US-Wahlkampf: Warum Donald Trump seine Lügen nicht schaden

    Analyse

    Wahlkampf in den USA:Warum Trumps Lügen ihm nicht schaden

    Anna-Kleiser vor dem US-Kapitol
    von Anna Kleiser, Washington D.C.
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    Von Ungenauigkeiten bis zu großen Lügenkonstrukten: Der US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump lügt immer wieder. Doch es schadet ihm nicht, nutzt ihm sogar. Warum ist das so?

    Donald Trump steht mit weit ausgestrckten Armen inter einen Rednerpult und schaut ins Publikum.
    Beim Wahlkampf im Swing State North Carolina hat Trump mehrfach Lügen über die Katastrophenhilfe nach den Hurrikan Helene und Milton wiederholt. Das hatte Folgen für die Arbeit der Helfer.
    Quelle: AP

    Dass Donald Trump es mit Fakten nicht genau nimmt und häufig lügt, ist lange bekannt. Ja, auch die Demokraten lügen und verdrehen, aber längst nicht in dem Ausmaß. In Trumps erster Amtszeit als US-Präsident kam die Washington Post auf mehr als 30.500 Unwahrheiten. Im August zählte NPR in einer 62-minütigen Pressekonferenz umgerechnet mehr als zwei Lügen oder verzerrte Darstellungen pro Minute.
    Übertreibungen, Erfindungen, Erzählungen von Migranten, die Haustiere essen oder das infrage stellen von Kamala Harris' Identität: Die Bandbreite der Unwahrheiten ist groß, vor allem im aktuellen Wahlkampf zur US-Wahl. Seit Jahren gehören Falschinformationen und das Befeuern von Verschwörungsmythen zum Werkzeugkasten des Republikaners Trump. Und es schadet ihm nicht.
    Der republikanische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Präsident Donald Trump setzt sich einen Wahlkampfhut auf, während er bei einer Wahlkampfveranstaltung auf der Calhoun Ranch spricht.
    Im Wahlkampf bricht US-Präsidentschaftskandidat Trump Tabus. Androhung von Militär am Wahltag bis zur Infragestellung von Wahlen - in seiner Rhetorik wird Trump immer extremer. 14.10.2024 | 1:41 min

    Donald Trump: Persönlichkeit als Erklärung

    McAdams beschreibt Trump als einen Menschen, dessen TV-Persönlichkeit zu seinem wahren Ich geworden sei. Seine Anhänger würden in ihm eher eine Art Superheld sehen, ihm übermenschliche Eigenschaften zuschreiben und parallel dazu Schwächen verzeihen und geringer Ansprüche an ihn stellen, so McAdams gegenüber ZDFheute.

    Es ist nicht ersichtlich, dass irgendetwas, das er sagt, ihm bei seinen Anhängern schadet. Sie haben großes Vertrauen in ihn und sehen ihn als übermenschlich, fast wie ein Wunder, an.

    Prof. Dan McAdams, Northwestern University

    Seine teils schockierenden Aussagen seien dabei Teil der Faszination Trump, erklärt McAdams. Sie haben Einfluss auf den Unterhaltungsfaktor und die Wahrnehmung einer tollkühnen Stärke. Unterstützer hätten das Gefühl, "dass er sie beschützt und dafür sind sie dankbar", so der Psychologe.
    Desinformation um Hurrikan Milton
    Hurrikan Milton traf die USA mitten im Wahlkampf. Und als wären die Schäden nicht schon groß genug, stiften Desinformationen und Lügen noch mehr Chaos und Unsicherheit.14.10.2024 | 2:23 min
    Ähnlich argumentiert auch Politikwissenschafter Sidney Milkis. Er betont, viele Menschen würden Trump unterschätzen. Trump sei ein "sehr kluger, charismatischer Anführer" und seine Anhänger würden eine Art religiöse Verbindung mit ihm eingehen, ihn verehren.

    Wähler sind "moralisch flexibel" - in beiden Parteien

    Die aggressive Rhetorik ist Teil seines Images und führt dazu, dass Trump-Anhänger immer wieder sagen "immerhin ist er ehrlich", indem er sage, was er denke. Teils werden Lügen nicht erkannt, aber selbst wenn sie bekannt sind, schaden sie ihm nicht.
    KI-generiertes Katzenfotos mit Donald Trump: Donald Trump "reitet" auf einer Katze und hält Gewehr in der Hand - im Hintergrund viele weitere Katzen
    Der US-Wahlkampf gerät ins Visier einer neuen Macht: künstliche Intelligenz. Erschreckend perfekt gefakte Videos, Audios und Bilder beeinflussen die amerikanische Öffentlichkeit. 30.10.2024 | 8:52 min
    Eine aktuelle Studie hat untersucht, warum Menschen Politiker unterstützen, die lügen. Mit dem Ergebnis, dass die Begeisterung für Kandidaten stärker mit der politischen Überzeugung zusammenhängt als mit einem Glauben daran, dass deren Aussagen wahr sind. Das gilt für Wähler beider Parteien. Co-Autor Ethan Poskanzer von der Universität von Colorado sagt, Wähler sind bereit Lügen zu akzeptieren, wenn sie ein Thema voranbringen, dass ihnen wichtig ist.

    Es ist nicht so, dass sie die Wahrheit verleugnen würden. Sie sind nicht an der Realität interessiert.

    Ethan Poskanzer, Universität von Colorado

    Poskanzer nennt dieses Phänomen "moralische Flexibilität": Je nach Parteizugehörigkeit werden unterschiedliche Maßstäbe an Politiker angelegt. Um eine vermeintlich tiefere Wahrheit darzustellen, werden Lügen in Kauf genommen.
    Ähnlich argumentierte zuletzt Trumps Vizekandidat J.D. Vance, indem er über die Lüge, Migranten würden Haustiere essen, sagte, er sei bereit, "Geschichten zu erfinden, damit die amerikanischen Medien wirklich aufmerksam werden".
    Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump diskutieren im Rahmen einer Wahldebatte
    90 Minuten duellierten sich US-Vizepräsidentin Harris und Herausforderer Trump live im TV. Wie traten sie auf? Mit welchen Themen? Am Ende behielt Kamala Harris die Oberhand.11.09.2024 | 2:52 min

    Faktenchecks haben begrenzte Wirkung

    Das ist ein Grund dafür, warum Faktenchecks eine begrenzte Wirkung haben. Hinzu kommen Trump-Loyalisten, die seine Aussagen verteidigen, zahlreiche Trump-nahe Medien, die seine Aussagen verbreiten sowie eigene Plattformen und Soziale Medien. Bereits 2018 machte Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon deutlich, die Demokraten seien im Grunde egal, die eigentliche Opposition seien die Medien. Seine Strategie: "Sie mit Scheiße zu überfluten".
    Der Politikwissenschaftler Professor A. James McAdams betont, kulturell bedingt herrsche in den USA eine "radikale Form des Individualismus" und ein extremes Misstrauen gegenüber Expertise. Das sorge dafür, dass "Extremisten wie Trump" behaupten könnten, was sie wollten.

    Deshalb wird Trump paradoxerweise umso stärker, je mehr seine Lügen angeprangert werden. Der Stolz der Menschen wird auf die Probe gestellt, wenn Experten ihnen sagen, dass sie falsch liegen.

    Prof. A. James McAdams, University of Notre Dame in Indiana

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    Hoffnungen, Erwartungen, Ängste – ein gespaltenes Amerika vor den US-Wahlen. Ein Roadtrip durch die USA zeigt, wie die Menschen den Wettstreit zwischen Trump und Harris verfolgen. 23.10.2024 | 44:02 min

    Lügen höhlen Basis der liberalen Demokratie aus

    Doch all die Lügen bleiben nicht ohne Folgen. In den vergangenen Jahren ist das Vertrauen in die demokratischen Institutionen des Landes - von Gerichten über Regierungen bis hin zu den Medien - massiv gesunken. Das Land ist tief gespalten und die Anhänger beider Parteien fürchten sich vor dem Ende des Amerikas, das sie kennen.
    • Donald Trump wiederholt Lüge von Wahlbetrug
    Über der Präsidentschaftswahl hängt noch der Schatten der sogenannten "Großen Lüge". Die Behauptung, die Präsidentschaftswahl 2020 sei "gestohlen" worden, hat sich in Teilen der Bevölkerung eingebrannt. Einer Umfrage zufolge, glaubt etwa ein Drittel der US-Amerikaner, dass Joe Biden nicht der rechtmäßige Präsident ist.
    Trump Anhänger klettern an einer Wand des Kapitols hoch
    Zwei Brüder aus West Virginia sind am 6. Januar 2021 nach Washington gefahren, um am Sturm aufs Kapitol dabei zu sein. Beide wurden verurteilt – und erzählen von ihren Motiven.16.10.2024 | 6:47 min
    Bis heute weigert sich Trump, das Ergebnis der US-Wahl 2020 anzuerkennen. Mit der Folge, dass die Sorge vor Gewalt in der Wahlnacht wächst, Wahllokale massiv die Sicherheit verstärken.
    Während die andauernden Lügen einem Kandidaten nutzen, sägen sie am Fundament des Systems. Wenn Menschen aufhören, Fakten zu akzeptieren, sei eine demokratische Gesellschaft unmöglich, so Politologe McAdams.
    Anna Kleiser ist Korrespondentin im ZDF-Studio Washington.

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