Steuern und Gerechtigkeit: Wie fair ist die Mehrwertsteuer?

    Steuern und Gerechtigkeit:Wie fair ist die Mehrwertsteuer?

    Karen Grass
    von Karen Grass
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    Wir zahlen sie im Alltag ständig, haben sie aber oft gar nicht auf dem Schirm: die Mehrwertsteuer. Wie gerecht sind die Lasten dieser Steuer verteilt - und ist eine Reform nötig?

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    Die Mehrwertsteuer war mit 291 Milliarden Euro 2023 die größte Einnahmequelle des Staates und hat fast ein Drittel zum Steueraufkommen beigetragen. Sie brachte damit mehr ein als die Lohnsteuer und sogar deutlich mehr als etwa Steuern auf Unternehmensgewinne, über die so oft diskutiert wird. Umso wichtiger, die Verteilungswirkung der Mehrwertsteuer genauer in den Blick zu nehmen.

    Was sind die Unterschiede zwischen Mehrwertsteuer und Einkommensteuer?

    Produzenten und Dienstleister holen sich die Umsatzsteuer, die sie an den Staat zahlen, in der Regel bei uns Verbraucher*innen wieder: in Form der Mehrwertsteuer, die wir beim täglichen Konsum zahlen. Regulär sind das 19 Prozent des Produktpreises. Dieser pauschale Steuersatz unterscheidet Konsumsteuern wie die Mehrwertsteuer fundamental von den Steuern auf zum Beispiel Arbeitseinkommen.
    Bei der Einkommensteuer zahlen Menschen mit höheren Verdiensten schließlich deutlich mehr Steuern als andere - nicht nur in absoluten Summen, sondern auch prozentual, gemessen an ihrem Einkommen. Diese Lastenverteilung nennt man "progressiv".

    Die Mehrwertsteuer wurde in den letzten Jahrzehnten - mit einer Unterbrechung - immer weiter angehoben. Die regulären Steuersätze im Zeitverlauf:

    • bis Juni 1968: 10 Prozent
    • bis Dezember 1977: 11 Prozent
    • bis Juni 1979: 12 Prozent
    • bis Juni 1983: 13 Prozent
    • bis Dezember 1992: 14 Prozent
    • bis März 1998: 15 Prozent
    • bis Dezember 2006: 16 Prozent
    • bis Juni 2020: 19 Prozent
    • bis Dezember 2020: 16 Prozent (wegen Corona-Pandemie)
    • seit Januar 2021: 19 Prozent

    Im europäischen Vergleich ist die Mehrwertsteuer in Deutschland mit 19 Prozent allerdings eher niedrig angesetzt, relativ knapp über der Mindestvorgabe der EU von 15 Prozent.

    Wen belastet die Mehrwertsteuer wie stark?

    Die Mehrwertsteuer auf ein Produkt ist dagegen für alle Menschen gleich hoch. Deshalb wirkt sie "regressiv" und das heißt laut Steuerexperte Sebastian Eichfelder von der Universität Magdeburg:

    Einkommensschwache Bevölkerungsschichten werden durch diese Konsumsteuern relativ gesehen stärker belastet.

    Sebastian Eichfelder, Universität Magdeburg

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    Denn ein und derselbe Steuersatz fällt beim Konsum für Besserverdienende deutlich weniger ins Gewicht als für Menschen mit kleineren Einkommen. Und: "Sie können nicht viel sparen, sondern verkonsumieren auch anteilig mehr von ihrem Einkommen, wobei immer diese Steuer anfällt", so Eichfelder.

    Wer profitiert von der reduzierten Mehrwertsteuer?

    Das Bundesfinanzministerium schreibt auf ZDF-Anfrage, die Mehrwertsteuer berücksichtige geringere Einkommen sehr wohl. Und zwar durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Der gelte etwa auf Grundnahrungsmittel und die wiederum machten bei Geringverdienenden einen großen Teil des Konsums aus.
    Nadine Riedel vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Uni Münster sagt dazu: "Das Hauptargument für diesen reduzierten Mehrwertsteuersatz sind sozialpolitische Ziele, um Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung bei Alltagsgütern nicht zu stark zu belasten."
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    Worum dreht sich der Streit um eine Reform der Mehrwertsteuersätze?

    Doch nicht immer scheinen die Regeln in der Praxis wirklich logisch und auf sozialpolitische Ziele ausgelegt: So gilt etwa auf Gemälde, Bücher oder Opernbesuche der reduzierte Satz, während auf Medikamente die reguläre Mehrwertsteuer von 19 Prozent greift. Was ist nun Luxus, was Grundbedarf?

    Wenn man sich die Daten anschaut, werden tatsächlich eher am oberen Ende der Einkommensverteilung Vorteile aus den reduzierten Mehrwertsteuersätzen gezogen.

    Nadine Riedel, Universität Münster

    Regelmäßig wird deshalb diskutiert, ob der reduzierte Mehrwertsteuersatz reformiert werden muss.

    Die Mehrwertsteuersätze können ein Instrument sein, um Geringverdienende steuerlich zu entlasten. Werden sie gesenkt, bringt das Menschen mit geringen Einkommen deutlich mehr als etwa eine Senkung der Einkommensteuersätze.

    Immer wieder fordern Sozialverbände deshalb auch eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Grundnahrungsmittel wie Obst und Gemüse auf null Prozent. Davon würden Geringverdienende anteilig besonders stark profitieren, absolut gesehen würden aber Besserverdienende am meisten sparen, da sie insgesamt teurer einkaufen. Deshalb gibt es an diesen Vorschlägen auch Kritik und bisher konnte sich die Politik nicht darauf einigen

    Der Bundesrechnungshof schreibt etwa, die Mehrwertsteuerermäßigungen für Hotelübernachtungen oder Kulturveranstaltungen seien einige der größten Steuervergünstigungen überhaupt und plädiert: Die Ausnahmen sollten stattdessen auf Grundbedarf, insbesondere Grundnahrungsmittel, begrenzt werden.
    Forderungen nach noch geringerer oder gar null Prozent Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, wie sie jetzt auch wieder im Wahlkampf kommen, erteilt der Rechnungshof aber ebenfalls eine Absage. Die Einnahmen seien wichtig.

    Eine Abschaffung der vielen Ausnahmen vom regulären Mehrwertsteuersatz würde das System vereinfachen und übersichtlicher machen. Dadurch ließe sich auch Bürokratie einsparen. Die Mehrwertsteuer wäre weniger anfällig für Lobbying verschiedener Interessengruppen und würde eher sozialpolitischen Zielen dienen. Die reguläre Mehrwertsteuer erreicht beim Konsum auch diejenigen Personen mit einem erheblichen Steuersatz, die etwa durch Schwarzarbeit keine Steuern auf ihre Arbeitsleistung zahlen.

    Bisher hat sich das Bundesfinanzministerium nicht an eine Reform des Mehrwertsteuerdschungels herangetraut - womöglich auch, weil viele Lobbyinteressen involviert sind. Eine Aufgabe mehr für die kommende Bundesregierung.
    Karen Grass ist Redakteurin in der ZDF-Redaktion WISO.
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