Russland: Schlammschlacht unter Putins Kriegsbloggern

    Propagandisten streiten sich:Schlammschlacht unter Moskaus Militärbloggern

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Russlands Militärblogger sind harte Befürworter des Ukraine-Kriegs - untereinander aber oft bitter verfeindet. Jetzt tobt eine Schlammschlacht voller gegenseitiger Vorwürfe.

    Wladimir Putin mit Kriegsberichterstattern in Moskau
    Die Propaganda-Front bröckelt: Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen mit Kriegsberichterstattern im Juni in Moskau. (Archivbild)
    Quelle: reuters

    "Dummköpfe"; "Idioten" - der russische Militärblogger Alexander Talipow ist sauer auf seine eigenen Kollegen. Der Grund, warum sich mehrere der lautstärksten Online-Propagandisten Russlands öffentlich in die Haare bekommen? Die Veröffentlichung von Bildern, die Russlands Militär in schlechtem Licht erscheinen lassen.
    "Gestern haben Blogger hastig die Explosionswolke in Sewastopol veröffentlicht - der Eindruck basierend auf diesen Bildern: Die [beleidigende Bezeichnung für Ukrainer] hätten die Basis der russischen Marine 'zerstört'", beklagt Talipow in einer Nachricht auf seinem Telegram-Kanal. "Heute veröffentlichen dieselben Idioten Fotos aus der Region Simferopol, wonach ein Fliegerregiment 'zerstört' wurde."

    Dreihundertmal haben wir sie gebeten, keine Fotos und Videos von den unterschiedlichen Notfällen zu veröffentlichen.

    Militärblogger Alexander Talipow

    In beiden Fällen hätten russisches Militär und andere Blogger nachträglich belegen müssen, dass die ukrainischen Angriffe ihr Ziel angeblich verfehlt, oder keinen Schaden angerichtet hätten, so Talipow. "Wieder muss man etwas beweisen, das einfach hätte ignoriert werden können."

    Militärblogger drohen sich gegenseitig

    Talipow hat rund 100.000 Abonnenten auf Telegram. Seine Kritik an anderen Militärbloggern hat seit Donnerstag bereits 1,6 Millionen Aufrufe gesammelt. Diesmal richten sich seine Vorwürfe vor allem an den russischen Kanal "Two Majors" mit fast 400.000 Abonnenten auf Telegram. "Für wen arbeiten Sie? Eure Kommentare auf den Kanälen sind voll von [beleidigende Bezeichnung für Ukrainer]. Vielleicht habt ihr euch das falsche Publikum ausgesucht?", schreibt Talipow weiter.
    Die Auseinandersetzung ist Teil einer größeren Schlammschlacht unter den russischen Militärbloggern. Der Kriegsberichterstatter Roman Saponkow etwa bezeichnete Talipow auf Telegram mehrfach abwertend als "ukrainischen Grenzschutzbeamten", da dieser bis 2007 für den ukrainischen Staat gearbeitet und erst 2008 die russische Staatsbürgerschaft erhalten habe. Talipow rief seine Fans daraufhin am Donnerstag auf, Saponkow "ein Hallo" auf Telegram zu senden, woraufhin wütende Kommentare auf dessen Seite eingingen.
    Ein anderer russischer Blogger, "Romanow Light", habe ihm mit der Veröffentlichung "kompromittierender Beweise" gedroht, so Talipow. Zeitgleich machte der ukrainische prorussische Journalist Anatolij Scharij gegenüber seinen Millionen YouTube- und Telegram-Abonnenten Andeutungen, Romanow habe Spendengelder für die russischen Streitkräfte im Ukraine-Krieg veruntreut und "vermiete" seine Ehefrau an russische Militärs.
    Seit Tagen beteiligen sich mindestens ein Dutzend reichweitenstarke russische Propagandisten mit Videos und Nachrichten an diesen gegenseitigen Vorwürfen. Deren Wahrheitsgehalt kann von außen meist kaum überprüft werden - über eineinhalb Jahre Krieg angestaute Gerüchte und Ressentiments scheinen sich gerade zu entladen.

    So wichtig sind die Propagandisten für Russlands Krieg

    Der US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) schätzt die Community der russischen Militärblogger auf insgesamt rund 500 Personen. "Die Community hält an ihrer entschiedenen Unterstützung des Krieges und ihren russisch-nationalistischen Anschauungen fest. (…) Ihre engen Verbindungen zum Militär haben dieser Gruppe eine Stimme verschafft, die (…) lauter wirkt als die des russischen Verteidigungsministeriums", so das ISW in einer Analyse von November 2022.
    Anders als viele reguläre Medien bekommen die Militärblogger umfangreichen Zugang zu den Frontlinien. Sie begleiten Soldaten ins Gefecht, laden anschließend Videos und persönliche Erzählungen in den sozialen Medien hoch. Der Kreml erhoffte sich davon nahbare, patriotische Berichte für ein junges, internetaffines und militärbegeistertes Publikum. Angesichts der militärischen Probleme Russlands äußerten viele von ihnen immer lautstarker Kritik an der Militärführung.

    Putin-kritische Blogger werden kaltgestellt

    Für einige der Militärblogger ging die Gratwanderung von Kriegsunterstützung und Kritik an den Generälen und Präsident Wladimir Putin selbst nicht gut aus. Vor zwei Wochen verhafteten Sicherheitskräfte den russisch-nationalistischen Blogger und verurteilten Massenmörder Igor Girkin, der für eine radikale Ausweitung des Krieges wirbt.
    Der Militärblogger Igor Girkin bei einer Anhörung in Moskau nach seiner Verhaftung.
    Der Militärblogger Igor Girkin bei einer Anhörung in Moskau nach seiner Verhaftung am 21. Juli.
    Quelle: ap

    Der ultranationalistische christlich-orthodoxe Publizist Jegor Kholomogorow kündigte am Mittwoch die Einstellung "aller politisch-journalistischen Aktivitäten" ein. Vergangenes Jahr hatte er mit mehreren Aussagen Kontroversen ausgelöst: Zwar steige mit Dauer des Krieges der Hass auf die Ukrainer, aber der "Hass auf die Regierung und die Kommandeure noch mehr", so Kholomogorow damals.

    Herr, schütze die russischen Soldaten vor Schlägen von vorne, aber noch mehr von Schlägen in den Rücken.

    Jegor Kholomogorow, nationalistischer russischer Publizist

    Mehrere bekannte Militärblogger wurden bereits bei Kämpfen getötet oder verletzt. Insbesondere jene Blogger, die sich offen auf die Seite von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin gestellt hatten, müssen jetzt um ihre Position und Reichweite fürchten. Der Druck steigt; auch das womöglich ein Auslöser für zunehmende Streitigkeiten untereinander.
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    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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