Humanitäre Not in Ostafrika:1,7 Millionen Kinder hungern in Somalia
von Marcel Burkhardt
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Naturkatastrophen und Gewalt bringen Millionen Menschen in Somalia in existenzielle Not: Circa 1,7 Millionen Kinder gelten als "akut unternährt", doch Hilfe kommt spärlich.
6,9 Millionen Menschen in Somalia sind auf internationale Hilfe angewiesen.
Quelle: epa
In Somalia zerstört eine Katastrophe epischen Ausmaßes das Leben von Millionen Menschen. Dürren und Fluten zerstören im Wechsel Ernten, die brutale Gewalt bewaffneter Gruppen terrorisiert und vertreibt Zivilisten.
Millionen Menschenleben in Gefahr
6,9 Millionen Menschen sind auf internationale Hilfe angewiesen. Aber die tröpfelt nur ins Land. Abdinur Elmi, Nothilfe-Direktor der Organisation Care in Somalia, berichtet ZDFheute, dass im Land jeder fünfte Mensch hungert:
UN-Sprecher: 24,6 Millionen Dollar für Somalia
Die Vereinten Nationen (UN) haben seit längerem große Probleme, die finanziellen Mittel zusammenzubringen. Ein Sprecher des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) berichtet ZDFheute auf Anfrage, dass zum 1. März gerade einmal 1,6 Prozent der für 2024 veranschlagten Hilfsgelder für Somalia eingegangen seien.
Konkret: Verschiedene UN-Organisationen und Partner gehen in diesem Jahr von einem Bedarf von 1,59 Milliarden US-Dollar für Somalia aus. "Wir haben 24,6 Millionen Dollar", so OCHA-Sprecher Jens Laerke.
Menschliche Not weitaus größer als Spendenbereitschaft
OCHA-Chef Martin Griffiths bemerkte vergangenen Dezember, dass die Finanzierung humanitärer Hilfe durch die Staatengemeinschaft nicht Schritt halte mit dem Bedarf.
Genau das geschieht derzeit in Somalia und auch weiteren afrikanischen Staaten.
Landeskenner wie der Care-Nothilfedirektor Abdinur Elmi verweisen auf "multiple und vielschichtige Krisen, oft zur gleichen Zeit und in denselben Gemeinschaften". So kämpfen in Somalia verschiedene Clans und Warlords brutal gegeneinander, was zu anhaltender Unsicherheit und Vertreibungen führt. Zudem hat die islamistische Extremistengruppe Al-Shabaab erheblichen Einfluss in Somalia: Sie kämpft gegen die somalische Regierung und gefährdet die Sicherheit von Zivilisten vielerorts.
Wasserknappheit, die Zerstörung landwirtschaftlicher Anbauflächen und Vernichtung von Viehwirtschaft aufgrund extremer Dürren verschärft die Not von Millionen Somaliern.
Fast die Hälfte der global benötigten humanitären Hilfe soll den Vereinten Nationen zufolge Menschen in Afrika zugutekommen. Die größten "vergessenen Krisen" der Welt vollziehen sich laut der international tätigen Hilfsorganisation Care allesamt in Afrika. Einige Beispiele: In Angola benötigen 7,3 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. In Burundi leiden 5,6 Millionen Kinder unter chronischer Unterernährung. Im Senegal und in Sambia sind jeweils circa 1,4 Millionen von Hunger betroffen.
Was diese und andere Krisenländer Afrikas eint: Sie leiden neben Armut, sozialer Ungleichheit, ökonomischen Schocks und Konflikten besonders unter den Folgen des Klimawandels. Ein Beispiel: "Die mehrjährige Dürre von 2022/23 und der El-Niño von Oktober bis Dezember 2023 betrafen viele Länder im Osten und am Horn von Afrika und verursachten weitreichende Verwüstungen und den Verlust von Menschenleben", berichtet Abdinur Elmi, Care-Nothilfedirektor in Somalia.
Die Vereinten Nationen (UN) beklagen seit Jahren einen Trend sinkender finanzieller Spenden für die humanitäre Hilfe. Für 2024 bitten die UN um 46,1 Milliarden US-Dollar, um 184 Millionen Menschen in 73 Ländern zu helfen. Die bisher erhaltenen Mittel belaufen sich auf 1,81 Milliarden US-Dollar. Das sind 3,9 Prozent des Bedarfs und nach UN-Angaben etwa 30 Prozent weniger als die im Vorjahr zum gleichen Zeitpunkt gemeldeten Mittel.
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Stillende Mütter und Kleinkinder besonders bedroht
"Eine große Zahl von Somaliern - vier Millionen Menschen - haben nicht genug zu essen und keine Gewissheit über ihre nächste Mahlzeit", sagt Nothilfe-Direktor Abdinur Elmi. Die Mangelernährung durch Hunger bei stillenden Müttern und Kleinkindern sei "am schlimmsten", die Anfälligkeit für Infektionen am größten.
Neben verschiedenen UN-Organisationen unterstützen auch internationale Hilfsorganisationen wie Care oder die Ärzte ohne Grenzen seit vielen Jahren das von bewaffneten Konflikten zerrissene Land am Horn von Afrika; etwa durch den Betrieb von Hospitälern, dem Aufbau sanitärer Infrastruktur oder mit Hilfe beim Zugang zu sauberem Trinkwasser und Lebensmitteln.
"Spirale von Dürren und Überschwemmungen"
Die Möglichkeiten aber sind begrenzt und sich häufende Naturkatastrophen zerstören die "Lebensgrundlagen von Millionen Menschen", berichtet Elmi:
Der Klimawandel habe in Somalia zu einer "Spirale von Dürren und Überschwemmungen" geführt, berichtet Dana Krause, Landeskoordinatorin der Ärzte ohne Grenzen.
Terror durch Warlords und Al-Shabaab-Extremisten
Naturkatastrophen sind nach UN-Angaben eine Hauptursache für die Notlage von Millionen Somaliern.
Brutale Kämpfe zwischen verschiedenen Clans, Warlords und der islamistischen Extremistengruppe Al-Shabaab geben dem Land den Rest: Im vergangenen Jahr waren bewaffnete Konflikte "der zweitgrößte Treiber für Binnenvertreibungen in Somalia", berichtet Elmi.
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Etwas Hoffnung für Somalia kommt aus Genf
Etwas Hoffnung für die Menschen in Somalia kommt aber aus Genf von OCHA-Sprecher Jens Laerke mit Verweis auf 2023: Immerhin hätten internationale Geber bis Jahresende 44,5 Prozent der angefragten 2,6 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern für Somalia bereitgestellt.
Den derzeitig geringen Spendenstand für 2024 zu bewerten, hält Laerke deswegen noch für "verfrüht". Das zeigt auch der Blick auf das vergangene Jahr: Ende 2023 stieg die Spendenbereitschaft für das krisengebeutelte Land nochmal deutlich an. Allein in den letzten drei Dezemberwochen 2023 gingen nach Angaben von OCHA rund 25 Prozent der Jahresspenden ein.
Die Hilfsorganisation Care untersucht jedes Jahr die Online-Berichterstattung über globale Katastrophen. Demnach wurde 2023, wie schon im Vorjahr, nur wenig über Afrika berichtet.