Ungarns EU-Ratspräsidentschaft: Wie steht Ungarn zu Orbán?
Ungarns EU-Ratspräsidentschaft:14 Jahre Orbán: Was sagen die Ungarn?
von Christian von Rechenberg, Eger
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Alleinherrscher, Autokrat, Abwracker der Demokratie - so schimpfen seine Gegner auf Viktor Orbán. Am 1. Juli übernimmt Ungarn den Ratsvorsitz der EU.
Das Europwawahl-Ergebnis hat Viktor Orbán gezeigt: Die Mehrheit der Ungarn scheint nicht mehr hinter ihm zu stehen.
Quelle: AFP
Damit es kein Missverständnis gibt. Viktor Orbán ist kein Gegner der EU. Im Gegenteil: Er weiß, dass 70 Prozent seiner Landsleute die EU befürworten.
Außerdem braucht er die Millionen aus den EU-Fördertöpfen, um seine marode Wirtschaft zu sanieren. Und schließlich braucht er die EU als Sündenbock, auch für die Probleme im Land, die er mehr oder weniger selbst zu verantworten hat.
Orbán will Europas Geld, nicht seine Werte
Was er nicht braucht, sind die Werte und Regeln der EU, auf deren Basis Brüssel derzeit 20 Millionen Euro zurückhält, bis Orbán vollständige Rechtsstaatlichkeit wiederherstellt. Die Bedingung ist für beides: Mitgliedschaft und Millionen.
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Und so geht Orbán seit Jahren nicht auf die EU los, sondern auf Brüssel. Verkauft seiner Bevölkerung etwa die Russland-Sanktionen als wahren Grund für steigende Preise im Land. Obwohl die Ursachen hausgemacht seien, etwa durch falsche Weichenstellung in der Wirtschaftspolitik, so Zoltán Ranschburg vom unabhängigen Thinktank Republikon.
Orbán müsse zudem ein ganzes Netz aus willfährigen Oligarchen mit Aufträgen versorgen. Diese Aufträge waren bisher meist von der EU mitfinanziert. "Die Unterstützung dieser Leute und die Präsenz dieser Leute in der ungarischen Wirtschaft", so Ranschburg, seien für Orbáns Partei entscheidend.
Ungarn: Bürger sind wütend über Korruption
Bezahlt heißt, dass sie lukrative staatliche Aufträge bekommen, auch wenn der Staat sich diese im Moment gar nicht leisten kann. Die Folgen trägt der kleine Mann, und die kleine Frau.
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Teresia Mark hat in der Nähe von Eger, eine Stunde nördlich von Budapest, ein kleines Häuschen und allerlei Sorgen. Sie war früher Kindergärtnerin, bekommt heute umgerechnet 500 Euro Rente. Die Preise sind in den letzten Jahren durch die Decke gegangen.
Um über die Runden zu kommen, muss die 65-Jährige arbeiten. Acht Stunden am Tag näht sie kleine Stoffherzen und Kräutersäckchen. 250 Euro im Monat bringt ihr das ein. Sie hat Wut im Bauch - denn woanders würden sie sich die Taschen vollstecken.
Wie Teresia Márk denken viele in Ungarn, doch nicht alle. Dániel Benkó hat eine kleine Käserei im gleichen Ort. Dank eines Förderprogramms der EU wurde sein Traum vom Milchbauern wahr. Heute aber sagt er, kämpfe er ums Überleben, da die EU nur große Betriebe unterstütze, also die Konkurrenz.
Dass Orbán Alarm macht gegen die EU, findet er gut. Und, dass es extra Geld gibt von der Regierung.
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Europawahl brachte Klatsche für Orban
Orbán ist Profi. Er weiß, welche Knöpfe er drücken muss, um Wahlen zu gewinnen. Bis 2020 war es der Wohlstand, den die Ungarn Jahr für Jahr anhäuften. Solange es dem Land gut ging, verziehen ihm die Ungarn viel: Die Erosion der Pressefreiheit, das kaputte Gesundheitswesen, die grassierende Vetternwirtschaft, die Propaganda gegen Minderheiten und Migranten.
Nun aber merken die Ungarn die Probleme im Geldbeutel. Dass die Mehrheit nicht mehr hinter ihm steht, hat Orbán spätestens bei der Klatsche seiner Fidesz-Partei in der Europawahl Anfang Juni bemerkt. Aus dem Stand eroberte Ex-Fideszmitglied und Orbáns neuer Widersacher Peter Magyar sieben Sitze, mit denen er bereits Teil der großen EVP-Fraktion im EU-Parlament geworden ist.
Die schwierige wirtschaftliche Situation in Ungarn macht Ministerpräsident Viktor Orbán zu schaffen. Überraschend gut hat die Partei von Herausforderer Péter Magyar abgeschnitten.09.06.2024 | 3:14 min
Als sich das Debakel abzeichnete, wurde Orbáns Wettern gegen Brüssel noch lauter: No gender, no migration, no war. Keine Gendersprache, keine Migration, kein Krieg. Die Hetze half ihm zumindest, den Schaden in Grenzen zu halten.
Orbán könnte sein halbes Jahr an der Spitze des Rates der EU also nutzen, um diese Themen in den Mittelpunkt zu stellen, sagen Beobachter. Verhindern kann er Beschlüsse der EU, die ihm unbequem sind, zwar nicht.
Aber er kann sie verzögern. Und eigene Schwerpunkte setzen. Jene, die ihm nützen. Wie gesagt, er ist kein Gegner der EU, solange jedenfalls, wie er dank ihrer Hilfe sein System-Orbán in Ungarn am Leben halten kann.
Christian von Rechenberg ist Korrespondent im ZDF-Studio Wien und zuständig für Osteuropa.
Viktor Orban schießt immer wieder gegen die EU und setzt auf rechte Verbündete. Wie der Ungar tickt und wieso ein Duo Orban-Trump fatale Folgen haben könnte. Ein Experten-Gespräch.