachen, aber in der Situation damals war das wirklich so. Da hat man alles ernst genommen."
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Mit dem ersten Lockdown war das Getratsche weg
Für die Webasto-Angestellten kam die Erleichterung erst mit dem ersten Lockdown. Da "war das Getratsche dann weg", erzählt Harter.
Am 11. März 2020 erklärte die WHO Covid-19 zur weltweiten Pandemie. Bereits anderthalb Wochen zuvor waren alle elf erkrankten Webasto-Angestellten wieder gesund.
Caroline Drees ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Bayern.
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Quelle: dpa
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