Darum steigt die Zahl der Totgeburten in Deutschland
Immer mehr Fälle in Deutschland:Darum steigt die Zahl der Totgeburten
von Oliver Klein
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Seit Jahren steigt die Zahl der Totgeburten in Deutschland. Impfgegner machen Corona-Impfungen verantwortlich, Experten winken ab. Sie nennen plausiblere Erklärungen.
Grab für Sternenkinder - für den Trend, dass es zu immer mehr Totgeburten kommt, gibt es mehrere Faktoren.
Quelle: picture alliance / dpa
Seit dem Jahr 2007 gibt es den beunruhigenden Trend: Die Zahl der Totgeburten in Deutschland steigt und steigt. Das Statistische Bundesamt will in der kommenden Woche die aktuellen Zahlen dazu veröffentlichen, aber die Tendenz ist bereits jetzt klar: Im Jahr 2007 lag der Anteil der tot geborenen Kinder pro 1.000 Geburten noch bei 3,5, im vergangenen Jahr waren es nach vorläufigen Zahlen deutlich mehr: 4,4.
Auffällig ist auch: Während der Corona-Krise gab es noch mal eine zusätzliche Steigerung der Zahl der sogenannten Sternenkinder, vor allem von 2020 auf 2021: Die Zahl stieg von 3.162 auf 3.420.
Impfskeptiker machen in Sozialen Medien bereits die Schutzimpfungen gegen das Coronavirus für diese Entwicklung verantwortlich. Was ist dran? Und welche Erklärungs-Ansätze haben Mediziner, Statistiker und Experten für Bevölkerungsentwicklung? ZDFheute hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht.
Totgeborene
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Der Hauptgrund für einen relativ großen Sprung bei der Zahl der Totgeburten liegt zunächst in der geänderten Zählweise. Ab 2019 fielen mehr Kinder in die Statistik, weil die Definition geändert wurde, was eigentlich eine Totgeburt ist. Als Totgeburt gilt in Deutschland seither ein tot zur Welt gekommenes Kind, wenn es bei der Entbindung mindestens 500 Gramm wog oder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht war.
Somit wurden ab 2019 auch totgeborene Kinder gezählt, die nach der 24. Woche auf die Welt kamen, aber keine 500 Gramm wogen - im Gegensatz zu vorher. Der Anteil pro 1.000 Geburten stieg prompt um 0,3 auf den Wert 4,1. Direkt miteinander vergleichbar sind also nur Zahlen ab 2019.
Höheres Risiko für ältere oder ganz junge Mütter
Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, weist darauf hin, dass sehr viele Faktoren für den seit vielen Jahren anhaltenden Trend bei den Totgeburten eine Rolle spielen können: So sei das Risiko für eine Totgeburt bei einer Schwangerschaft gerade bei besonders jungen Frauen unter 21 Jahren oder bei Frauen über 37 Jahren erhöht. Daten würden zeigen: Auch Personen mit Migrationshintergrund hätten ein erhöhtes Risiko einer Totgeburt, so Klüsener.
Dazu komme auch das konkrete Risikoverhalten der Mütter während der Schwangerschaft. "Ob etwa werdende Mütter rauchen oder nicht - all das kann eine Rolle spielen", erklärt Klüsener.
Jahrelanger Trend setzte sich während Corona-Krise fort
Doch warum ist dann während der Corona-Krise die Zahl der Totgeburten noch mal zusätzlich gestiegen? Klüsener relativiert die Daten: "Wir sprechen von einem Phänomen, das nur sehr selten überhaupt auftritt. Da hat sich ein Trend fortgesetzt, den wir schon seit einigen Jahren sehen. Der Anteil der Totgeburten ist von 2020 auf 2021 um 0,2 Promille gestiegen. Das ist zwar eine Aufwärtsbewegung - die weicht aber nicht wesentlich vom Gesamttrend der Vor-Corona-Jahre ab."
Das sehen Christof Kuhbandner, Psychologie-Professor in Regensburg, und Matthias Reitzner, Mathematik-Professor in Osnabrück offenbar anders: Sie analysierten in einer Studie zur Übersterblichkeit die Zahl der Totgeburten eines Quartal verglichen mit Vorjahresquartalen und errechneten einen extremen Anstieg der Totgeburten - im zweiten Quartal 2021 von fast zehn Prozent, im vierten Quartal von fast 20 Prozent.
Eine Schwangere erkrankt so schwer, dass ihr Baby per Kaiserschnitt auf die Welt kommt und die Mutter kurz danach ins Koma fällt. 14.01.2022 | 5:21 min
Die meisten Schwangeren waren 2021 ungeimpft
Mehr noch - die Autoren legen nahe, dass Corona-Schutzimpfungen mitverantwortlich sein könnten für die Zunahme an Totgeburten: "Das Anstiegsmuster bei den Totgeburten - ein erster kleinerer Anstieg im ersten Quartal und ein extremer Anstieg im vierten Quartal 2021 - stimmt zeitlich überein mit den öffentlichen Empfehlungen zur Impfung während der Schwangerschaft", schreiben sie auf Anfrage von ZDFheute.
Ihre Studie wird inzwischen unter Impfgegnern und Querdenkern in Sozialen Netzwerken herumgereicht. Professor Kuhbandner ist dort kein Unbekannter: Während der Pandemie war ihm von Studierenden vorgeworfen worden, Corona zu verharmlosen.
Corona-Tote und Sterbefälle insgesamt 2020 bis 2022
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Dass Impfungen mit Totgeburten in Zusammenhang stehen, bezeichnet Ekkehard Schleußner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin, als "Unsinn". Seine Begründung: Die meisten Schwangeren seien damals ungeimpft gewesen. Bis Anfang Juni 2021 konnten sich Schwangere sowieso kaum impfen lassen. Die Dosen waren zunächst älteren Menschen, Risikopatienten und priorisierten Gruppen vorbehalten.
Die meisten Totgeburten zeitgleich mit Infektionswellen
Danach wurden es vermutlich auch nicht viel mehr. Eine Umfrage des RKI im Juni 2021 habe ergeben, dass fast 90 Prozent der Schwangeren sich erst mal nicht impfen lassen wollten, so Schleußner, der auch die Geburtsmedizin am Uni-Klinikum Jena leitet. Eine offizielle Impfempfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI) für Schwangere kam erst im September. Am Ende hätten sich damals insgesamt höchstens ein Drittel der Schwangeren die Spritze gegen Corona geben lassen, erklärt Schleußner.
Eine plausiblere Erklärung für die Zunahme an Totgeburten ist Corona selbst: Eine Studie aus dem Jahr 2022 wies nach, dass bei Schwangeren mit einer Covid-Infektion die Rate von Totgeburten dreifach höher war - in 12 von 1.000 Fällen wurden Kinder tot geboren.
Neben dem Virus selbst haben vermutlich auch die coronabedingten Umstände dazu geführt, dass mehr Kinder tot geboren wurden: "Arztbesuche wurden verschoben. Und auch die medizinische Betreuung der Schwangeren war in der Corona-Krise schlechter", erklärt Schleußner.
Fazit: Die steigende Zahl der Totgeburten in Deutschland wird durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht. Corona-Schutzimpfungen dürften kaum eine Rolle spielen - die Daten zeigen, dass andere Faktoren den Trend viel plausibler erklären.