Nattokinase: Vermeintliches Wundermittel gegen Impfschäden?

    Faktencheck

    Corona-Mythos entkräftet:Nattokinase: Geldmacherei statt Wundermittel

    Oliver Klein
    von Oliver Klein
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    Nattokinase ist ein Enzym, das die angeblich "toxische" Wirkung von Corona-Impfungen neutralisieren soll. Experten halten das für Unsinn - mit dem aber viel Geld verdient wird.

    Pflaster über Einstichstelle der Impfung
    Nattokinase soll ein Wundermittel im Kampf gegen Spike-Proteine sein, die nach einer Impfung entstehen - wissenschaftlich ist das nicht haltbar.
    Quelle: dpa

    Eine Apotheke preist bei Facebook Nattokinase als "Super-Enzym" gegen Spike-Proteine an. "Hoffnung für Millionen mRNA-Geimpfte", titelt der Blog "ansage.org". Diese "toxischen und gefährlichen Spike-Proteine, welche durch die mRNA-Impfungen im Körper hergestellt werden" könnten durch Nattokinase abgebaut werden, heißt es bei "AUF1-TV", einem der erfolgreichsten Kanäle für Corona-Leugner und Verschwörungsanhänger.
    Wie bekommt man nach einer Impfung mit einem mRNA-Vakzin das Spike-Protein "schnellstmöglich wieder raus"? Die Frage stellt auch die Corona-Leugnerin Miriam Hope ihren fast 100.000 Followern bei Telegram und präsentiert gleich die Lösung: Das Wundermittel Nattokinase könnte "die größten Aussichten für die geschädigten Menschen haben".
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    Hype vor allem bei Telegram

    Gerade bei Telegram herrscht ein großer Hype um Nattokinase. Seit Dezember gebe es immer mehr Beiträge dazu, schreibt Josef Holnburger, Chef des Berliner Thinktanks CeMAS, der sich mit Verschwörungsmythen befasst.
    Josef Holnburger bei Twitter
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    Doch was ist dran an dem vermeintlichen Wundermittel? Es ist ein Enzym aus dem traditionellen japanischen Lebensmittel Natto, das aus fermentierten Sojabohnen gemacht wird. Mediziner schreiben Nattokinase durchaus positive Eigenschaften zu, insbesondere für das Herz-Kreislaufsystem: Es soll blutdrucksenkend wirken und vor Gefäßerkrankungen schützen und wird deshalb als Nahrungsergänzungsmittel gehandelt.
    Aber wie steht es mit der Behauptung, Nattokinase könne die "toxischen und gefährlichen Spike-Proteine, welche durch die mRNA-Impfungen im Körper hergestellt werden" neutralisieren?
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    Experten: Spike-Protein selbst macht nicht krank

    Experten halten es für Unsinn, dass Spike-Proteine an sich überhaupt als gefährlich dargestellt werden. Renommierte Virologen weisen immer wieder darauf hin, dass es für die häufig aufgestellten Behauptungen, Spike-Proteine würden krank machen oder das Immunsystem angreifen, keine Belege gibt. "Das Spike-Protein alleine macht nicht krank. Es ist eine absurde Annahme, dass man in irgendeiner Art und Weise von einem Spike-Protein Symptome bekommen könnte", sagt beispielsweise Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie an der Medizinischen Universität Wien dem Bayerische Rundfunk in einem Faktencheck.

    Spike-Proteine sind nach außen ragende Proteinstrukturen der Virushülle. Unser Immunsystem kann das Coronavirus gut an den Spike-Proteinen an seiner Oberfläche erkennenn und angreifen. Und genau deshalb funktionieren mRNA-Impfstoffe: Forscher können den Bauplan dieser Eiweißmoleküle isolieren und künstlich kopieren - die sogenannte mRNA oder Boten-RNA. Die mRNA wird in eine feine Schutzhülle gepackt und gespritzt. Die Körperzellen nehmen die mRNA auf und bilden nun anhand der genetischen Information Spike-Proteine. Die geimpften Zellen präsentieren die Spike-Proteine an ihrer Oberfläche. Das Immunsystem wird aktiv und bildet passgenaue Antikörper. Nach diesem Prinzip funktionieren die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna.

    Studienautoren arbeiten für Nattokinase-Produzenten

    Dennoch preisen Impfskeptiker Nattokinase als Geheimwaffe an und berufen sich auf eine japanisch-taiwanesische Studie mit dem Titel "Abbauende Wirkung von Nattokinase auf das Spike-Protein von Sars-CoV-2". Die Forscher hoffen, mithilfe von Nattokinase ein neues antivirales Mittel gegen Corona entwickeln zu können.
    Von den zehn Autorinnen und Autoren der Studie forschen sechs an der japanischen Josai Universität in Saitama. Die anderen vier werden der Wissenschaftsdatenbank Pubmed zufolge Unternehmen zugeordnet, die selbst Nattokinase produzieren.
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    Studie beweist keine Schutzwirkung von Nahrungsergänzungsmittel

    Die Wissenschaftler kamen durch Laborversuche zu dem Schluss, dass Nattokinase das Spike-Protein abbauen kann. Das Enzym habe das "Potenzial zur Hemmung der Sars-CoV-2-Infektion", schreiben die Autoren. Das heißt aber noch nicht, dass Nattokinase auch als Nahrungsergänzungsmittel eine Schutzwirkung gegen Corona-Infektionen hat. Erst recht nicht, dass die Einnahme von Nattokinase irgendeinen Effekt hinsichtlich einer Impfung bewirken könnte, vor allem aus zwei wesentlichen Gründen:
    • Versuche nur im Labor, nicht im lebenden Organismus: Die Wirkung konnte bisher nur "in vitro" nachgewiesen werden - also im Labor - und nicht in einem lebenden Organismus. Nicht alles, was in einer Petrischale klappt, funktioniert auch im Körper eines Menschen - auch Gifte oder Bleichmittel können manche Proteine zerstören. Ohne die Studie zumindest teilweise am Menschen durchzuführen, sei es völlig unmöglich, eine Aussage über die Wirkung der Nattokinase gegen Sars-CoV-2 zu treffen, zitiert die Agentur AFP den emeritierten Professor für Pharmakologie Bernard Bégaud von der Universität Bordeaux in Frankreich.
    • Nattokinase trifft im Magen nicht auf den Impfstoff: Wenn man Nattokinase isst, gelangt sie in den Magen, wird verdaut - trifft aber weder auf den Impfstoff noch auf Spike-Proteine, die auf Muskelebene produziert werden, erklärt Olivier Schwartz, Leiter der Abteilung für Virologie und Immunologie am französischen Institut Pasteur gegenüber AFP. Zudem würden die Spikes sowieso von den Zellen des Immunsystems abgefangen und schnell wieder verschwinden.

    Produkte haben teils längere Lieferzeiten

    Dennoch boomt offenbar der Handel mit Nattokinase - in vielen Postings in den sozialen Netzwerken finden sich auch gleich Links, über die man das vermeintliche Wundermittel bestellen kann. Auch im Webshop von "AUF1" - man muss jedoch geduldig sein: "Aufgrund der hohen Nachfrage beträgt die Lieferzeit derzeit ca. 14 - 21 Tage", heißt es dort. 120 Kapseln kosten 39,90 Euro, macht 33 Cent pro Stück. Das ist mehr als dreimal so teuer wie das "erstbeste Nattokinase-Produkt auf Amazon", schreibt Holnburger in seinem Twitter-Thread.
    Eine schnelle Internetrecherche bestätigt das: Eine Vielzahl von Nattokinase-Präparaten ist deutlich günstiger als die Produkte, die oft von Impfskeptikern über ihre Kanäle beworben werden. Aber alle diese Nahrungsergänzungsmittel haben Experten zufolge eines gemeinsam: Sie haben keinerlei Auswirkungen auf Spike-Proteine oder Impfstoffe.
    mit Material von AFP

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