Kiews Gegenoffensive: Russlands Taktik "könnte Fehler sein"

    Experte zu Gegenoffensive:Russlands Taktik "könnte ein Fehler sein"

    Jan Schüßler
    von Jan Schüßler
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    Die Ukraine zieht im Süden weiter ihre Gegenoffensive durch - mit einer neuen Brigade. Moskaus Antwort auf Kiews Offensive könnte sich als Fehler herausstellen, so Experte Gressel.

    Ukrainische Soldaten mit einer aus den USA gelieferten Haubitze M777
    Die Ukraine konnte weitere Geländegewinne an der Front verzeichnen. Was das für die ukrainische Gegenoffensive und den Kriegsverlauf bedeutet, weiß Militärexperte Gustav Gressel.17.08.2023 | 39:07 min
    Die Ukraine hat eine weitere Brigade für ihre Gegenoffensive aktiviert. Die 82. Luftlandebrigade gilt als besonders starke Einheit - sie nutzt unter anderem auch deutsche Marder-Schützenpanzer, die offenbar zum ersten Mal an der Front im Einsatz sind. Die Brigade soll jetzt in Robotyne an der Südfront in die Kämpfe eingegriffen haben.
    Es handele sich bei dieser rund 2.000 Soldaten umfassenden Einheit um eine ältere Brigade, die nicht neu aufgestellt worden sei, erklärt Militärexperte Gustav Gressel im Gespräch mit ZDFheute live.

    Marder-Schützenpanzer in der Ukraine

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    Allerdings wurde die Brigade nun mit westlichen Waffen ausgestattet. "Sie kann das mechanisierte Gefecht, sie ist schon sehr lange eingespielt, sie besteht aus erfahrenen Leuten. Die können das Potenzial dieser Geräte voll nutzen", so Gressel.

    Ukrainische Gegenoffensive: "Einer der schwierigsten Frontabschnitte"

    Das Material allein sei allerdings nicht entscheidend, schildert der Militärexperte - auch wenn die westlichen Waffen ein deutliches Upgrade zu zuvor genutztem Gerät sowjetischer Bauart darstellten. In der Vergangenheit hätten sich nämlich neu aufgestellte Brigaden, bestehend aus Personal der leichten Infanterie mit westlichen Waffen, durchaus schwergetan.

    Es hängt eben viel davon ab, wie ich sie [die Schützenpanzer] einsetze und wie erfahren die Leute sind, die drin und drauf sitzen.

    Gustav Gressel, Militärexperte

    Die erfahrene 82. Luftlandebrigade wird nun an einem Frontabschnitt in der Region Saporischschja eingesetzt, den der Militärexperte als "einen der schwierigsten" beschreibt. Die russischen Verteidigungsstellungen seien dort besonders tief. Das Ziel dieser Offensive sei die Stadt Tokmak - ein wichtiger Eisenbahn- und Verkehrsknotenpunkt.
    Die Karte zeigt die Städte Robotyne, Tokmak und Melitopol im Süden der Ukraine sowie dort ausgebaute russische Verteidigungslinien.

    An dieser Stelle gehe es darum, die Logistik der Russen zu zerschneiden und damit die Möglichkeit für Russland, Truppen von Ost nach West zu verlegen. "Die ist aber sehr schwer verteidigt, da liegen sehr viele Minen in dieser Gegend", sagt Gressel.

    Robotyne: Ukraine durchdringt erste Verteidigungslinie

    Mit der Einnahme von Robotyne habe die Ukraine die erste von drei durchgehend ausgebauten Verteidigungslinien Russlands durchdrungen, erklärt der Militärexperte. Und sagt weiter:

    Aber: Selbst, wenn jetzt das Auslösen des Durchbruchs gelingt, ist das Problem, das relativ bald die zweite Verteidigungslinie und deren Vorpostenstellungen auf die Angreifer warten und die ist eben auch sehr gut ausgebaut.

    Gustav Gressel, Militärexperte

    Das Ausnutzen des Erfolgs sei demzufolge an diesem Frontabschnitt schwierig.
    Dass das Verlegen der 82. Brigade auf einen Großangriff an dieser Stelle schließen lässt, bezweifelt der Experte, da man in diesen "schwer ausgebauten Stellungen und aufgrund der vielen Minenfelder" nur sehr schwer, Masse zum Einsatz bringen könne.

    Russische Strategie "könnte ein Fehler sein"

    Fraglich bleibt allerdings auch, ob Russland seinerseits noch über genügend Material und Personal verfügt, um sich der ukrainischen Gegenangriffe zu erwehren. Auf dem Papier sei das so, sagt Gressel. Gleichwohl sieht der Militärexperte mögliche Fehler in der russischen Strategie.

    Gustav Gressel zugeschaltet via Zoom
    Quelle: ZDF

    ... ist Politikwissenschaftler und Militärexperte. Zu seinen Themenschwerpunkten gehören Russland, Osteuropa und Verteidigungspolitik.

    Zum einen sehe man, dass Russland in der Region Kupjansk im Nordosten "starke Kräfte" für eine Offensive bereitstellt. "Diese Offensivtätigkeit verschlingt viele Kräfte auf russischer Seite, die man als Reservekräfte eigentlich bräuchte, um solche Durchbrüche wie in Robotyne auszugleichen", erklärt Gressel.
    Die Karte zeigt die Städte Kupjank und Lyman im Nordwesten der Ukraine und den Frontverlauf.

    Zum anderen befänden sich die russischen Kräfte im Süden schon sehr lange im Kampf "und zeigen auch schon Ermüdungserscheinungen", so der Experte. Da Russland nun in Kupjansk aktiv sei, fehlten frische Kräfte im Süden, welche die Einheiten ersetzen könnten.
    Warum Russland im Norden angreift, wenn es eigentlich im Süden verteidigen müsste, sei eine berechtigte Frage, meint Gressel. Wahrscheinlich sei es so, dass diese Offensive direkt von Russlands Präsident Wladimir Putin befohlen wurde.

    Das könnte ein Fehler sein, der sich noch rächen könnte.

    Gustav Gressel, Militärexperte

    Hinzu komme, dass die Ukraine mit der 82. Brigade nun eine relativ frische Einheit, die bislang in Reserve stand, einsetze. "Dementsprechend hat sie jetzt im Angriff wieder mehr und neuen Schwung", so der Experte.

    Auch Russlands Reserven nicht unendlich

    Doch ist dieser neue Schwung womöglich auch der letzte und die Reserven der Ukraine sind erschöpft? "Ich schätze, dass die Ukraine hier schon leider sehr weit mit dem Verbrauch ihrer Reserven ist", sagt Gressel.
    Gleichwohl gelte das in ähnlicher Weise auf für Russland: "So unendlich sind die russischen Kräfte auch nicht. Das sind immer die Vorstellungen bei uns, dass die russische Armee ein nicht enden wollender Pool an Leuten ist. So nicht enden wollend, ist das Ganze natürlich auch nicht", stellt der Militärexperte klar.
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    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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