Ukraine: Litauens Verteidigungsministerin für mehr Einsatz
Interview
Treffen Ukraine-Kontaktgruppe:"Europa war zu langsam und zu friedlich"
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Die Ukraine-Kontaktgruppe berät, wie das Land weiter unterstützt werden kann. Litauen will helfen. Verteidigungsministerin Šakalienė über die Positionen zu Moskau und den USA.
Dovilė Šakalienė, Verteidigungsministerin Litauens, fordert beim Nato-Treffen mehr Einsatz für die Ukraine.
Quelle: AP
Litauen kämpft in Europa schon lange für mehr Unterstützung der Ukraine. Auch, weil das Land fürchtet, dass es selbst oder andere baltische Staaten das nächste Ziel Russlands sein könnten. Die litauische Verteidigungsministerin Dovilė Šakalienė will die europäischen Partner weiter antreiben - auch um Washington zu zeigen, dass Europa mehr tut. Und um so die USA an Bord zu halten.
Die "Ukraine-Kontaktgruppe" trifft sich unter deutscher und britischer Führung. ZDF-Korrespondentin Isabelle Schäfers schätzt ein, was das für das Treffen bedeutet.11.04.2025 | 1:03 min
ZDFheute: Wie ist der aktuelle Stand in der Koalition der Willigen mit Blick auf die Friedenssicherung in der Ukraine?
Dovilė Šakalienė: Derzeit befinden wir uns in einem Stadium, in dem technische Details diskutiert werden: unsere Fähigkeiten, einschließlich der Anzahl der Truppen sowie die Möglichkeiten eines Mandats.
Die erste und notwendige Bedingung, die wir brauchen, ist aber eine tragfähige Vereinbarung über einen Waffenstillstand.
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Deutschland und zahlreiche andere Länder haben der Ukraine weitere Hilfen in Milliardenhöhe zugesagt. Das Treffen findet erstmals unter deutsch-britischer Führung statt. 11.04.2025 | 3:02 min
Wenn das nicht der Fall ist, können wir unsere Truppen nicht verlegen. Und dann ist natürlich eine Einladung durch die Ukraine und natürlich die Unterstützung durch die Vereinigten Staaten notwendig.
Gegenwärtig sieht Russland die Vereinigten Staaten als den einzigen Akteur, der in der Lage wäre, die Verletzung des Waffenstillstandsabkommens sofort und gewaltsam zu bestrafen. Ich glaube, je stärker das Paket ist, das wir auf den Tisch legen, desto glaubwürdiger ist es und desto wahrscheinlicher ist auch die Unterstützung der Vereinigten Staaten.
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ZDFheute: Wir sprechen jetzt viel darüber, was Europa tun kann. Aber ist Russland denn überhaupt ein zuverlässiger Partner für einen Waffenstillstand?
Šakalienė: Ganz und gar nicht. Europa war zu langsam und zu friedlich, als dass Russland glauben könnte, dass wir zurückschlagen können und werden. Um unsere Glaubwürdigkeit zu erhöhen, brauchen wir also die Vereinigten Staaten an Bord. Und wir müssen auch unsere eigenen Prozesse zur Förderung der Verteidigungsindustrie und zur Aufstockung unserer Verteidigungshaushalte beschleunigen. Das ist auch eine strategische Botschaft, die mit unseren Maßnahmen im Zusammenhang mit der Koalition der Willigen einhergeht.
Unsere Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten muss in bestimmten Bereichen schnell und deutlich gelöst werden.
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Dann würden wir ganz andere Gespräche mit den Vereinigten Staaten führen, als es jetzt der Fall ist.
ZDFheute: Wie kann Europa die USA bei der Verteidigung an Bord halten und gleichzeitig beim Handelsstreit entschlossen entgegentreten?
Šakalienė: Die Situation mit den Zöllen ist natürlich eine Komplikation. Allerdings ist sie, wie wir gerade sehen, sehr instabil. Sie ändert sich jeden Tag. Aber wenn wir über Verteidigungskapazitäten sprechen, wenn wir über den Beitrag zur Nato und zur Verteidigung der Ukraine sprechen, dann ist das im Grunde genommen immer noch eine andere Diskussion. Drei Dinge bleiben dabei sehr konstant:
Erstens: Wir brauchen die Vereinigten Staaten.
Zweitens: Wir müssen unsere Verteidigungsindustrie und unsere Verteidigungskapazitäten ausbauen.
Drittens: Wir müssen unsere Unterstützung für die Ukraine aufrechterhalten und ausbauen.
Und diese Tatsachen gelten unabhängig von allem, was sonst noch so passiert.
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ZDFheute: Wie groß schätzen Sie die Bedrohung durch Russland für Länder in der EU ein?
Šakalienė: Zunächst einmal sehen wir, dass die Entwicklung der militärischen Fähigkeiten Russlands den tatsächlichen Bedarf in der Ukraine übersteigt. Die erfolgreich laufende Armeereform, die in naher Zukunft mindestens 1,5 Millionen Soldaten zur Verfügung stellen wird, ist mehr als in der Ukraine benötigt wird. Sie verfügen bereits jetzt über eine wesentlich höhere Truppenstärke als zu Beginn der Invasion - und diese Zahl wird noch weiter erhöht.
Zweitens ist der Umfang der Finanzierung ihres militärischen Bedarfs größer als in jedem anderen Land, wenn wir uns in Europa oder in den Vereinigten Staaten oder sogar in China umsehen. Und deshalb verstehen wir alle, dass dies definitiv Teil eines größeren Plans ist.
Zudem zeigt die Zusammenarbeit zwischen Russland und China, die sich in verschiedenen Bereichen ausweitet, dass sie Hand in Hand arbeiten.
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Angesichts der Komplexität der geopolitischen Realität, sowohl in der Straße von Taiwan als auch in Europa, wachsen die Krisenherde wie Pilze nach dem Regen, wie wir in Litauen sagen. In dieser komplizierten Situation, in der zwei autoritäre Staaten zusammenarbeiten, von denen sich der eine bereits aktiv im Angriffskrieg befindet und der andere mit einem Angriffskrieg droht, ergibt sich natürlich ein sehr schlechtes Bild.
In diesem Sinne ist die Möglichkeit, dass Russland die Gelegenheit nutzt, um einen Konflikt zu provozieren oder zu versuchen, die territoriale Integrität der Nato zu verletzen, während China in der Straße von Taiwan etwas unternimmt, ziemlich groß.
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ZDFheute: Könnte sich Ihr Land auf Artikel 5 im Nato-Vertrag verlassen? Wie robust ist die Nato noch?
Šakalienė: Ich bin sicher, dass Artikel 5 Bestand haben wird.
Ich schätze die Nato als robust ein.
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Ich bin jetzt seit vier Monaten Verteidigungsministerin und in diesen wenigen Monaten habe ich mehr Interaktion und Zusammenarbeit - sowohl multinationale als auch bilaterale - zwischen Verteidigungsministern, zwischen Staatschefs in Europa und insbesondere in der Ostseeregion gesehen als in all den Jahren davor. Ich denke also, dass wir stärker werden.
Und Artikel 5 ist definitiv ein gemeinsames Interesse. Es spielt keine Rolle, wo Russland versucht, unsere territoriale Integrität zu verletzen - wäre es Litauen, Lettland, Finnland oder ein anderer Ort - ganz Europa würde fallen. Die Finanzmärkte und die Wirtschaft in Europa würden sofort zusammenbrechen. Ich denke also, jeder versteht, was auf dem Spiel steht. Was wir brauchen, ist die nötige Größe unserer Militärmacht, die Russland davon abhalten würde, es überhaupt zu versuchen.
Das Interview führte Isabelle Schaefers, Korrespondentin im ZDF-Studio Brüssel.