Bilanz Dieselskandal: "Super-GAU für deutsche Autoindustrie"
Bilanz Diesel-Abgas-Skandal:"Super-GAU für die deutsche Autoindustrie"
von Hans Koberstein
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Vor acht Jahren begann der Dieselskandal, mit weitreichenden Folgen für Dieselfahrer wie Autoindustrie. Die Bilanz? Ein "Super-GAU" für Autobauer, sagt Experte Bratzel.
Der Abgasskandal nimmt kein Ende: Noch immer verweigert VW betroffenen Dieselfahrern Entschädigung, während das Bundesverkehrsministerium die Dieselaffäre zur Geheimsache erklärt.27.06.2023 | 16:31 min
"Der Dieselskandal, das war der Super-GAU für die deutsche Autoindustrie", sagt der Autoexperte Stefan Bratzel. Er ist Chef vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Der Abgasskandal traf ausgerechnet das Vorzeigeprodukt der deutschen Autobranche: den Dieselmotor.
Bald wurde klar, dass nicht nur Volkswagen, sondern auch Mercedes und BMW Dieselautos mit sogenannten "Thermofenstern" verkauft hatten. Die hielten die gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte im Labortest ein, nicht aber im Straßenbetrieb.
Dort stießen die Autos ein Vielfaches der Emissionen aus. Die Folge waren Fahrverbote in einigen Innenstädten sowie Millionen Dieselautofahrer, deren Auto an Wert verlor.
Im Diesel-Abgas-Skandal hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Käufer von Dieselautos mit eingebauten Thermofenstern grundsätzlich ein Recht auf Schadensersatz haben.26.06.2023 | 2:35 min
Autozulieferer Bosch: Neuer Kodex für Mitarbeiter
Der Autozulieferer Bosch hat aus dem Abgasskandal Konsequenzen gezogen. Bosch hatte die Motorsteuergeräte geliefert, mit denen Autobauer die Abgaswerte manipulierten, und musste deshalb 90 Millionen Euro Bußgeld bezahlen.
Heute hat Bosch einen neuen Kodex für die Mitarbeiter etabliert. Darin heißt es: "Bosch-Produkte dürfen nicht für Testsituationen optimiert werden".
BMW und Mercedes-Benz sehen keine eigenen Fehler
BMW kam mit einem vergleichbar geringem Bußgeld davon: 8,5 Millionen Euro. Eine Bilanz des Abgasskandals will BMW auf Nachfrage nicht ziehen. BMW hat stets die Auffassung vertreten, nicht vom Abgasskandal betroffen zu sein.
Der Stuttgarter Autobauer Mercedes-Benz musste gar 870 Millionen Euro Bußgeld bezahlen. Drei Mitarbeiter aus der unteren Hierarchie-Ebene kassierten Strafbefehle. Eigene Fehler kann das Unternehmen auf Nachfrage nicht erkennen, und erklärt:
Quelle: ZDF
Sehen Sie mehr zum Dieselskandal bei frontal, am Dienstag, 27. Juni 2023, um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.
Auch bei Volkswagen Verhaltenskodex-Schulungen für Mitarbeiter
Volkswagen hatte den Dieselskandal ausgelöst, und im September 2015 zugegeben, unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut zu haben. Als Konsequenz wurde das neue "Vorstandsressort für Integrität" geschaffen, erklärt der Konzern. Außerdem würden alle Beschäftigten regelmäßig zu einem neuen Verhaltenskodex geschult, so ein VW-Sprecher.
Der Wolfsburger Konzern musste bislang 1,2 Milliarden Euro Bußgeld in Deutschland zahlen - in den USA sogar mehr als 30 Milliarden Euro. Mehrere leitende Angestellte sind angeklagt, auch der ehemalige VW-Boss Martin Winterkorn. Wann ein Urteil ergeht, ist noch nicht absehbar. Anders bei der VW-Tochter Audi. Ex-Chef Rupert Stadler und zwei seiner Mitarbeiter wurden heute vom Oberlandesgericht München zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Ins Gefängnis müssen sie nicht.
Neue Diesel halten gesetzliche Grenzwerte ein
Der Verband der Automobilindustrie VDA räumt auf Nachfrage ein:
Das konnte aber "durch harte Arbeit zurückgewonnen werden", so der Verband. Die Autoindustrie hat dazugelernt. Seitdem die aktuelle Abgasnorm Euro 6d gilt, sind die neuen Dieselautos im Straßenbetrieb sauber, halten die gesetzlichen Stickoxid-Grenzwerte ein.
Auch die Luftqualität in vielen Innenstädten ist besser geworden. Nach Auskunft des Umweltbundesamts werden Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der Atemluft nur noch in zwei Städten überschritten: in Essen und in München.
Der Absturz des Diesel – Neuzulassungen Diesel-Pkw
ZDFheute Infografik
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Abgasskandal verantwortlich für Ende des Dieselmotors
Die Verbesserungen kommen für den Diesel zu spät. Noch vor dem Abgasskandal war fast jedes zweite neue Auto ein Diesel. Dann aber stürzten die Verkaufszahlen ab: Von 1,5 Millionen Dieselautos 2016 auf weniger als 500.000 im vergangenen Jahr. Das Urteil von Stefan Bratzel:
Eine bittere Bilanz für den Technologieführer beim Diesel: die deutsche Autoindustrie.
Die US-Umweltbehörde EPA wirft im September des Jahres Volkswagen Verstöße gegen das Klimaschutzgesetz "Clean Air Act" vor. Es geht um 482.000 Diesel-Fahrzeuge in Kalifornien.
In der Folgezeit gibt Audi den Einsatz von sogenannter "Schummel-Software" in einem großen Dieselaggregat, dem V6-TDI-Motor, zu.
VW beauftragt die US-Kanzlei Jones Day, den Abgasskandal und seine Hintergründe aufzuarbeiten. Dazu werden riesige Datenmengen ausgewertet und Manager befragt.
Aufgrund der Untersuchungsergebnisse von Jones Day, die nicht veröffentlicht werden, und der Ermittlungsergebnisse der US-Justizbehörden, vergleicht sich VW mit der US-Regierung auf insgesamt 4,3 Milliarden Dollar an Strafen und Bußgeldern. Damit sehen VW und Audi die Dieselkrise als "aufgearbeitet" an, wollen aber mit den Behörden weiter kooperieren. Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler selbst sieht sich durch die Untersuchungsergebnisse von Jones Day entlastet.
Die Staatsanwaltschaft München II durchsucht im März am Tag der Audi-Bilanz-PK Büroräume des Konzerns in Ingolstadt und Neckarsulm. Auch bei VW in Wolfsburg werden Büros durchsucht. Die Behörden ermitteln gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung.
Die Staatsanwaltschaft München durchsucht im Februar erneut Büroräume von Audi in München und Neckarsulm. Es geht jetzt erstmals auch um Audi-Modelle mit Abschalteinrichtung, die außerhalb der USA verkauft wurden.
Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt von Juni an gegen Rupert Stadler persönlich. Er zählt nun zu einem Kreis von 20 Beschuldigten im Abgasskandal
18.06.2018: Rupert Stadler wird festgenommen und kommt in U-Haft. Ihm wird Betrug im Zusammenhang mit dem Verkauf von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Abgasreinigung vorgeworfen. Grund der Festnahme ist Verdunklungsgefahr.
Anfang Oktober scheidet Rupert Stadler aus dem Vorstand von Audi und VW aus
Ende Oktober wird der Haftbefehl gegen Rupert Stadler gegen Kaution ausgesetzt.
31.07.2019: Anklageerhebung durch die Münchner Staatsanwaltschaft.
30.09.2020: Prozess-Beginn in München-Stadelheim
12.01.2021: Rupert Stadler sagt erstmals im Prozess aus
06.08.2020: Anklage gegen vier weitere ehemalige Audi-Manager
25.04.2023: Wolfgang Hatz, ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Vorstand und ein weiterer leitender Ingenieur geben zu, die Software-Manipulationen in Auftrag gegeben zu haben. Sie hatten damit ebenfalls einem Deal zugestimmt.
03.05.2023: Rupert Stadler kündigt an, ein Geständnis ablegen zu wollen. So kann er eine Gefängnisstrafe umgehen.
16.05.2023: Stadler legt ein Geständnis im Audi-Prozess ab.
27.06.2023: Das Landgericht München verurteilt Stadler zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Zudem muss er ein Bußgeld in Höhe von 1,1 Millionen Euro zahlen. Die Wirtschaftsstrafkammer spricht ihn des Betrugs schuldig, weil er den Verkauf von Dieselautos mit manipulierten Abgaswerten zu spät gestoppt hatte.
Hans Koberstein ist Reporter der ZDF-Redaktion Frontal.