Orban bei Putin: Warum Ungarns Staatchef nach Moskau reist
FAQ
Europa in Aufruhr:Warum Orban zu Putin nach Moskau reiste
von I. Schaefers, F. Klauser und B. Hilpert
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Kaum übernimmt der Ungar Orban die Ratspräsidentschaft in der EU, besucht er Kreml-Chef Wladimir Putin. Was der Besuch bedeutet und wie die EU reagiert.
Der ungarische Ministerpräsident Orban reiste heute überraschend nach Moskau. Am Dienstag war er noch zu Besuch bei Präsident Selenskyj. Damit löst er in der EU Kritik aus. 05.07.2024 | 1:29 min
Warum macht Orban diese Reise?
Für Viktor Orban ist diese "Friedensmission" ein Scoop - aber einer, der den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine kaum beenden kann. Er dient Orbans Narrativ: Man muss einfach mal verhandeln. Damit argumentiert er auch immer, wenn er sich gegen Ukraine-Hilfen sperrt.
"Wir wollen die ersten Schritte Richtung Frieden unternehmen", sagt er heute. Doch Orban ist klug genug um zu wissen, dass das kleine Ungarn nicht der große Friedensstifter sein kann. Auch nicht, wenn er als Vertreter der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft auftritt. Denn mit Putin ist ein gerechter Frieden auf dieser Ebene und so schnell kaum zu machen.
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Dieser Besuch ist deshalb eher ein Signal in Richtung EU und nach Ungarn hinein: Orban braucht Erfolge zu Hause - dort ist er unter Druck durch eine neue Oppositionsbewegung. Ausserdem ist Ungarn extrem abhängig von russischer Energie und hat auch in den Kriegsjahren nichts unternommen, um diese Abhängigkeit zu verringern.
So zeigt er der EU mit diesem Besuch, dass ihm die Beziehungspflege zu Moskau wichtiger ist, als vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den EU Partnern.
Britta Hilpert leitet das ZDF-Studio in Wien und berichtet über Mittel- und Osteuropa.
Wie kann Putin von dem Orban-Besuch profitieren?
Für Wladimir Putin kommt dieser Besuch - der erste Moskau-Besuch eines EU-Regierungschefs seit April 2022 - wie gerufen. Einerseits profitiert er außenpolitisch von Viktor Orbans Auftritt in Moskau. Denn dass der Regierungschef Ungarns, das erst in dieser Woche den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, den russischen Präsidenten trifft, ist weder mit Brüssel abgesprochen noch in dessen Sinne. Neue Risse also in der ohnehin bröckelnden Einigkeit der EU - das dürfte Russlands Machthaber Putin gefallen.
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Außerdem bestärkt Putin so das Narrativ, dass er gesprächs- und verhandlungsbereit sei und interessiert daran, eine Lösung für den Konflikt zu finden. Auch das soll die Geschlossenheit des Westens weiter untergraben, beispielsweise bei der Unterstützung der Ukraine mit Waffen. Denn jene, die gegen entsprechende Lieferungen sind, fragen ohnehin: Warum weiter Waffen liefern, wenn Frieden - laut Russland - doch möglich ist? Dass Putin regelmäßig Forderungen für einen Friedensvorschlag vorlegt, die für die Ukraine völlig inakzeptabel sein dürften, macht dieses Kalkül des Kreml umso zynischer.
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Letztlich kann Putin die Reise Orbans aber auch innenpolitisch für sich nutzen. Sie verstärkt eine Erzählung, die Russlands Präsident bei seinen Auftritten konsequent pflegt: dass er eben doch nicht so isoliert sei, wie es die Ukraine und ihre Verbündeten sich wünschen. Zuletzt hat Putin diese Sicht auf die Dinge im kasachischen Astana beim Treffen der Shanghai-Gruppe präsentiert: beim Treffen mit China’s Xi Jinping und weiteren Regierungschefs. Schon am Montag soll Indiens Premierminister Narendra Modi nach Moskau kommen. Dass bereits heute Viktor Orban zu Gast ist, spielt Putin wunderbar in die Karten.
Felix Klauser berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
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Welches Signal sendet Orbans Reise an Brüssel und die EU-Partner?
Offiziell bestätigt war die Reise noch nicht, da echauffierten sich schon die ersten EU-Mitglieder. EU-Ratspräsident Charles Michel mahnte, dass die rotierende EU-Präsidentschaft kein Mandat habe, im Namen der EU gegenüber Russland zu verhandeln.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte umgehend nach Orbans Ankunft in Moskau auf der Plattform X: Appeasement, also Beschwichtigungspolitik, werde Putin nicht aufhalten.
Und ein EU-Kommissionssprecher sagte heute, dass nun der traditionelle Besuch der EU-Kommission in Budapest anlässlich der ungarischen Ratspräsidentschaft in Frage stehe.
Das alles zeigt: Orban nutzt auch die Zeit der ungarischen Ratspräsidentschaft weiter, um aus Sicht seiner europäischen Partner aus der Reihe zu tanzen. Orban gilt als Russland-Freund und hat in den letzten beiden Jahren immer wieder Ukraine-Hilfen oder Sanktionen gegen Moskau blockiert. Aus seinen guten Kanälen zu Moskau hat er keinen Hehl gemacht.
Die Überraschung war eher, dass Orban Anfang der Woche nach Kiew reiste - erstmals seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine. Allerdings war schon das ein Alleingang ohne Mandat seiner europäischen Partner. Sein Vorschlag eines Waffenstillstandes kam weder bei Selenskyj noch den EU-Partnern gut an.
Orban spielt sich als Vermittler auf. Die Macht dazu hat er wohl kaum - weder Unterstützung der EU, noch ausreichend Einfluss in Moskau. Dennoch bringt er Unruhe nach Brüssel und Kiew. Und dann sind da die, die auch etwas Gutes erkennen wollen: Zumindest hat Orban noch Gesprächskanäle nach Moskau, zumindest ist er jetzt auch mal nach Kiew gereist. Vielleicht, ganz vielleicht liegt darin auch eine klitzekleine Chance.
Isabelle Schaefers ist ZDF-Korrespondentin im Studio Brüssel.
Ungarns Staatschef Orban ist als neuer EU-Ratsvorsitzender überraschend nach Moskau gereist, um mit Russlands Präsident Putin zu sprechen. Von der EU selbst kam Kritik.