Interview
Nach Ungarns Zustimmung:Nato und Schweden - der Win-win-Beitritt
von Gunnar Krüger
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Ungarns Parlament stimmt für den Nato-Beitritt von Schweden. Den Nutzen haben alle, aber der lange Prozess offenbart etwas über den Zustand des Bündnisses.
Nach langer Blockade hat Ungarn grünes Licht für die Aufnahme Schwedens in das Verteidigungsbündnis gegeben. Ministerpräsident Kristersson spricht von einem "historischen Tag". 26.02.2024 | 1:45 min
Es gibt Zitate, die man nicht gleich Viktor Orban zuschreiben würde: "Die Basis unserer Außenpolitik ist es, Freunde zu sammeln, auch wenn man dies nicht immer sieht." Als Freunde sieht Orban nun wieder auch die Schweden an. Das Land wollte in die Nato und brauchte dafür die Zustimmung aller bisherigen Mitglieder - also auch von Ungarn. Am späten Montagnachmittag stimmte dort das Parlament zu.
Letzten Freitag in Budapest: Ein Schwede und ein Ungar mit Regierungschefs im Rücken beschließen den Verkauf von vier Kampfjets aus schwedischer Produktion. "Klar, so ein Abkommen hilft, Vertrauen zwischen unseren Ländern wieder aufzubauen", sagte Orban. Aber bitte: Das sei kein Geschacher. "Das ist nicht unsere Art."
Der Weg für Schwedens Nato-Beitritt ist frei. Doch die Blockade Ungarns hat das Bündnis monatelang in Atem gehalten.26.02.2024 | 0:57 min
Und doch: Der Deal half wohl. Schweden wird das 32. Mitglied der Nato.
Was gewinnt die Nato?
Magnus Christiansson lehrt an der schwedischen Universität für Verteidigung. Gegenüber ZDFheute sagt der Experte für transatlantische Sicherheit:
Masse schafft Abschreckung - beide profitieren.
Aber: Schweden bringt auch eine starke Verteidigungsindustrie ein. Dazu gehörten die Kampfjets vom Typ Gripen, aber auch Fähigkeiten zur See, wie U-Boote und das amphibische Korps, so Christiansson. Zugleich schränkt er ein:
Das Denken im Bündnis müsse sie noch lernen.
Schweden verstand sich lange als neutraler Staat. 1995 trat das Land der EU bei, aber keinem Verteidigungsbündnis. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs vor zwei Jahren baten Schweden - und sein Nachbar Finnland - um Aufnahme in die Nato. Finnland trat der Nato bereits 2023 bei, doch die Aufnahme Schwedens blockierte erst die Türkei und zuletzt noch Ungarn.
Den größten Zugewinn für die gemeinsame Sicherheit sieht Stefanie Babst in der "strategischen Tiefe". Die ehemalige Nato-Strategin versteht darunter "die Möglichkeit, stärker und offener zu operieren, wichtige Seelinien zu verteidigen, maritime Interessen und kritische Infrastruktur zu verteidigen."
Nach langer Zeit hatte auch das türkische Parlament für den Beitritt Schwedens in die Nato gestimmt.24.01.2024 | 0:20 min
Schweden kontrolliert am Öresund den Zugang und kann von Gotland aus die ganze Ostsee beherrschen. Vor allem aber verkürzen sich Nachschubwege ins Baltikum, für den Fall, dass die Nato ihre Ostflanke verteidigen muss.
Was gewinnt Schweden?
Kurz gesagt: Den Beistand der Nato, siehe oben. Doch die Win-win-Situation hat Abstriche: Der lange Beitrittsprozess offenbart, wie abhängig die Nato vom Prinzip der Einstimmigkeit ist, wie sehr Autokraten das Bündnis in der Hand haben. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der Ungar Orban - beide betrieben Kampfjet-Diplomatie.
Schweden bringe Know-how, aber auch militärische Fähigkeiten in das Bündnis ein, sagt die ehemalige Nato-Strategin Stefanie Babst.26.02.2024 | 18:25 min
Der Konsens darüber, wie man sich künftig gegenüber Russland aufstellen will, sei ohnehin fragil, meint die ehemalige Nato-Strategin Babst. Sie zählt auch den Slowaken Robert Fico zu den schwierigen Nato-Partnern.
Hinzu kommt: Über die Zeit des Beitrittsprozesses von fast zwei Jahren sank der Wert der noch immer härtesten Währung in der Sicherheitspolitik: Artikel 5, die Beistandsverpflichtung der Nato. Und das allein, weil ein Präsidentschaftsbewerber in den USA, daran Zweifel sät.
Artikel 5 des Nordatlantikvertrags regelt den Bündnisfall der Nato. Dazu heißt es in dem Vertrag: "Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird."
Im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs auf ein Nato-Mitglied bedeutet das, dass die Mitgliedsstaaten bei der Selbstverteidigung des angegriffenen Landes Beistand leisten. Das schließt auch die "Anwendung von Waffengewalt" ein, wie es im Vertrag heißt, "um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten".
Quelle: North Atlantic Treaty Organization
Im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs auf ein Nato-Mitglied bedeutet das, dass die Mitgliedsstaaten bei der Selbstverteidigung des angegriffenen Landes Beistand leisten. Das schließt auch die "Anwendung von Waffengewalt" ein, wie es im Vertrag heißt, "um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten".
Quelle: North Atlantic Treaty Organization
Der Beitritt der beiden Länder mache die Ostsee quasi zum Binnenmeer und bringe das Bündnis damit in eine „militärstrategisch sehr starke Position“, so NATO-General a. D. Ramms.26.02.2024 | 4:49 min
Das Bündnis, dem Schweden bald endgültig beitritt, steht für Sicherheit - und ist selbst verunsichert.
Also eine Win-win Situation - die nur eine Tragik hat - weil Erdogan und Orban so lange blockiert haben, weil Trump nun Zweifel sät, sagt dieser Aufnahmeprozess auch was über den Zustand der Nato - ein in sich verunsichertes Sicherheitsbündnis.
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