Spionageverdacht in Wien: Zu viel Putin-Nähe in der OSZE?
Exklusiv
Spionageverdacht in Wien:Zu viel Putin-Nähe in der OSZE?
von Kate Manchester, Frederik Obermaier, Marta Orosz, Fabian Schmid
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Mehrere Mitglieder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa werfen Russland vor, es unterwandere die Friedensorganisation. Im Fokus steht eine Putin-Vertraute.
Die Wiener Hofburg - Sitz des Ständigen Rats der OSZE.
Quelle: dpa
Die Wiener Hofburg war über Jahrhunderte die Residenz des Herrschergeschlechts der Habsburger. Die Mächtigen verhandelten hier über Krieg und Frieden in Europa und das ist bis heute so. In einem Kongressgebäude der Burg kommen regelmäßig Diplomaten aus 57 Ländern zusammen.
Unter dem Dach der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sollen die Menschen weltweit "in den Genuss von Stabilität, Frieden und Demokratie kommen". So beschreibt sich die OSZE gern selbst.
Im Februar gab es Proteste gegen die russische Teilnahme am OSZE-Treffen:
Diplomatenkrimi auf der Wiener Hofburg
Doch seit Russland die Ukraine überfallen hat, ist es auch in Wien mit dem Frieden vorbei. Diplomaten werfen Russland vor, das Land nutze die OSZE für Spionage und unterwandere die Ziele der Friedensorganisation. Forderungen nach einem vorübergehenden Ausschluss werden laut. Ein Fall wird als besonders brisant geschildert. Seit mehr als drei Jahren kann ein russischer Diplomat ganz oben agieren - im Sekretariat der OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid.
Der russische Mitarbeiter kann auf eine langjährige Karriere zurückblicken, im Außenministerium in Moskau, in der russischen Botschaft in Washington während der Trump-Ära und als stellvertretender Direktor einer wichtigen Planungsabteilung des Kremls.
Quelle: picture-alliance / dpa / Lehtikuva
In den Siebzigerjahren unter dem Kürzel KSZE ins Leben gerufen von den damaligen deutschen Staatschefs Helmut Schmidt und Erich Honecker als Gesprächsplattform im Kalten Krieg, will die OSZE bis heute weltweit Konflikte befrieden und demokratische Strukturen weltweit stärken. Doch ausgerechnet in Zeiten des Ukraine-Krieges wirkt die Friedensorganisation wie gelähmt. In Wien gilt das Konsensprinzip. Es reicht das Veto eines Landes, um Missionen und gemeinsame Stellungnahmen zu blockieren.
Davon hat Russland seit Ende 2021 reichlich Gebrauch gemacht: Die OSZE konnte ihre Beobachtermissionen in der Ukraine nicht fortführen. Auch die Abstimmung über den OSZE-Vorsitz 2024 blockiert Moskau und auch die Verabschiedung des Haushalts für 2022. "Nach meiner Erinnerung hat Russland seine Mitgliedsbeiträge für das aktuelle und für das vergangene Jahr nicht bezahlt", erzählt Michael R. Carpenter, Botschafter der USA bei der OSZE. Die russische OSZE-Delegation wollte sich zu ausstehenden Zahlungen nicht äußern.
Indes wächst der Unmut der Mitgliedsländer: Im Februar forderten siebzehn Staaten, darunter auch Deutschland, eine interne Prüfung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. "Es ist unsere Pflicht, die Sorgen unserer Kollegen anzuhören", steht im gemeinsamen Antrag der Delegationen. Denn die Finanzen der Parlamentarischen Versammlung seien demnach seit ihrer Gründung nicht geprüft worden. Doch auch das könnte an dem Veto eines einzigen Mitglieds scheitern. Inzwischen wird über den Ausschluss Russlands offen debattiert.
Russlands Diplomaten "klares Sicherheitsrisiko"
Diplomaten und westliche Geheimdienstler sind überzeugt, der Mann wirke im Stillen für den russischen Auslandsnachrichtendienst SWR. Die russische OSZE-Vertretung wollte zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen. Auf eine Anfrage von ZDF frontal, "Spiegel" und der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" schreibt sie:
Der im Verdacht stehende Mitarbeiter reagierte nicht auf eine Anfrage. Der Botschafter der USA bei der OSZE, Michael R. Carpenter, sagte im Gespräch, jeder russische Diplomat innerhalb der OSZE sei ein klares Sicherheitsrisiko.
Im Dezember trafen sich die Außenminister der OSZE-Staaten:
Russische Diplomaten bei OSZE nicht ausgewiesen
In gewissem Maße sei naheliegend, dass OSZE-Mitglieder Vertreter in die Organisation schicken, die nationale Interessen verfolgen, doch die Grenze zur Spionage sei nicht immer eindeutig, erklärt ein westlicher Geheimdienstler.
Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine wiesen mehrere Länder in Europa hunderte russische Diplomaten aus, die sie für Geheimdienstmitarbeiter hielten. OSZE-Mitarbeiter in Wien blieben jedoch bislang verschont.
OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid schreibt auf Anfrage, dass im Vergleich zu anderen Ländern Russland wenige Diplomaten in die OSZE entsendet. Außerdem seien sie wie alle Bediensteten gehalten, "unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit allein die Interessen der OSZE und nicht die ihrer Teilnehmerstaaten zu vertreten".
Was ZDF-Korrespondent Andreas Kynast zur OSZE in Zeiten des Ukraine-Kriegs sagt:
Putins Dolmetscherin im Visier
Eine weitere Personalie erhitzt seit Monaten die Gemüter in Wien: die Ernennung der Russin Daria Boyarskaya zur Leiterin des Wiener Büros der Parlamentarischen Versammlung (PV) der OSZE. Die PV dient als Forum für die Abgesandten aus den Parlamenten der Mitgliedsländer.
Boyarskaya arbeitete jahrelang als Übersetzerin für den russischen Außenminister Sergej Lawrow und auch für Wladimir Putin. 2019 übersetzte sie beim G20-Gipfel für Putin das Gespräch mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump.
Die Personalie stelle die Unparteilichkeit des PV-Generalsekretärs Roberto Montella infrage, sagte die Leiterin der litauischen Delegation im Februar. Der Vorwurf steht bis heute im Raum.
Kritik an Roberto Montella
Montella reagierte scharf. In einem Brief an die Letten machte er schon im März klar, die Spionagevorwürfe gegen die russische Dolmetscherin könnten juristische Konsequenzen haben. Die OSZE schätze seit vielen Jahren die Fähigkeiten von Frau Boyarskaya, schrieb Montella in dem Brief, der ZDF frontal, "Spiegel" und "Der Standard" vorliegt.
Boyarskaya soll demnach eine der vier Bewerberinnen für die offene Stelle gewesen sein, die die Organisation aus insgesamt dreizehn Kandidaten in die engere Auswahlliste aufnahm.
Boyarskaya reagierte auf Nachfragen nicht.
Die UN-Mitgliedstaaten haben mit breiter Mehrheit den russischen Truppenabzug aus der Ukraine gefordert. Mit nur sieben Gegenstimmen wurde die Resolution angenommen.24.02.2023 | 1:35 min
Kritik an Russland kommt auch von den Vereinten Nationen:
Österreich erlaubt umstrittene Einreisen
Länder wie Großbritannien und Polen wollen nicht auf einen offiziellen Ausschluss Russlands aus der OSZE warten: 2022 lehnten die beiden Gastgeberländer Visumsanträge der russischen Delegation für die Parlamentarische Versammlungen der OSZE in Birmingham und in Lodz ab. Eine Ausnahme blieb Österreich.
Trotz heftiger Kritik konnten russische Mitglieder der OSZE-Delegation im Februar zum Wintertreffen der Parlamentarischen Versammlung nach Wien reisen - darunter auch sechs Personen, die von der EU beziehungsweise den USA sanktioniert worden sind.
Shoppen in Wien mit OSZE-Visum
Auch im April, als die OSZE zu ihrer Konferenz der Allianz gegen Menschenhandel nach Wien einlud, erhielt die russische Delegation ein Visum. Der erste akkreditierte Konferenzgast war Olga Alexandrovna, Rektorin der Rechtsakademie beim Justizministerium und Ehefrau des sanktionierten Alexander Bastrykin, Chef des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation und ehemaliger Studienfreund Wladimir Putins.
Die Europäische Union hält Bastrykin unter anderem für willkürliche Verhaftungen und für Repressalien gegen Oppositionelle verantwortlich. Olga Alexandrovna nutzte laut Konferenzteilnehmern die Zeit nicht besonders intensiv, um sich über Menschenhandel zu informieren. Sie wurde stattdessen in der Wiener Innenstadt bei einer Shopping-Tour gesichtet.
Olga Alexandrovna bei ihrer Shopping-Tour in Wien.
Quelle: Kate Manchester
Alexandrovna reagierte nicht auf Anfragen. Und die OSZE? Sie schrieb auf Anfrage, dass die Veranstalter nicht in der Lage seien, bei einer Konferenz mit 870 Teilnehmern die physische Präsenz jedes Einzelnen zu überprüfen.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.