EU-Kommission gesucht:Machtspiele um neue Kommissare im EU-Parlament
von Ulf Röller und Julia Rech, Brüssel
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Es ist die Stunde des Europa-Parlaments. Die Abgeordneten grillen die vorgeschlagenen Kommissare in stundenlangen Anhörungen. Ohne das Ja des Parlaments - keine neue Kommission.
Die neuen Kandidaten für die EU-Kommission sorgen für Kontroverse. Doch spiegeln sie die neuen Machtverhältnisse in Europa, in denen rechte, europaskeptische Stimmen lauter werden.12.11.2024 | 2:48 min
Mag die Welt auch in Krisen versinken - die EU braucht ihre Zeit, um eine neue Kommission zu finden. 26 Frauen und Männer bewerben sich auf 26 Ressorts. Die 27ste steht schon fest: die Präsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat in monatelanger Feinst-Arbeit die Kommission zusammengestellt.
Es geht um Macht und Bündnisse - und um Geld
Ein austariertes Kartenhaus der Macht. Es geht um Länderinteressen, um politische Richtungen, um Bündnisse, um viel Geld, um noch mehr Einfluss. Und um die Kunst, alles so zusammenzufügen, dass am Ende eine Mehrheit zustande kommt.
EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen hat ihre Kandidaten für die neue EU-Kommission vorgestellt. So könnte das neue Kommissionsteam aussehen.17.09.2024 | 0:24 min
Bisher lief alles recht geschmeidig bei den Anhörungen der Kommissionskandidaten. 19 winkten die Abgeordneten schon durch. Einer muss nachsitzen: Olivér Várhelyi, der Kandidat von Viktor Orban, dem ungarischen Regierungschef. Orban gilt als ein Querulant in der EU, der immer wieder die Ukraine-Politik der anderen Mitglieder mit seinem Veto blockiert hat. Ursula von der Leyen degradierte deshalb Orbans Stellvertreter Várhelyi. Er bekam das Ressort für Gesundheit und Tierwohl in der EU, was als unbedeutend gilt. Noch steht die Mehrheit für ihn nicht. Aber am Ende wird er sie wohl bekommen. Denn Orban könnte sonst den ganzen Kommissions-Findungs-Prozess aufhalten. Das will keiner.
Widerstand gegen Italiens rechten Kandidaten Fitto
Wie immer in Europa hängt alles mit allem zusammen. Die Abgeordneten können die Kommission nur als Ganzes ablehnen oder bestätigen. Bekommt eine Kandidat keine Mehrheit, sind alle abgelehnt. Dieses Entweder-Oder-Prinzip diszipliniert und zwingt zum Kompromiss. Das hilft den Wackel-Kandidaten: Da ist einmal Kandidat Raffaele Fitto. Der Mann von ItaliensRegierungschefin Meloni und ihrer postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia.
Italiens rechte Regierungchefin Giorgia Meloni will Bootsflüchtlinge in Asylzentren in Albanien unterbringen, statt nach Italien zu bringen. Dort sollen sie ihr Asylverfahren durchlaufen 23.10.2024 | 0:26 min
Er gilt zwar als gemäßigt innerhalb seiner Partei, aber er soll die Zuständigkeit für die milliardenschweren EU-Förder-Mittel, genannt Kohäsion-Fond, bekommen. Und nicht nur das. Er soll auch noch Vize-Kommissionspräsident werden. Das geht vor allem den Sozialdemokraten und Grünen zu weit. Sie könnten ihre Zustimmung verweigern, die notwendigen Stimmen zur Verfügung zu stellen. Das ruft wieder die christdemokratische EVP aufs Spiel. Die größte Fraktion im EU-Parlament unterstützt Fitto, und vor allem Meloni.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat im Europaparlament in Straßburg ihr Team für die nächsten fünf Jahre vorgestellt. Die neue Kommission besteht zu 40 Prozent aus Frauen.17.09.2024 | 0:24 min
Christdemokratische EVP droht im Falle eines Scheiterns mit Vergeltung
Der mächtige EVP-Chef Manfred Weber kennt keine Brandmauer nach rechts. Er will sich nicht in seinen politischen Spielräumen einengen lassen, er hat kein Problem, mit der Postfaschistin Meloni zusammenzuarbeiten. Sollten die Sozialdemokraten Fitto zu Fall bringen, dann droht Weber mit Vergeltung. Was uns zur zweiten Wackelkandidatin bringt: Teresa Ribera. Sollte Fitto scheitern, könnte es auch sie aus der Kurve, diesmal aus der linken, tragen. Die spanische Sozialdemokratin soll für Klima und Wettbewerbsfähigkeit zuständig sein. Und auch sie soll Vize-Präsidentin werden. Beide Fitto und Ribera werden heute angehört. Danach muss der zuständige Abgeordneten-Ausschuss ein Votum abgeben. Sie brauchen eine Mehrheit.
Weltweite Krisen könnten Ergebnis erzwingen
Das alles ist kompliziert. Seit Wochen wird hinter den Kulissen gerangelt. Das ganze Kartenhaus bricht zusammen, wenn man eine Karte herauszieht. Das wissen alle. Und die Zeit drängt. Die neue Kommission soll bis Dezember stehen, damit die EU endlich arbeiten kann. Europa droht zwischen Amerika und China aufgerieben zu werden, militärisch und wirtschaftlich. Eine zermürbende Suche nach einer neuen Kommission wollen alle verhindern. Das könnte das Gute an den viele Krisen sein. Sie zwingen die EU zur Schnelligkeit.
Die neue EU-Kommission solle "Europa zusammenführen" und Aufbruch signalisieren, so Manfred Weber, EVP-Fraktionsvorsitzender, aus Straßburg.17.09.2024 | 5:54 min
Alles hängt mit allem zusammen
Einen Lichtblick gibt es. Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas. Sie soll die neue EU-Außenbeauftragte werden und Europas neue, selbstbewusste Außenpolitik in der Welt vertreten. Sie steht an der Seite der Ukraine, will einen scharfen Kurs gegen Putin fahren. Ihre Anhörung heute sollte reibungslos verlaufen. Aber das reicht nicht. Am Ende muss die gesamte Kommission eine Mehrheit im Parlament bekommen. Wie gesagt: alles hängt mit allem zusammen.
Für die EU ist Orban seit Jahren ein Unsicherheitsfaktor. Viele sehen in Ungarns Machthaber eine Bedrohung. Der US-Wahlsieg von Donald Trump dürfte Orban weiter Aufwind geben.
Lara Wiedeking, Brüssel
Analyse
Quelle: ZDF
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