So verlässlich sind Meinungsumfragen zu Kriegszeiten

    Stimmung in der Ukraine:So verlässlich sind Umfragen zu Kriegszeiten

    Porträt des ZDF-Studioleiters Schleswig-Holstein Henner Hebestreit
    von Henner Hebestreit
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    Meinungsforscher ringen in Kriegsländern mit einigen methodischen Schwierigkeiten bei ihren Umfragen. Unter welchen Bedingungen Daten erhoben werden und wie verlässlich diese sind.

    Wie verlässlich sind Umfragen im Krieg?
    Was denken die Menschen in der Ukraine über den Krieg in ihrer Heimat? Wie objektiv können Meinungsumfragen in einem Land durchgeführt werden, das sich im Krieg befindet?19.09.2023 | 2:35 min
    Wie misst man die Stimmung des Volkes in Zeiten des Krieges? Wenn Meinungsforschern die statistischen Grundlagen für ihre Stichproben fehlen, weil Teile der Bevölkerung nicht sind, wo sie zu Beginn der russischen Attacke gemeldet waren? Wo Landstriche nicht betretbar sind, weil gekämpft wird? Wo Binnenflüchtlinge im Land umherirren und andere Zuflucht im Ausland gesucht haben? Wo Ergebnisse von Umfrage manchmal der feindlichen Propaganda in die Hände spielen können?

    Kiew: Zivilisten und Soldaten treffen aufeinander

    Wohl nirgendwo in der Ukraine treffen Gegensätze so aufeinander wie in Kiew: Soldatinnen und Soldaten auf Heimat- oder Genesungsurlaub treffen auf Zivilisten, die in Cafés ihren Cappuccino schlürfen oder sich auf den Konzertabend mit "Zorba the Greek" in der Oper freuen. Khrystina, die sich am Tag der russischen Invasion dem Militär angeschlossen hat, sagt:

    Wenn wir von der Front kommen, sind wir verzweifelt. Wir wissen nicht mehr, wo wir sind. Bei Luftalarm werfen wir uns in Deckung, weil wir jederzeit mit einem Einschlag rechnen.

    Khrystina, Einsatzhelferin ukrainische Armee

    Sie kämpft jetzt als Einsatzhelferin an der Front um das Leben ihrer Kameraden oder schließt deren Augen, wenn sie nicht mehr helfen kann. Diese müden Kämpfer treffen auf eine Bevölkerung, die des Krieges leid ist.

    Wissenschaftler: Bei Umfragen ins Detail gehen

    30 Prozent, so hat eine Umfrage ergeben, wollen für ein Ende des Krieges dem russischen Aggressor sogar Zugeständnisse machen. "Das ist schon eine verstörend hohe Zahl", sagt Serhyi Shapovalov Meinungsforscher der Kucheriv Stiftung für Demokratische Initiative.
    "Wir sollten aber ins Detail gehen", rät er im ZDF-Interview. "Wir haben diese Leute gefragt, ob sie denn für ein Ende des Kriegs bereit wären, besetzte Gebiete an Russland abzutreten. Da registrierten wir erheblich niedrigere Zustimmungswerte," so Shapovalov. Er sieht schließlich auch die 30 Prozent der Kriegsmüden als ein emotionales Statement denn als echte Bereitschaft zur Unterwerfung unter Putins Knute.

    Meinungsforscher: "Bemühen uns objektiv zu bleiben"

    Das heißt nicht, dass seriöse ukrainische Demoskopen ihre Ergebnisse "designen". "Wir bemühen uns, objektiv zu bleiben und keine Position zu beziehen", sagt Dmytro Sawtschuk vom Info-Sapiens Institut für Meinungsforschung.

    Das fällt manchmal schwer, wenn wir Meinungen hören, die von der allgemeinen Meinung abweichen.

    Dmytro Sawtschuk, Info-Sapiens Institut für Meinungsforschung

    "In solchen Fällen", so Serhyi Shapovalov, "wollen wir nicht zum Kronzeugen russischer Propaganda werden". Man wende sich mit den Ergebnissen lieber direkt an die Regierung. Bei der umstrittenen Überprüfung der Papiere potenziell wehrpflichtiger Männer auf offener Straße sei das - hören wir - der Fall gewesen. Aber auch Shapovalov schließt aus, Ergebnisse anzupassen an Interessen von Auftraggebern.

    In unserer Branche ist Reputation alles, die kann man nicht kaufen. Wenn Du einmal dabei erwischt wirst, Umfragen zu manipulieren, wird niemand mehr mit Dir arbeiten.

    Serhyi Shapovalov, Meinungsforscher der Kucheriv Stiftung für Demokratische Initiative

    Erstellen von Umfragen herausfordernd

    Beide von uns befragten Meinungsforschungsinstitute beschreiben es als Herausforderung, ohne valide Meldedaten und ohne Zugang zu allen Gebieten des Landes Umfragen zu erstellen.
    "Das ist nicht sehr akkurat aber es ist eine Beschränkung, die wir nicht vermeiden können", räumt Serhyi Shapovalov ein. "Wir können Umfragen nur per Telefon machen, weil wir mancherorts wegen der Kämpfe niemanden hinschicken können", erklärt Sawtschuk.
    Henner Hebestreit berichtet für das ZDF aus der Ukraine, Mitarbeit: Daryna Viter.
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    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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