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Abstiegsängste auf G20-Gipfel:Ein schwaches Europa zu Gast in Rio
von Julia Rech und Ulf Röller
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Auf dem G20-Gipfel zeichnet sich eine neue Weltordnung ab. Die Autokraten Xi und Putin hoffen, dass US-Präsident Trump den Westen schwächt. Die Europäer verlieren an Einfluss.
Die Regierungschefs der EU fahren geschwächt zum G20-Gipfel nach Brasilien. (Archiv)
Quelle: Reuters
An der Strandpromenade der Copacabana kommt man auf dem Weg zum Gipfel an einer riesigen Mike-Tyson-Figur vorbei. Der altersgezeichnete 58-jährige Boxer versuchte ein Comeback in Rio und kassierte eine klare Niederlage. Mike hat über Strategien einmal etwas Erhellendes gesagt: "Jeder hat einen Plan, bis er einen Schlag ins Gesicht bekommt." Es klingt wie eine Ansage für den Gipfel.
Die Wahl Donald Trumps ist ein Schlag ins Gesicht der Europäer und ihrer Rolle in der neuen Weltordnung. Alte Gewissheiten sind dahin. Hinzu kommt, dass die wichtigsten Länder Europas sich gerade selbst ausknocken.
Am Montag beginnt in Brasilien der Gipfel der G-20-Staaten.16.11.2024 | 1:38 min
Putin und Xi warten auf neue Machthaber aus dem Westen
Olaf Scholz will auf dem Gipfel eine starke Figur machen, allein um die Wähler in Deutschland und noch mehr die SPD davon zu überzeugen, dass er weiter der Richtige sei. Aber die G20-Teilnehmer wissen, Scholz ist ein Kanzler ohne Macht und politische Kraft.
Er wird zwar den chinesischen Präsidenten Xi treffen und versuchen ihn davon abzuhalten, einen Handelskrieg mit Europa zu beginnen. Aber mehr als ein nettes Foto wird es nicht geben.
Die Autokraten dieser Welt, allen voran Putin und Xi, warten auf die neuen Machthaber aus dem Westen. Auf Donald Trump und auf den neuen deutschen Kanzler.
Putin und Xi wollen ihre Nationen zu neuer, alter Größe führen. Dafür sind sie bereit, viel zu riskieren. Gemeinsamer Gegner: der Westen.25.07.2023 | 43:49 min
Derweil blicken sie gierig auf die Ukraine. Die spielt auf dem Gipfel keine wirkliche große Rolle. Brasilien hat sie nicht eingeladen. Vielleicht wird der Ukraine-Krieg noch in der Schlusserklärung erwähnt, aber entscheidend ist, dass die beiden wichtigsten Unterstützer, US-Präsident Biden und Kanzler Scholz, machtlos sind.
Zerschlagene Hoffnung Europas: Kein Wandel durch Handel
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat mit ziemlicher Offenheit seine traurige Lage beschrieben. Mit Donald Trump als neuem US-Präsidenten werde der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine "früher" enden.
In diesem Satz schwingt wenig Hoffnung, dass er auch gut endet. Die Rechnung Putins könnte am Ende aufgehen, dass der Westen kriegsmüde wird und an seinen eigenen Widersprüchen scheitert. Trump steht dafür.
Militärisch sind weder die NATO noch die EU auf Augenhöhe mit den USA. Sollte Donald Trump wie angekündigt die US-Hilfen künftig streichen, wäre die Ukraine de facto wehrlos. 12.11.2024 | 8:50 min
Für Europa bedeutet diese Entwicklung nichts Gutes. Zu lange hat sich der alte Kontinent auf Amerikas Schutzschild verlassen. Militärisch ist die EU ein Zwerg. Das ist gefährlich, weil in der neuen Weltordnung vor allem auch Waffen zählen. Die europäische Hoffnung, durch Handel Wandel zu erzielen, hat sich seit der Invasion der Russen in der Ukraine endgültig zerschlagen.
Armutsbekämpfung auf G20-Gipfel: Lula als Anwalt der Schwachen
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen weiß das. Sie schlug vor wenigen Monaten vor, in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Investitionen von rund 500 Milliarden Euro in die europäische Verteidigung zu investieren.
Seitdem hat sie den Vorschlag nicht wiederholt. Wer soll zahlen, schallt ihr aus den europäischen Hauptstädten entgegen. Von der Leyen repräsentiert auf dem Gipfel eine EU, die sich selbst lähmt.
Projekte wie Brasiliens Muttermilch-Programm werden als Teil der Initiative "Allianz gegen den Hunger" im Rahmen des G20-Gipfels in Rio verabschiedet.16.11.2024 | 1:56 min
Bei einem Thema können die Europäer noch einen großen Auftritt erhoffen. Brasiliens Präsident Lula hat die Armutsbekämpfung auf die Tagesordnung geschrieben. Er will sich als moralisches Gewissen der Schwachen auf dem Gipfel inszenieren.
Die deutsche Delegation weist darauf hin, nach den USA nach wie vor der zweitgrößte Geber von Entwicklungshilfe auf der Welt zu sein. Sie seien da sicherlich nach wie vor in der Champions League, heißt es stolz. Ob das Trump und Xi beeindruckt? Sie sehen Europa im Abstiegskampf, in einer Welt, deren Kompass Macht und weniger Moral ist.
Quelle: ZDF
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